Mein Wunschkunde? Einer, der am Boden liegt.

Mein Wunschkunde? Einer, der am Boden liegt.

Bin gerade auf einer Veranstaltung gefragt worden, welches denn mein Traumkunde wäre. Gemeint: DER Traumkunde. Die Dame fragte: „Für welchen Kunden würden Sie mal am allerliebsten arbeiten?“ Viele Agenturen würden wohl reflexartig antworten: „Für Coca-Cola, Airbnb, MINI, BMW,...!“ Marken mit Größe und Glanz. Für diese und viele tolle andere Marken arbeiten wir aber bereits. Und das sehr gern. Die viel größere Herausforderung indes ist doch eine Marke, die am Boden liegt. Eine Marke, bei der es echt darauf ankommt und bei der der Hilfsversuch der wahrscheinlich entscheidende ist. Seien wir mal ehrlich: Wenn bei einem erfolgreichen Unternehmen mit populärer Marke mal EINE Kampagne oder EIN Projekt floppt: verschmerzbar. Ist blöde, sollte nicht so sein, aber bringt nicht an den Rand des Ruins. Strauchelt aber eine Marke oder liegt sie schon am Boden, dann muss jeder Griff sitzen. Wie bei einer lebensentscheidenden OP.

FDP + HEIMAT = Disruption + Entschlossenheit

Ich habe zum Beispiel großen Respekt davor, was die Kollegen von der Agentur HEIMAT für die und mit der FDP geleistet und geschafft haben, obwohl ich kein Fan der Partei bin. Die FDP war schon fast weg vom Fenster. Große Not erzeugt Druck, ermöglicht Selbsterkenntnis und fordert sowie fördert entschiedenes, beherztes Handeln. HEIMAT hat für die FDP auf eine Art und Weise den Markenkern herausgeschält, einen neuen Auftritt erschaffen, und Kommunikation gestaltet wie man das so bis dahin nicht aus dem politischen Bereich bzw. Wahlkämpfen kannte.

Und da kommen dann mehrere Dinge zusammen:

1)        Ein Kunde in Not weiß, dass er was anders machen und was wagen muss, weil er sonst auch so schon verloren hat.

2)        Ein Kunde, der versteht, dass er nicht im Einerlei gut sein muss, sondern dass er Konventionen und Regeln brechen, dass er was wagen und dass er für Disruption sorgen muss.

3)        Eine Agentur, die genau dafür steht und die den Anspruch hat, Konventionen zu brechen, Dinge zum ersten Mal zu tun und darin konsequent zu sein.

4)        Ein großes Verantwortungsgefühl bei der Agentur. Wissend, dass jeder Schuss sitzen muss, während man gleichzeitig, wenn man Neues macht und Regeln bricht, ein Wagnis eingeht und auch allerhand aushalten muss.

5)        Ein tiefes Vertrauen und starkes Miteinander. Denn beide – Kunde und Agentur – sitzen in EINEM Boot – in einem Boot mit riesigem Leck. Wenn die Sache schief läuft, war es das für den Kunden und die Agentur wird mit einem Worst Case in Verbindung gebracht. Gar nicht gut für Image und Geschäft.

Elbphilharmonie: Jeder Griff muss sitzen

MEIN Traumkunde der vergangenen 18 Monate: die Hamburger Elbphilharmonie. Ich muss die ganze Genese hier ja wohl nicht noch einmal rekapitulieren. Nur kurz: Kostenexplosion, massive Bauverzögerungen, Pannen, Baustopp, Streit, Kritik, öffentliche Entrüstung. Wenn man den Auftrag übernimmt, an einem solchen Wahrnehmungs-Turnaround zu arbeiten, dann ist das eine Herausforderung. Jung von Matt und wir von achtung! haben den Auftrag angenommen. Da spielte Disruption eine Rolle: So ist noch niemals zuvor ein Konzerthaus inszeniert worden – schon gar nicht weltweit. Da spielte Verantwortungsgefühl eine große Rolle: Wenn so viel öffentliche Gelder in ein Gebäude und dann noch in die Kommunikation investiert werden, muss jeder Griff sitzen, darf wirklich nichts schiefgehen, darf es keine Panne geben, sondern muss ALLES, was man tut, definitiv erfolgreich sein. Und da spielte Vertrauen eine große Rolle: Mit jeder erfolgreichen Einzelmaßnahme im Gesamtkonzert der ganzen Kampagne ist ein großes gegenseitiges Vertrauen gewachsen und das gemeinsame Verständnis, wirklich in einem Boot zu sitzen.

LEGO? Klar, heute läufts

Wenn eine Agentur heute gefragt wird, für welche Kunden sie gerne arbeiten würde, dann fällt ganz sicher auch „LEGO“. Klar. Tolle Story. Großartige Marke. Heute zumindest. Wäre der Markenname LEGO auch 2004 so häufig gefallen? Da war die Marke fast am Ende. Der Schuldenberg: gigantisch. Der Markenkern: verschüttet. Die Probleme: gewaltig. Dann aber wurde der Markenkern neu entdeckt und poliert, wurde das Profil geschärft, wurde eine Vision für die Zukunft entwickelt. Heute gilt LEGO als Best-Practice-Beispiel der Wiederbelebung einer schwächelnden Marke. Großartig. Respekt!

Adrenalin-Einschuss in den Blutkreislauf

Wenn die Not groß ist, kann eine Marke vom „Ich bin halt da“-Modus auf Attacke schalten und zum Challenger werden. Wenn wirklich alles, alles sitzen muss, wenn das Herz im Operationssaal offen liegt, wenn alles anders als jemals zuvor zu machen ist, dabei aber kein Fehler passieren darf, dann wird Adrenalin in den Blutkreislauf gespritzt. Bei allen Beteiligten und bestenfalls dann auch in den der Marke. Dann werden Geschichten geschrieben, die man noch erzählt, wenn man 80 ist. Und dann weiß man, dass alles, was man zuvor gelernt und gemacht hat, genau auf diese Aufgabe vorbereitet hat. Das liebe ich! Dann spreche ich von einem „Wunschkunden“ oder gar "Traumkunden".

Harriet Lemcke

Gestalten wir Transformationen und Verbindungen gemeinsam! #ChangeCompanion #Executive Coach #Strategin #Out-of-the-Box-Denkerin #Kommunikationsenthusiastin #Ex-Medienprofi #Mentorin

6 Jahre

Dabei wiederum können ja auch ganz andere Faktoren eine Rolle gespielt haben. 😉 Schönes Wochenende.

Harriet Lemcke

Gestalten wir Transformationen und Verbindungen gemeinsam! #ChangeCompanion #Executive Coach #Strategin #Out-of-the-Box-Denkerin #Kommunikationsenthusiastin #Ex-Medienprofi #Mentorin

6 Jahre

Hm... die FDP-Kampagne sehe ich weniger enthusiastisch. Nicht nur, weil mich die Knallfarben eher an Kinderfete erinnerten und meiner Meinung nach eine Imagekampagne einen angestaubten Haufen zwar optisch aufhübschen und Aufmerksamkeit erzeugen kann, ein grundlegender Wandel aber deutlich mehr braucht. Sondern auch, weil auch heute wohl wenige Wähler wirklich sagen können, wofür die FDP denn steht. Nach ihrem Verhalten in den Sondierungsgesprächen und danach steht sie in meiner Wahrnehmung nicht für bestimmte Inhalte, sondern eher dafür, dass sie gern kritisiert, aber eigene Verantwortung scheut...

Harald Ille

Strategische Kommunikation, intern und extern. Scompler, SharePoint, KI.

6 Jahre

(Mir fällt da noch ein Kunde ein...) ;-)

Heinz Buck

Selbständig bei IT Beratung

6 Jahre

Als Firma würde ich eine Agentur beauftragen, die am boden liegt ... Werbung muss schließlich günstig sein.

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