Meine Empathie hat Grenzen. Ihre auch?
grafische Gestaltung: Frank Bieser

Meine Empathie hat Grenzen. Ihre auch?

Meine Empathie hat Grenzen. Ihre auch?

In einer Trendstudie (n=632) von Great Place to Work® [1] haben Mitarbeitende als wohl entscheidendsten Veränderungswunsch genannt: „Eine klare, kompetente und empathische Führung […]“. Auch wenn zum Zeitpunkt der Befragung pandemiebedingte Verunsicherung geherrscht hat, höre ich den Wunsch nach Empathie auf der Führungsebene häufiger. Empathie gehört bei moderner Führung quasi zum guten Ton. Kürzlich war sogar der Community Talk des Harvard Business managers überschrieben mit „Empathie und soziale Fähigkeiten entscheiden künftig über Karrieren im Topmanagement“.

Daher möchte ich den Begriff „Empathie“ mal praxisnah einordnen und abgrenzen:

► Mitleid

Mitleid ist eine passive Emotion. Wenn man Mitleid hat, kann man sich vorstellen, dass andere leiden. Allerdings kann Mitleid zu Distanziertheit führen oder sogar als Abwertung empfunden werden.

► Mitgefühl

Mitgefühl ist eine konstruktive Emotion, denn es beinhaltet den Wunsch zu helfen. Mitgefühl kann uns motivieren etwas zu tun, um das Leiden anderer zu lindern.

► Empathie

Empathie bezieht sich auf die Fähigkeit, sich in die Gedanken, Gefühle und Perspektiven anderer hineinzuversetzen und zu verstehen, wie es ihnen geht. Empathie ist zunächst ein neutraler Begriff. Sie ist unterschiedlich ausgeprägt und kann durch Erziehung, Erfahrung und genetische Faktoren beeinflusst werden.

🧐  Gilt dann „je empathischer desto besser“? 

Andreas König , Lorenz Graf-Vlachy Jonathan Bundy und Laura Little haben in Ihrem Aufsatz im Academy of Management Review [2] sehr differenziert dargestellt, dass konkret beim Krisenmanagement Empathie im Top Management nicht automatisch ein Erfolgsgarant ist.

Die Autor:innen schreiben, dass Empathie hilfreich sein kann, um frühe Warnsignale von Krisen auszumachen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit harten Kennzahlen untermauert sind. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sehr empathische Führungskräfte sich von emotional aufgeladenen Situationen „anstecken“ lassen.

Ist die Krise bereits da, profitieren empathische CEOs davon, sowohl die sozialen und emotionalen Aspekte in Betracht zu ziehen als auch von der Fähigkeit, komplexe technische Informationen aus unterschiedlichen Quellen zu erhalten. Beispiel: Ingenieure können offener über die Probleme mit der Abgasreinigung sprechen, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Offenheit wertgeschätzt wird.

Zu viel Empathie kann jedoch unangebracht und im Extremfall sogar schädlich sein, wie das drastische Beispiel von AIG zeigt. Zur Erinnerung: Der Versicherungskonzern musste mit 173 Milliarden Dollar Steuergeld aufgefangen werden. Der damalige CEO hielt es in dieser Situation für angemessen, 450 Millionen Dollar Bonus an die Mitarbeitenden der Einheit auszuschütten, die das Debakel maßgeblich verursacht hatten [3]. Als Begründung führte er an, dass diese wahrscheinlich "über ihre Verhältnisse gelebt" und "alle Angst hatten“ [4]. Nicht zuletzt die Steuerzahler:innen dürften für diese Form der Parteilichkeit wenig Verständnis aufgebracht haben.

Fazit

Empathische Führung fühlt sich gut an, kann ein konstruktives Miteinander in der Organisation fördern und ist in vielen Fällen berechtigt. Für die Wahrnehmung von Frühwarnsignalen ist Empathie ebenso dienlich wie für das Herausarbeiten komplexer Zusammenhänge durch Zusammenarbeit über Disziplinen und Hierarchiestufen hinweg. Das Gleiche gilt für das Wiederherstellen des sozialen Gefüges im Nachgang einer Krise.

Es gibt aber auch bei Empathie ein Zuviel-des-Guten, das ich hier mit Zuwenig-des-Faktischen übersetzen möchte: Operationale Abläufe und technische Ursachen dürfen nicht vollkommen ausgeklammert werden, nur weil die Führungsebene Hemmungen hat, auch harte Fragen zu stellen.


Wie sehen Sie das? Ich freue mich auf Ihre Rückmeldungen.



Quellen:

[1] „Österreichs Unternehmen im Corona-Griff“, Great Place to Work®, 11/2020

[2] „A blessing and a curse: How CEOs' empathy affects their management of 

organizational crises“, The Academy of Management Review, 9/2018

[3] „The Worst CEO Screw-Ups of 2013“, Forbes.com, 12/2018

[4] „AIG CEO Robert Benmosche Compares Bonus Criticism to Lynch Mobs“, Rollingstone.com, 9/2013


Katharina Lombardini

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1 Jahr

Danke für diesen Artikel. 🙏 Aus meiner Praxis kenne ich, dass manche meinen mitleiden zu müssen um Mitleid oder Empathie zu zeigen. Wie schon geschrieben, Empathie ist sehr wichtig, aber hat auch ihre Grenzen.

Olf-Sören Heß

Kreative Lösungen durch systematisches Denken

1 Jahr

Guter Artikel. Ich denke Respekt ist eine wichtige Grundlage für Empathie. Aber aus meiner persönlichen Erfahrung weiß ich auch, wenn ich an die Grenze zur Überforderung kam, konnte ich nicht mehr so empatisch sein.

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