Mein Beitrag zum Philo-Slam auf der Tagung der Internationalen Gesellschaft für Philosophische Praxis, 22.9.2023 in Salzburg
Formen des Muts: Rosa Parks und Emily Dickinson
Mut macht unser Leben in Freiheit überhaupt erst möglich!
Denn wenn wir den Mut nicht hätten, bliebe uns nur der Gehorsam. Wir kämen nie in die Situation, selbst zu entscheiden was wir tun wollen und mutig unseren eigenen Weg zu gehen.
Wir brauchen in vielen Lebenssituationen Mut: bei Entscheidungen, die unser eigenes Leben betreffen, oder um bei Ereignissen einzugreifen, wo Gefahr droht oder mit denen wir nicht einverstanden sind. Oder auch bei den vermeintlich kleinen Dingen des Lebens – auch eine alltägliche Aufgabe beherzt anzugehen kann mutig sein.
Mut ist eine innere klare, kraftvolle Handlungsaufforderung: viele Menschen, die etwas Mutiges tun, sagen sie hatten gar keine andere Wahl, und finden ihre mutige Handlung selbstverständlich. Diese Menschen handeln nach eigenen Prinzipien und Werten, über die sie sich so sicher sind, dass sie ihnen Kraft -eben Mut - geben.
Aber nicht immer wird uns diese innere Aufforderung den maximalen Mut abverlangen. Oftmals sind viele Handlungen möglich, ohne dass sie gleich mutige Heldinnentaten sein müssen.
Aber dennoch hat jedes Handeln etwas Mutiges an sich – wir fassen uns ein Herz, treten einen Schritt vor. Mit einer mutigen Handlung sagen wir: Ich übernehme Verantwortung für diese Sache, egal wie es ausgeht. Weil es mich etwas angeht, weil es mich und andere betrifft. Ich antworte.
Die Fragen, die an uns gestellt werden und unsere jeweiligen Antworten sind verschieden, und dementsprechend sind die Formen des Muts.
Rosa Parks beantwortete die Frage, die an sie gestellt wurde, in dem sie sich in einem Bus in Montgomery, Alabama weigerte aufzustehen, damit ein weißer Mann sich setzen konnte.
Emily Dickinson beantwortete ihre Frage, in dem sie einen kleinen Vogel im Garten ihres Elternhauses in Amherst Massachusetts zurück in das Nest setzte, aus dem er herausgefallen war.
Rosa Parks Antwort fand in der Öffentlichkeit statt und führte zu ihrer Verhaftung und bildete den Beginn des Civil Rights Movement, das schlussendlich die Gesetze der Rassentrennung abschaffte.
Emily Dickinsons Antwort fand im Privatbereich statt, den sie fast nie verließ, niemand sah es, aber sie hielt das Ereignis in einem Gedicht fest, das heute eins ihrer bekanntesten ist.
Darin plädiert sie dafür, dass der Sinn eines ganzen Lebens erfüllt sei, wenn auch nur ein Lebewesen, und sei es noch so unbedeutend, gerettet werden kann.
Die Fragen, die an uns gestellt werden, können so verschieden sein und es gibt auf JEDE Frage mutige Antworten. Wir würden reflexartig sagen, dass Rosa Parks mutiger war als Emily Dickinson, aber ist das gerechtfertigt? Ich sage, beide sind mutige Frauen, sie haben auf die an sie gestellten Fragen beherzt geantwortet. Das ist es, worauf es ankommt!
Diese inneren Beweggründe, inneren Handlungsaufforderungen, Fragen einer Person können wir aber von außen nicht erkennen. Daher machen wir es dann vom sichtbaren Ergebnis der Handlung abhängig, ob wir im Nachhinein etwas als „mutig“ oder als z.B. „leichtsinnig“ beurteilen: wenn es gut ausgeht, war es mutig, wenn nicht, war es etwas anders.
Das ist falsch! Ob etwas mutig war oder nicht, kann nicht von Ergebnis abhängen! Wir werden all zu leicht ungerecht in unserem Urteil über den Mut von anderen.
Wer hat schon die Form des eigenen Mutes kennengelernt? Und wann haben wir die mutigen Handlungen eines anderen Menschen als solche erkannt? Und wieviel Mut bleibt uns verborgen? Aber der erste Schritt ist, die an uns gerichtete Frage zu hören, denn nur dann können wir antworten. Welche Frage wird an dich gestellt?
Emily Bono
Niemand ist Freund des Verstorbenen
Ich wohne am Land und in den letzten Monaten sind gleich 2 ältere Menschen in meiner Nachbarschaft verstorben.
Wie es üblich ist, erhielten wir eine Trauerparte in unserem Postkasten mit dem ungefähren Wortlaut „Wir geben die traurige Nachricht bekannt, dass unser lieber Mann, Vater, Großvater, Onkel und Cousin von uns gegangen ist.“ Kein Wort von der Eigenschaft des Verstorbenen als Freund! Obwohl ich sicher bin, dass diese Menschen auch gute Freunde hatten und waren.
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Warum ist das? Warum also findet also etwas, dass einerseits so wichtig ist, andererseits so wenig Beachtung?
Weil bei existentiellen Lebensereignissen und in Krisenzeiten eben eher die Familie gefragt ist?
Dann sind die Freunde wohl doch nur die ewigen Zaungäste der Familie, wie es einmal eine Besucherin meiner philosophischen Praxis formulierte. Als gäbe es zwischen Familien und Freunden eine inhärente Konkurrenz oder einen permanenten Konflikt, wobei die Freundschaft dann aber immer den Kürzeren zieht. Die Freunde müssen der Familie somit immer den Vortritt lassen.
Oder weil sich im Alter die Freundschaften verändern? Die Intensität der Freundschaft, so wie wir sie in der Jugend und im Erwachsenenleben erfahren, nimmt in Laufe der Zeit ab. Die Freundschaft verblasst.
Oder Freunde versterben und können nicht ersetzt werden.
Oder es gibt einen Streit, der nicht versöhnt oder etwas, das nicht verziehen werden kann.
Oder man kann sich selbst etwas in Bezug auf den Freund nicht verzeihen. Mit diesem Schmerz kann die Freundschaft nicht fortgeführt werden.
Vieles kann das delikate Geflecht des Freundschaftsbandes stören, und so tendieren Freundschaften im Laufe der Zeit dazu, eben doch zu enden. Und ab einem bestimmten Alter kommen einfach keine neuen dazu. Oder wie viele Menschen kennt ihr, die im Alter neue Freundschaften schließen?
So erfährt die Freundschaft eine beständige Abwertung, bis sie als nahezu wertlos gesehen wird.
Natürlich kann auch die Familie enttäuschen und Beziehungen können scheitern, aber dann ist sie ja immer noch – die Familie. Über diese biologisch eingravierte Beständigkeit verfügt die Freundschaft eben nicht.
Oder hat die Freundschaft vielleicht doch auch Nachteile, die erst im Alter sichtbar werden?
Ist die Freundschaft an die Veränderungen durch das Alter anpassungsfähig genug?
Wer sich lange Zeit ein Bild vom Freund gemacht hat, kann dessen Veränderungen vielleicht nicht erkennen und akzeptieren, besonders nicht, wenn sie eher negativ sind. Weil es die Vermutung nahelegt, dass man sich ja auch selbst auf so eine negative Art geändert haben könnte.
Es ist auch nicht immer angenehm zu spüren, wie sich die Wahrnehmung des eigenen Selbst bei der anderen Person ändert. Gerade dann wird Vertrautheit und Nähe nicht guttun.
Stattdessen sind die Begegnungen mit fremden Personen leichter. Wer kennt nicht die Geschichten von innigen Beziehungen zwischen Menschen, die Hilfe benötigen und ihren Assistenten? Ein ganz bekanntes Beispiel dafür ist der Film „Ziemlich beste Freunde.“ Aber eben nur ziemlich. Gibt es Lebensumstände, in denen es keine besten Freunde geben kann und wodurch die letzte Hürde vom „ziemlich besten Freund“ zum „besten Freund“ doch nicht genommen werden kann?
Aber mich überzeugt das alles nicht. Denn selbst wenn man im allerletzten Lebensabschnitt vielleicht nicht so zu freunden – hier als Verb gemeint, denn Freundschaft ist eine Tätigkeit, wie Ina Schmidt sagt – fähig gewesen ist, sollte es doch hervorgehoben werden, dass es ja nicht immer so war.
Mich stimmt es traurig und empört mich, dass ein so wichtiger Lebensaspekt wie ein Freund gewesen zu sein, doch schlussendlich so wenig Beachtung findet, nicht gewürdigt wird und scheinbar doch keine weitere Bedeutung hat.
Weil etwas wichtiges nicht anerkannt wird und Menschen, die Wertschätzung, die sie verdient hätten, nicht bekommen.
Es ist nicht richtig – kann mir das jemand erklären?
Emily Bono
Autor, Verleger, Dichter und Philosoph beim Mensaion Verlag
1 JahrVielen Dank für Ihre Texte zu Mut und Freundschaft. Mut, Übermut, Hochmut, Edelmut. Und für manche: Wermuth. Der 2. und 3. werden vom 1. und 4. umschlossen, dominiert. Und manchen bleibt weder 2. und 3. noch 1. und 4., sondern nur noch der 5. Wie gestaltet sich die Qualität von Freundschaft? Oder dominiert die Sorge um die Quantität? Wer sich selbst ein guter Freund sein kann, wird es auch anderen sein können. Wenn diese wollen. Aber da viele sich selbst nicht ein guter Freund sind, sind darin Grenzen gesetzt. Worin besteht die Qualität sich selbst ein guter Freund zu sein? Ohne Eitelkeit, Egozentrik oder Selbstdarstellungswillen? Beste Wünsche.