Mehr als Innovation – was es für wirkliche Weiter-Entwicklung und Wohlstand braucht
Mehr als Innovation – was es für wirkliche Weiter-Entwicklung und Wohlstand braucht (Bild: AlemCoksa/pixabay.com)

Mehr als Innovation – was es für wirkliche Weiter-Entwicklung und Wohlstand braucht

Clayton M. Christensen ist der Meister der Innovation. 1997 hat er mit The Innovators Dilemma den Grundstein für seine weiteren Untersuchungen zum Thema Innovation in Märkten und Unternehmen gelegt. Christensen hat den Begriff der disruptiven Innovation geprägt, den wir heute regelmäßig aus dem Kontext reißen und zumindest anders nutzen als er das als Vordenker tat.

Ein paar Monate vor seinem Tod erschien Das Wohlstandsparadox – ein Thema, das erstmal ziemlich weit entfernt von unserer Realität zu sein scheint: vergebliche Entwicklungshilfe und Innovation. Beim Lesen kapiert man dann irgendwann, dass dieses Buch so etwas wie eine Parabel ist: Die Chancen und Risiken von falsch eingesetztem Geld und fehlender Innovation in nach unseren Maßstäben nicht so erfolgreichen Ländern lassen sich nicht nur auf unsere eigenen Länder übertragen, sondern auch auf unsere Unternehmen. Aber beim Reden und Nachdenken über andere ist ja die Veränderungsbereitschaft oft höher als bei Maßnahmen im direkten Umfeld.

Dafür zunächst die Klärung, was Innovation für Christensen ist: „Unsere Definition von Innovation bezieht sich auf etwas Konkreteres: eine Veränderung der Prozesse, womit Organisationen Arbeit, Kapital, Rohstoffe und Informationen in höherwertigere Produkte und Dienstleistungen umsetzen.“

Auf dieser Basis unterscheidet er drei Arten der Innovation:

  • erhaltende Innovationen, 
  • marktschaffende Innovationen und 
  • Effizienzinnovationen. 

Zudem erläutert er die unterschiedlichen Auswirkungen jeder einzelnen Form von Innovation auf Organisationen (Unternehmen wie Gesellschaften).

Marktschaffende Innovationen als Werttreiber

Die eigentlichen Werttreiber für Staaten und Gesellschaften sind die Unternehmen, die sich mit marktschaffenden Innovationen auseinandersetzen, um Nicht-Konsumenten in Konsumenten zu wandeln. Dafür muss das Verhalten der Konsumenten für den Kauf und die Nutzung des Produktes oder des Services geändert werden. Ein Land und eine Gesellschaft, welche sich weiterentwickeln möchte, egal ob Entwicklungsland, oder bereits hoch entwickeltes Land, benötigt einen stetigen Strom an neuen marktschaffenden Innovationen.

Diese müssen nicht unbedingt Ergebnisse hochkomplexer Grundlagen-Forschung sein, denn meistens werden genau diese für Effizienzinnovationen benötigt, zum Beispiel um einen Fertigungsprozess weitere 10 Prozent effizienter und damit preiswerter zu machen. Erhaltende Innovationen, wie das nächste Feature in unserem Auto oder iPhone, ermöglichen den weiteren Verkauf von Produkten und Services in einem bereits vorhandenen Markt. Sie sind aber für Christensen nicht die Voraussetzung für die echte Prosperität eines Marktes oder einer Gesellschaft.

Im Rahmen von Entwicklungshilfe und auch im Rahmen von Fördermaßnahmen in unseren Gesellschaften fördern und fokussieren wir viel zu sehr auf den technischen Neuheitsgrad und nicht auf die echte Erweiterung eines Marktes durch eine „marktschaffende Innovation“. 

Entwicklungshilfe und die Limitationen beim Übertragen unserer Marktmechanismen

Das aus seiner Sicht größte Problem bei Entwicklungshilfe ist, dass wir Produkte und damit auch die dahinterliegende Markt-Idee aus unserer Gesellschaft kopieren und darauf hoffen, dass diese auch in anderen Märkten funktionieren.

Mit diesem Ansatz kopieren wir Marktmechanismen, die bei uns funktionieren in andere Strukturen. Dasselbe machen wir auch bei Infrastruktur-Themen und der Kopie von Institutionen, die wir in unserem System als sinnvoll erkannt haben, um Gesellschaft und Markt am Laufen zu halten. Dabei kopieren wir unsere „institutionellen Grundlagen (Rechtssysteme, Entscheidungsstrukturen, Finanzsysteme wie Aktienmärkte und Bank-Usancen sowie Strafverfolgungssysteme)“ und denken diese Systeme nicht neu für ein Land.

Interessant ist, dass man mit diesen Gedanken dazu kommt, die Kultur in einem Land, einer Gesellschaft oder einem Unternehmen in die „richtige“ Richtung zu beeinflussen. Aber was ist in diesem Kontext überhaupt Kultur? 

„Kultur ist eine Methode, vereint auf gemeinsame Ziele hinzuarbeiten, die so häufig und erfolgreich verfolgt wurden, dass die Menschen im Allgemeinen nicht einmal daran denken, die Dinge anders zu machen. Hat sich eine Kultur gebildet, werden die Menschen selbstständig das tun, was sie tun müssen, um erfolgreich zu sein.“

Der Zusammenhang zwischen Kultur, Innovation, Institution und Infrastruktur

Aus einer Vielzahl von Beispielen leitet Christensen dann einen fundamentalen Zusammenhang zwischen Kultur, Innovation, Institutionen und Infrastruktur ab: „Bei der Analyse von Institutionen und Innovationen haben wir drei wichtige Lektionen gelernt. Erstens, Innovationen, insbesondere solche, die neue Märkte schaffen, gehen der Entwicklung und dem Unterhalt guter Institutionen voraus. Zweitens, Institutionen müssen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten aufgebaut werden, denn sofern sie keine lokalen Probleme lösen, erweisen sie sich als nutzlos für jene, für die sie bestimmt sind. Und drittens, Innovationen dienen als Bindeglied, das Institutionen zusammenhält.“

Nach Christensens Ansicht ist Infrastruktur „alle staatlichen und privaten Einrichtungen, die für eine ausreichende Daseinsvorsorge und wirtschaftliche Entwicklung als erforderlich gelten.“ „Dabei ist wichtig zu verstehen, dass Infrastruktur in zwei Kategorien unterteilt ist: materielle und immaterielle Infrastruktur. Materielle Infrastrukturen umfassen Straßen, Brücken sowie die Energie-und Kommunikationssysteme einer Region. Immaterielle sind beispielsweise Finanz-, Gesundheits-und Bildungssysteme.“

„Mit dieser Unterteilung im Hinterkopf ergibt sich eine andere, womöglich hilfreiche Definition von Infrastruktur als die effizienteste Methode, durch die eine Gesellschaft Werte verwahrt oder verteilt. Straßen sind beispielsweise das effizienteste von uns entwickelte Medium, um Autos, Lkws oder Motorräder zu verteilen oder zu transportieren; Schulen sind (bislang) der effizienteste Weg, Wissen zu vermitteln; Krankenhäuser und Kliniken sind das effizienteste uns zur Verfügung stehende Vehikel, um Gesundheitsversorgung bereitzustellen.“

Daraus ergeben sich für Christensen die Folgerungen:

„1. Letzten Endes ist der Wert einer Infrastruktur untrennbar mit dem Wert verbunden, den sie verwahrt oder verteilt. 

2. Der verwahrte oder verteilte Wert muss die Infrastrukturbau-und-unterhaltskosten rechtfertigen und letztlich dazu beitragen.“ 

Und nur „Durch die Schaffung eines neuen Marktes können die Gewinne aus diesem Markt für die Finanzierung der Infrastruktur verwendet werden, die in die Wirtschaft gezogen wurde. Auf diese Weise wurden viele bedeutende Projekte in den Vereinigten Staaten entwickelt. Aus sich selbst heraus waren viele von ihnen, wie beispielsweise der Bau von Straßen, Eisenbahnstrecken oder Kanälen, nicht profitabel. Kaum wurde jedoch Infrastruktur in die amerikanische Wirtschaft gezogen, die zu verwahrende oder zu transportierende Werte schuf, wurde diese Infrastruktur im Anschluss wirtschaftlich tragbarer. Die Infrastruktur-Innovations-Gleichung hat sich nicht verändert. Langfristig werden sie wahrscheinlich sehr viel wirkmächtiger sein, wenn die Wirtschaft sie anzieht.“

Kurz: ein gesunder Kreislauf

Auch wenn das mit dieser kurzen Zusammenfassung von Christensens Gedanken nur angerissen werden kann: 

Wohlstand kann nur entstehen und vor allem gehalten werden, wenn wir in einem gesunden Kreislauf von marktschaffender Innovation, Kultur der Menschen, den richtigen und angemessenen Institutionen und der richtigen Infrastruktur zur Demokratisierung von Investitionen leben und diesen weiter entwickeln.

Dieser Ansatz ist damit ein Bauplan nicht nur für Entwicklungsländer, sondern auch für die weitere Entwicklung von unseren westlichen Staaten und unserem Gemeinwesen. 

Und es wird klar, dass die Monopolisierung der großen Digitalkonzerne per se schädlich ist für diesen Kreislauf, weil sie faktisch einen Teil der Infrastruktur betreiben und entgeltlich bereitstellen, die eigentlich demokratisiert werden sollte.

Ich bin begeistert von diesem Gedankengebäude und den Ableitungen, die wir – jetzt leider ohne Christensen – daraus ziehen können.

Clayton M. Christensen: Das Wohlstandsparadox: Warum klassische Entwicklungshilfe scheitert und wie innovative Ideen Hoffnung geben  

Plassen Verlag, 400 Seiten, 24,99 Euro; Kindle Ausgabe 21,99 Euro

Dieser Artikel erschien zuerst auf stefanfritz.de

Malte W.

Founder of le melo | Advocate for Heliogenesis | Writer at Anima Mundi Newsletter |

4 Jahre

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