Medizinal-Cannabis: Markt und Versorgung im Jahr 2021

Medizinal-Cannabis: Markt und Versorgung im Jahr 2021

Den Rang eines verkehrs- und verschreibungsfähigen Medikaments hat Cannabis in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind, in ganz Deutschland seit 2011. Seit der gesetzlichen Legalisierung im März 2017 dürfen Ärzte aller Fachrichtungen neben Fertigarzneimitteln auch Cannabis-Blüten oder patientenindividuelle Rezepturen verschreiben. Wie hat sich der Markt in 2021 entwickelt, welche sind die Top-Verordner, wie ist die Patientenversorgung, und welche neuen Analysemöglichkeiten stehen der Industrie zur Verfügung? Antworten gibt der vorliegende Beitrag.

VERORDNUNGSVORGABEN UND RAHMENBEDINGUNGEN

Über die medizinische Sinnhaftigkeit einer CannabisTherapie entscheidet der jeweilige Arzt. Ist ein Antrag bei der zuständigen gesetzlichen Krankenkasse (GKV) gestellt, hat letztere regulär drei Wochen oder – im Bedarfsfall einer gutachterlichen Stellungnahme – fünf Wochen Zeit, um ihre Entscheidung zu treffen. Voraussetzung ist, dass es keine allgemein anerkannte Standardtherapie gibt oder dass eine bestimmte positive medizinische Wirkung nach Einschätzung des Arztes zu erwarten ist. Diese Einschätzung ist gegenüber der Krankenkasse konkret zu begründen. Für eine fachliche Einschätzung der Indikation ziehen gesetzliche Kassen auch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu Rate. Wichtigste Indikation sind Schmerzen unterschiedlicher Art. Für die Abrechnung von CannabisZubereitungen müssen Apotheker Sonderkennzeichen (Sonder-PZN) verwenden, die seit April 2019 fünf Kategorien umfassen: CannabisBlüten in Zubereitungen, Cannabis-Blüten in unverändertem Zustand, Cannabinoid-haltige Stoffe oder Fertigarzneimittel in Zubereitungen, Cannabinoid-haltige Stoffe in unverändertem Zustand und Cannabis-haltige Fertigarzneimittel ohne Pharmazentralnummer (PZN). Die richtige Verwendung der Sonder-PZN ist wichtig, da andernfalls Retaxationen erfolgen können. Neben den Fertigarzneimitteln Sativex, Epidiolex und Canemese kamen zu den bis dahin bestehenden fünf Sonder-PZN im GKV-Markt im Juli 2021 zwei Sonder-PZN für Cannabisblüten aus Deutschland hinzu (Tabelle 1).

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MARKTENTWICKLUNG IN DEUTSCHLAND

Der aufgrund regelmäßiger Gesetzesänderungen und zahlreicher monatlicher Produktregistrierungen sehr dynamische Medizinal-Cannabismarkt wächst seit der Legalisierung kontinuierlich. Wachstumstreiber sind unverarbeitete Blüten und cannabinoide Zubereitungen. Nach den USA und Kanada ist Deutschland inzwischen weltweit der drittgrößte Markt. Etwa 90 Unternehmen sind hier tätig, mit steigender Tendenz. Zum Ende des dritten Quartals 2021 wurde ein GKV-Marktvolumen von 184 Mio. Euro erreicht; davon entfielen 39 % auf Cannabis-Blüten, 32 % auf Zubereitungen und 29 % auf Fertigarzneimittel.

TOP-VERORDNER

Welche Facharztgruppen haben den größten Anteil an Verschreibungen? Die zum Ende des zweiten Quartals 2021 erfassten 342.000 Verordnungen entfielen hauptsächlich auf Allgemeinmediziner (26 %), Neurologen (15 %), Ambulanzen (14 %), Sonstige Fachgruppen (13 %), Anästhesisten (10 %), Medizinische Versorgungszentren (9 %) und Internisten (8 %) (Abb. 1).

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Insgesamt bleibt die Verteilung der Verordnungen nach Fachgruppen im Vergleich mit den Vorjahren weitgehend stabil (Abb. 1). Dass Allgemeinmediziner nach wie vor die meisten Cannabis-Rezepte ausstellen, ist nicht überraschend, da sie die größte Arztgruppe repräsentieren. Interessant ist daher der Blick auf die weiteren Verordner-Gruppen. An zweiter Stelle befinden sich Neurologen, gefolgt von Ambulanzen, die an Bedeutung gewonnen haben. Letzteres könnte auch eine Auswirkung der COVID-19-Krise sein, wenn Patienten Verordner-Stätten gewechselt haben. Die relativ hohe Verordnungshäufigkeit bei Anästhesisten und medizinischen Versorgungszentren dürfte mit den Behandlungs- bzw. Indikationsschwerpunkten der Facharztgruppen zu tun haben. Auch bei den Verschreibungen unverarbeiteter Cannabisblüten liegen die Allgemeinmediziner mit 39 % Anteil weit vorne, gefolgt von in einer Kategorie zusammengefassten verschiedenen (=sonstigen) Facharztgruppen (17 %), Neurologen (14 %) und Internisten (11 %) (Abb. 2). 

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PATIENTENSITUATION

Nach Alter und Geschlecht der Cannabis-Empfänger zeigt sich für 2021 folgendes Bild: am häufigsten erhielten Patienten zwischen 50 und 59 Jahren Medizinal-Cannabis (26 %), gefolgt von der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen mit 21 %. Da Medizinal-Cannabis häufig gegen chronische Schmerzen verschrieben wird, die bei älteren Menschen bekanntermaßen häufiger auftreten, ist diese Verteilung nicht überraschend. Dies unterstreichen auch Analysen zum medizinischen Einsatzgebiet, die u.a. ergaben, dass medizinische Cannabis-Präparate am häufigsten zur Therapie von diagnostizierten chronischen Schmerzen eingesetzt werden. Patienten zwischen 18 und 59 Jahren erhielten, wie schon im Vorjahr, auch 2021 insgesamt deutlich häufiger Blüten verordnet als andere CannabisFormen. Eine Erklärung könnte darin liegen, dass Ärzte gerade jüngere Patienten stärker in die Therapieentscheidung einbeziehen und Blüten von der jüngeren Altersgruppe grundsätzlich bevorzugt werden. Über alle Altersklassen hinweg erhielten Frauen häufiger eine Cannabis-Therapie (55 %) als Männer (45 %); dieser Trend hat sich auch in 2021 bestätigt. Männer bekommen weiterhin deutlich häufiger Blüten (ca. 68 %), Frauen hingegen häufiger Zubereitungen verordnet.

DATENGRUNDLAGE, ABRECHNUNGSANPASSUNG UND NEUE ANALYSEMÖGLICHKEITEN

Grundlage für die IQVIA Daten sind Deutschlands größtes Apotheken-Panel mit derzeit ca. 6.500 Apotheken (35 % Marktabdeckung) sowie die Gesamtheit der deutschen Apothekenrechenzentren (Vollabdeckung). Die daraus entwickelten Analyseoptionen für den Cannabis-Markt sind der IQVIA Cannabis Monitor mit Daten zu den Apothekeneinkäufen und -abgaben. Eine Neuerung bei den Apothekenrechenzentren seit Juli 2021 ist der sogenannte Hash-Wert mit dem Zubereitungs(Z)-Datensatz. Der HashWert ist eine 40-stellige Ziffernfolge, die verteilt auf die zweite und dritte Taxezeile des Rezepts gedruckt wird und das Papierrezept, vereinfacht ausgedrückt, mit den elektronisch übermittelten Abrechnungsdaten „verlinkt“. Der Z-Datensatz steht für elektronische Zusatzdaten, die seit Juli 2021 mit dem Abrechnungsdatensatz des Rezepts an die Krankenkasse übermittelt werden müssen. Welche Auswirkungen hat der neue Abrechnungsmodus für die Datenerfassung bei IQVIA? Die Cannabis-Zubereitungen sind ab 07/2021 strukturgleich mit den parenteralen Zubereitungen. Die Einbindung des Hash-Werts sorgt zudem für zusätzliche Transparenz (PZN, Faktor, Taxe), wie auch bei den parenteralen Rezepturen. Dies bedeutet vor allem, dass im Gegensatz zu den Sonder-PZN fortan auch das tatsächlich abgegebene bzw. zubereitete Produkt ersichtlich wird, zusätzlich versehen mit entsprechenden Apotheken-bezogenen Sonder-PZN für die Zubereitung analog zur Hilfstaxe. Auf dieser Grundlage sind jetzt auch granulare Analysen möglich.

AUSBLICK

Die Umstellung auf den neuen Abrechnungsmodus im Juli 2021 hat viele Apotheken vor eine Herausforderung gestellt. Diese Entwicklung führte zunächst zu einem Umsatzrückgang bei den Sonder-PZN um rund 60 % im Vergleich zu den Vormonaten; die Anzahl der Rezepte sank von etwa 22.000 bis 23.000 auf ca. 7.800 (zum Vergleich: die Taxe sank von ca. 12 Mio. Euro auf rund 4 Mio. Euro). Fertigarzneimittel waren von diesem Negativtrend nicht betroffen. Bei der Analyse und Bewertung des Cannabis-Marktes muss diese Verschiebung beachtet werden. Aufgrund der neuen Datenlage im dritten Quartal 2021 ist zu erwarten, dass die „fehlenden“ Rezepte nicht entfallen, sondern zu einem späteren Zeitpunkt abgerechnet werden: inzwischen steigen die Zahlen wieder an und pendeln sich zunehmend auf dem üblichen Niveau ein. IQVIA empfiehlt vor diesem Hintergrund, bei Auswertungen den Datenmonat Juli 2021 in Summe mit den Folgemonaten zu betrachten.

Stefanie Wagner / Jens Witte

Alle Quellenangaben sowie weitere spannende Beiträge finden Sie im IQVIA Flashlight N° 88. IQVIA bietet auf Wunsch auch Sonderanalysen an: detaillierte Auswertungen sind bis auf Ebene der einzelnen Sonder-PZN möglich. Bei Fragen oder weitergehendem Interesse kontaktieren Sie bitte Ihren IQVIA Ansprechpartner oder Stefanie Wagner, Key Account Manager bei IQVIA: stefanie.wagner@iqvia.com

Monika Diefenbach

Key Account Management

2 Jahre

Eine sehr interessante und wichtige Information bzw. Zusammenfassung.

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