Massenklagen mit der ZPO eindämmen und Digitalisierung der Justiz weiter verschlafen?

Massenklagen mit der ZPO eindämmen und Digitalisierung der Justiz weiter verschlafen?

"Übel" der #Massenverfahren für die #Justiz beseitigen, aber wie?

▶ Einigkeit zum Ziel, aber der richtige Weg dahin wird sehr kontrovers diskutiert, auch bei einer Anhörung im Rechtsausschuss über einen Antrag der Unionsfraktion mit dem Titel „Wirksame Regelungen zur Bewältigung von Massenverfahren schaffen“.

▶ Wie passt dies zum weiterhin "ungebremsten" Rückgang der Eingangszahlen bei Amts- (-40%) und Landgerichten (-25%)? Überschattet hier der Dieselskandal und eine drohende 3. Welle von Thermofenster-Klagen ganz andere Probleme in der Digitalisierung der Justiz? So ist es!

▶ Dr. Charlotte Rau, Richterin am OLG Frankfurt am Main, bestätigte: Es bestehe „dringender Handlungsbedarf, damit die Ziviljustiz dauerhaft auf Augenhöhe mit spezialisierten Rechtsdienstleistern arbeiten und ihren Auftrag der Gewährung effektiven Rechtsschutzes erfüllen kann“. Rau begrüßte ebenso wie Dr. Peter Allgayer, Richter am Bundesgerichtshof, Vorschläge in dem Antrag, Verfahren höherer Instanzen zu beschleunigen und bis zu deren Entscheidung unteren Instanzen das Aussetzen ähnlich gelagerte Fälle zu ermöglichen. Daneben begrüßte Allgayer Vorschläge, um Verfahren unterer Instanzen zu vereinfachen und beschleunigen, etwa die Möglichkeit, die Ergebnisse von Beweisaufnahmen aus anderen Verfahren zum gleichen Sachverhalt mit heranzuziehen. So ja auch die Vorschläge der JuMiKo, die die Umsetzung bei BMJ-Chef Marco Buschmann bereits angemahnt haben.

▶ Auch der Freiburger Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Alexander Bruns maß in seiner Stellungnahme einer „Beschleunigung höchstgerichtlicher Klärung von Rechtsfragen, die in massenhaft eingeleiteten Parallelverfahren typischerweise gleichförmig entscheidungserheblich sind“, besondere Bedeutung bei. Ebenso wie Allgayer begrüßte Bruns im Großen und Ganzen die im Unionsantrag enthaltenen Vorschläge zur Entlastung der Justiz. So sollte es erstinstanzlichen Gerichten auch ohne Zustimmung der streitenden Parteien möglich sein, ein Verfahren einer höheren Instanz zur Entscheidung vorzulegen. Die Empfehlungen des Richterbundes sind auch hier deutlich zu erkennen.

▶ Kritischer bewertete Sina Dörr, Richterin am Landgericht Bonn, den Antrag. Es gelte, „nicht nur die Symptome des Überlastungseffekts zu adressieren, sondern dessen Ursachen zu beheben“. Solche seien die unzulängliche Digitalisierung und „das Fehlen eines modernen individuellen und kollektiven Verfahrensdesigns“. Digitale Systeme, welche die Gerichte erheblich entlasten könnten, seien am Markt vorhanden. Dörr drängte darauf, die institutionellen Voraussetzungen für eine zeitgemäße Digitalisierung der Justiz zu schaffen. Eine von vielen Stakeholdern sicherlich zu unterschreibende Forderung, aber hier ist die Transformation wegen der Kompetenzstreitigkeiten von Bund, Ländern und Gerichtszweigen bis zum Geld und zur richterlichen Unabhängigkeit keine Turbo für Veränderungen und die Justiz verliert immer mehr den Kontakt zum Rechtsmarkt der Zukunft, in der auch sie ihre neue Rolle finden muss.

▶ Der Vorsitzende des Legal Tech Verbands, Dr. Philipp Plog, pflichtete dem bei. Deutschland habe bei der Digitalisierung der Justiz zehn bis 15 Jahre Rückstand. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion schränke die „prozessualen Rechte und die Autonomie von Rechtsuchenden“ ein, ohne die „strukturelle Krise der Justiz“ zu beheben.

▶ Roland Kempfle vom Deutschen Richterbund wandte dagegen ein, dass auch die Digitalisierung Zeit brauche. So sei für dafür hochqualifiziertes Fachpersonal erforderlich, das nicht so einfach rekrutiert werden könne. Die Gerichte könnten darauf nicht warten. Kempfle rechnet mit einer weiteren signifikanten Zunahme von Massenverfahren, unter anderem wegen der Aktivitäten von „Prozessfinanzierern und anderen renditeorientierten Dritten“. Den Rechtsmarkt wirklich als Markt zu verstehen und so zu agieren, damit fremdelt die Richterschaft offenkundig noch.

▶ Eine Lanze für Massenklagen brach der Passauer Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Thomas Riehm. Sie dienten der flächendeckenden Durchsetzung bestehender Rechte, erhöhten damit den Anreiz der Beklagtenseite, sich rechtskonform zu verhalten, und dienten so insgesamt dem Rechtsstaat. Die im Unionsantrag vorgeschlagenen Eingriffe in das Verfahrensrecht gingen jedoch zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit, was sich „sowohl zulasten der Klägerseite als auch zulasten der Beklagtenseite auswirken würde“. So könnte das Aussetzen erstinstanzlicher Verfahren bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung dazu führen, dass jahrelang der Rechtsschutz verweigert wird.

▶ Deutlich wurde in der Anhörung, dass die Überlastung der Justiz zu einem erheblichen Teil auf immer umfangreichere Schriftsätze bei Massenverfahren zurückzuführen ist. Aufgrund der Verwendung von Textbausteinen durch die Kanzleien nähmen diese oft hunderte Seiten ein, aus denen die Gerichte die für den Einzelfall relevanten Informationen mühsam herausfiltern müssten. Wie im Unionsantrag vorgeschlagen sollten Gerichte verlangen können, dass die Prozessparteien solche Schriftsätze strukturieren und im Umfang begrenzen, erklärte die Richterin Charlotte Rau übereinstimmend mit mehreren anderen Sachverständigen. Da sieht man, wie weit die Justiz von den heutigen technischen Möglichkeiten der Dokumentenanalyse noch entfernt sind, wobei strukturierte Klagen und damit strukturierte Daten kein Teufelsinstrument sind, sondern bei der Bürger-Online-Klage, die hoffentlich die Machbarkeitsstudie überlebt, eine der Voraussetzungen für deren Umsetzbarkeit sein werden.

Bitte auch beachten: das Probelm bei Masseverfahren ist nicht der geschädigte #Verbraucher, sondern das rechtsmissbräuchliche Unternehmen! Dies scheint manchmal aus dem Fokus zu geraten!

Dr. Stefan Michaelsen

Rechtsanwalt in München | Mitglied der Gesellschaft für Analytische Philosophie e.V. | ex-McKinsey

1 Jahr
Dr. Ralf Stoll

Unternehmer; Rechtsanwalt; Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

1 Jahr

Hätte 2016 bereits die von uns gestellten Fragen dem EuGH vorgelegt, hätte die Justiz kein Problem gehabt. Aber statt Art. 101 GG zu beachten, hat man sich das eigene Grab geschaufelt. Dies muss man nun den Klägeranwälten in die Schuhe schieben.

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