Milliarden für die Halbleiter-Industrie: Was bringt der European Chips Act?
Nach der Bilanzveröffentlichung Ende Mai übersprang der Aktienkurs von Nvidia die magische 1000-Dollar-Marke. Aktuell ist Nvidia fast drei Billionen Dollar wert und gehört damit nach kürzester Zeit zu den drei wertvollsten Unternehmen der Welt. Rechenzentren, Unternehmen, Regierungen – alle wollen generative Künstliche Intelligenz (KI) und Nvidia liefert dafür die Chips. Zeitweise waren die Chips so teuer und begehrt, dass sie im Werttransporter ausgeliefert wurden. Designed werden sie in den USA, gefertigt in Asien. Doch welche Rolle spielt Europa im Wettstreit um diese wichtige Zukunftstechnologie? Reichen die Milliarden-Subventionen aus dem European Chips Act, um Produktion und Weiterentwicklung von Halbleitern in Europa zu sichern?
Über viele Jahre verlagerten sich Produktion und Investitionen nach Asien. Angetrieben durch die steigende Produktion von Unterhaltungselektronik und Smartphones entstehen heute ca. 80 Prozent aller Chips in Produktionsanlagen, den sogenannten Fabs, in Asien. Die verbleibenden 20 Prozent Kapazität verteilen sich in etwa gleichmäßig auf die USA und Europa. Beide Regionen haben inzwischen erkannt, dass sie mehr in ihren Ländern produzieren müssen. Nicht nur um Lieferketten zu sichern, sondern weil im Umfeld von Entwicklung und Produktion immer auch ein innovatives Netzwerk aus Zulieferern, Forschung und Startups entsteht, das als Motor für weitere Innovationen fungieren kann.
Das Ziel der EU: Doppelter Marktanteil bis 2030
Aus europäischer Sicht war es deshalb höchste Zeit für eine eigene Initiative, um im Rennen nicht abgehängt zu werden. Daher beschloss die EU den Chips Act, der mit Subventionen von 43 Milliarden Euro durch die Mitgliedsländer den europäischen Anteil an der weltweiten Wertschöpfung – so das Ziel der EU – bis zum Jahr 2030 verdoppeln soll. Um die Zusammenarbeit zu verbessern, haben sich im letzten Jahr rund 30 Regionen aus 12 EU-Mitgliedsländern zusammengeschlossen. ESRA, so der Name der Allianz, ist ein wichtiger und richtiger Schritt, um gemeinsam Europas Position in der Halbleiterbranche zu stärken.
Um Wettbewerbskonflikte zu vermeiden, darf im Zuge des Chips Act nur in Europa bisher nicht vorhandene Spitzentechnologie gefördert werden, beispielsweise im Wachstumsbereich der hoch entwickelten Logik-Chips mit kleinstmöglichen Abständen zwischen den einzelnen Transistoren. Derzeit fertigt nur das Intel Werk in Irland Chips im Bereich von 4 Nanometern, während die Technologieführer in Asien bereits über große Kapazitäten für 3-Nanometer-Chips verfügen. Auf ein Stück Silizium in der Größe eines Daumennagels passen so 200 Milliarden Transistoren. Laut dem von Intel Mitgründer Gordon Moore formulierten Mooreschen Gesetz verdoppelt sich die Anzahl der Transistoren ungefähr alle zwei Jahre. Mehr Transistoren bedeuten mehr Rechenleistung und mehr Datenverarbeitung in kürzerer Zeit. Ohne Fortschritte wie diese gäbe es kein schnelles Internet, keine Blockchain und keine KI. Die Datenverarbeitung würde Jahre dauern.
Erste Erfolge: Intel und TSMC bauen in Ostdeutschland
Bereits ein Jahr nach dem Start des Chips Act sehen wir erste Erfolge. In Deutschland entstehen neue Werke von Intel in Magdeburg für ihre derzeit fortschrittlichste Technologie kleiner 2 Nanometer und TSMC in Dresden. Das taiwanesische Unternehmen baut in Kooperation mit Bosch, Infineon und NXP – es ist das erste Werk des Branchenführers in Europa. Signalisieren diese ersten Erfolge eine Trendwende? Zumal auch STMicron und GlobalFoundries (GF) in Frankreich ein neues Werk planen.
Einerseits scheint der jahrzehntelange Schwund von Marktanteilen bei der Produktion in Europa gestoppt. Laut Einschätzung von Analysten und Verbänden wird der aktuelle Marktanteil von knapp unter zehn Prozent durch die Milliardeninvestitionen nicht weiter sinken. Anderseits wird er – anders als von der Europäischen Union erhofft – bis zum Ende der Dekade wohl auch nicht steigen. Denn im internationalen Wettbewerb zeigt sich, dass Europa im Vergleich zu den USA oder Asien weniger (finanzielle) Schlagkraft hat.
Noch mehr Milliarden: Auch USA und Asien subventionieren
Mit 53 Milliarden US-Dollar an direkten Subventionen, 75 Milliarden an Krediten und weiteren Steuervergünstigungen hält der US CHIPS Act dagegen. Die USA führen zudem in wichtigen Bereichen wie beim Chipdesign oder bei der Erforschung der Künstlichen Intelligenz. Auch Asien subventioniert Halbleiter stärker als Europa. In China unterstützt der staatliche Investmentfond seit 2014 mit insgesamt 70 Milliarden Dollar seine Halbleiterindustrie, um die Abhängigkeit von den USA zu verringern. Auch Taiwan, Korea und Japan subventionieren ihre heimische Industrie ebenfalls mit ähnlich milliardenschweren Programmen.
Welche Erfolgsaussichten hat der European Chips Act angesichts dieser Summen? Auf den ersten Blick hat die EU finanziell weniger zu bieten, die Mitgliedsstaaten sind zudem durch strenge Subventionsregeln gebunden. Es gibt aber europäische Erfolgsfaktoren, die Hoffnung machen.
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Vorteil Europa: Ausbildung, Forschung und systemische Innovation
Dazu zählt ein historisch gewachsenes und über Jahrzehnte erprobtes Ausbildungssystem. Europa hat viel Potenzial in den MINT-Studienfächern und der Kampf um die klugen Köpfe scheint mir noch nicht ganz so intensiv wie etwa in den USA. Dasselbe gilt für die vielen sehr gut und praxisorientiert ausgebildeten Facharbeiter im dualen System, das in Teilen Europas praktiziert wird.
Europa verfügt auch über eine vielfältige und über Jahrzehnte gewachsene Forschungslandschaft. Die Einrichtungen an Universitäten, in Unternehmen und privaten Gesellschaften sind traditionell bestens vernetzt. Experten beurteilen die europäische Forschung speziell in den Zukunftsbereichen Quantum-Computing und Neuromorphic-Computing als hervorragend. Das imec im belgischen Leuven ist das weltweit führende Institut für die Erforschung von Halbleitern und deren Produktion. Bereits seit vier Jahrzehnten wird im imec international und unternehmensübergreifend zusammengearbeitet. In gegenseitigem Vertrauen teilen hier unterschiedliche Hersteller ihre neuesten Forschungen zum Nutzen aller. Experten gehen davon aus, dass die hoch spezialisierte Halbleiter-Industrie nur durch diese intensive Form der Zusammenarbeit in Zukunft die notwendigen systemischen Innovationen hervorbringt und weitere Fortschritte ermöglicht. Ein wichtiger Baustein in dieser Strategie sind die kürzlich angekündigten Pilot-Lines.
Auch internationale Topkonzerne forschen in Europa
Die Führungsposition des imec unterstreicht die Bedeutung Europas als international beachteter Forschungsstandort. Neben guten wissenschaftlichen Voraussetzungen schätzen internationale Firmen und ihre Mitarbeitenden die hohe Lebensqualität, die demokratische Tradition und kulturelle Vielfalt Europas. Apple investiert beispielsweise zwei Milliarden Euro in ein neues Chip Design Zentrum in München und Tim Cook lobt seine Münchner Ingenieurteams als innovative Weltspitze. Auch Merck erweitert seine Forschungsaktivitäten in Europa und investiert in Darmstadt 1,5 Milliarden Euro bis 2025.
Hightech europäischer Firmen steckt in jedem Chip
Auch wenn sich unter den zehn größten Chipherstellern der Welt kein europäischer findet, so steckt doch in jedem modernen Chipwerk europäische Hochtechnologie. Unternehmen wie ASML, Schott, Zeiss, Wacker, Trumpf, ASM, Aixtron aber auch Merck verfügen in ihren Bereichen über ein weltweit einzigartiges Wissen. Ziel der mit dem EU Chips Act verbundenen Investitionen sollte es sein, diesen technologischen Vorsprung zu bewahren.
Neben guten Forschungsbedingungen und weltweiten Technologieführern verfügt Europa über eine hohe Kompetenz im Bereich Energieeffizienz. Durch das schnelle Wachstum bei den Anwendungen zur Künstlichen Intelligenz achten die Unternehmen inzwischen verstärkt auf den Stromverbrauch ihrer Chips. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren verstärken. Bei Stromsparsystemen besitzen europäische Hersteller wie Infineon bislang einen Technologie-Vorsprung.
EU muss auch in Künstliche Intelligenz investieren
Es lohnt sich also ein erweiterter Blick auf die vorhandenen Stärken Europas und seiner Halbleiter-Industrie. Die Europäische Union ist gut beraten, mit den Mitteln des European Chips Act nicht ausschließlich Werke zu subventionieren, sondern sich auf die eigenen Stärken zu besinnen und diese vornehmlich zu fördern. Gleichzeitig müssen Defizite beispielsweise beim Chipdesign oder bei den bürokratischen Hürden beseitigt werden. Intel benötigte für die Abgabe der Genehmigungspapiere für seine Magdeburger Fabrik dem Vernehmen nach einen LKW.
Europa braucht seine Halbleiter-Kompetenzen auch, um beim Zukunftsthema Künstliche Intelligenz Anschluss zu halten. Im Bereich Forschung ist Europa hier bereits gut aufgestellt und erhält beispielsweise vom KI-Guru Jörg Schmidhuber die Schulnote 1.0. Der gesellschaftliche Wandel durch diese Zukunftstechnik ist mächtig. Ohne sie sind weitere wichtige europäische Projekte wie die Energiewende oder der Green Deal zum Klimaschutz nicht erreichbar.