Meetings in der Remote-Arbeitswelt: Zwischen Notwendigkeit und Belastung
Meetings haben im Zuge des Remote-Arbeitsbooms eine neue, zentrale Rolle eingenommen. Während sie in der klassischen Büroumgebung häufig als lästiges Übel galten, sind sie in der virtuellen Arbeitswelt essenziell geworden. Sie dienen nicht nur dem Austausch von Informationen, sondern zunehmend auch dem Erhalt der sozialen Dynamik in Teams, die sich physisch nicht mehr regelmäßig begegnen. Doch die Gratwanderung zwischen produktiver Zusammenarbeit und zeitraubendem Ritual ist schmal.
Virtuelle Meetings als sozialer Kit
In der traditionellen Bürowelt spielten spontane Interaktionen, wie Gespräche an der Kaffeemaschine oder in der Mittagspause, eine wichtige Rolle. Mit der zunehmenden Verlagerung ins Homeoffice sind solche Gelegenheiten verschwunden. „Eine der größten Herausforderungen in Remote-Teams ist es, den Kontakt zueinander nicht zu verlieren. Meetings bieten eine Chance, die Menschen hinter den Bildschirmen sichtbar zu machen“, ist Henning Wachsmuth, Geschäftsführer von xinonet, überzeugt.
Virtuelle Meetings haben daher eine doppelte Funktion: Sie sind Kommunikationsmittel und Ersatz für soziale Interaktion. Das bestätigt auch eine Studie von Microsoft, die zeigt, dass Teams, die regelmäßig zusammenkommen, produktiver und zufriedener sind. Dennoch kritisiert die Studie, dass viele Besprechungen ineffizient genutzt werden. Häufig fehlt es an klaren Zielen, was zu „Meeting-Fatigue“ führt – einer Art Erschöpfung durch zu viele Online-Termine.
Effizienz versus Belastung
Die Frage, wie viele Meetings sinnvoll sind, bleibt umstritten. „Wir haben erkannt, dass es nicht die Anzahl der Meetings ist, die entscheidend ist, sondern deren Qualität“, erklärt Oliver Fischer, Geschäftsführer von WorkSmart, einem Berliner Start-up, das sich auf agile Arbeitsmethoden spezialisiert hat. „Ein 15-minütiges Daily kann effektiver sein als ein zweistündiges Strategietreffen ohne klare Agenda.“
Eine Umfrage von Statista untermauert diese Einschätzung: 56 % der Befragten gaben an, dass sie durch schlecht organisierte Meetings mehr Zeit verlieren als gewinnen. Gleichzeitig halten 68 % regelmäßige Besprechungen für notwendig, um als Team zu funktionieren.
Ein Lösungsansatz besteht darin, Besprechungen bewusst zu strukturieren. „Wir achten darauf, dass jede Sitzung ein klares Ziel hat und nicht länger dauert als nötig. Außerdem haben wir feste Zeiten für Social Calls eingeführt, bei denen der Austausch im Vordergrund steht“, ergänzt Fischer.
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Die Gefahr der Entfremdung
Doch auch die besten Meeting-Konzepte können das Dilemma nicht lösen, dass Remote-Arbeit häufig die persönliche Verbindung zwischen Teammitgliedern schwächt. „Es reicht nicht, sich auf die gleiche E-Mail-Domain zu berufen, um ein Team zu sein. Menschen brauchen echten Austausch, auch mal außerhalb des Arbeitskontexts“, betont Dr. Nina Krause, Arbeitspsychologin und Dozentin an der Universität Hamburg. Ihrer Ansicht nach tragen Meetings nur dann zur Teamstärkung bei, wenn sie Raum für kreative Interaktion und informellen Austausch lassen.
Diese Beobachtung teilen viele Führungskräfte. „Wir haben uns bewusst entschieden, ein hybrides Modell einzuführen. Zwei Tage im Büro, drei Tage Remote – das hat sich bewährt“, erklärt Daniel Stein, CEO von SteinConsult, einem internationalen Beratungsunternehmen. „So können wir das Beste aus beiden Welten vereinen: Effizienz im Homeoffice und Nähe im Büro.“
Remote-Arbeit im Kontext aktueller Debatten
Die Diskussion über die Vor- und Nachteile von Remote-Arbeit reißt nicht ab. Kritiker wie der Unternehmer Elon Musk sehen in der Homeoffice-Kultur eine Gefahr für die Produktivität. „Remote work ist ein Witz, wenn Du großartige Produkte entwickeln willst. Kollaboration erfordert echte Präsenz“, sagte Musk kürzlich in einem Interview mit The Verge. Befürworter betonen hingegen die gestiegene Flexibilität und Zufriedenheit der Mitarbeiter. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts zeigt, dass 78 % der Beschäftigten Hybridmodelle als ideal empfinden.
Auch gesellschaftliche Aspekte spielen eine Rolle. Laut einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft kann ein vollständiges Arbeiten von zu Hause aus die soziale Kohäsion gefährden, weil der Austausch zwischen unterschiedlichen Lebensrealitäten fehlt. „Die Arbeitswelt spiegelt unsere Gesellschaft wider. Wenn wir nur noch virtuell miteinander kommunizieren, verlieren wir wichtige Impulse und Perspektiven“, warnt Prof. Dr. Barbara Meyer, Soziologin an der Universität Heidelberg.
Die Kunst des Miteinanders in virtuellen Zeiten
Meetings in der Remote-Arbeitswelt sind kein Selbstzweck, sondern ein unverzichtbares Werkzeug, um Teams zusammenzuhalten und die Zusammenarbeit zu fördern. Doch sie bedürfen eines klaren Konzepts. Der häufig zitierte Vorwurf der Sinnlosigkeit von Besprechungen ist oft ein Symptom schlechter Organisation. Wenn Meetings jedoch zielgerichtet und interaktiv gestaltet sind, können sie nicht nur den Informationsaustausch erleichtern, sondern auch den sozialen Kit liefern, den Teams brauchen, um sich als Einheit zu verstehen.
Der Mensch bleibt ein soziales Wesen, ob virtuell oder im Büro. In einer Arbeitswelt, die zunehmend von Distanz geprägt ist, sind gut durchdachte Meetings der Schlüssel, um Nähe zu schaffen – zumindest dort, wo sie am meisten gebraucht wird. Wie sagte bereits der Kommunikationsexperte Paul Watzlawick: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Der Erfolg liegt darin, wie und warum wir es tun.