Nö, doch nicht!- Wirksamkeit eines sog. Handwerker-Widerrufs nach Ausführung des Auftrags (VII ZR 151/22)

Nö, doch nicht!- Wirksamkeit eines sog. Handwerker-Widerrufs nach Ausführung des Auftrags (VII ZR 151/22)

Moin zusammen,

heute empfehle ich ein Urteil des VII. Zivilsenats vom 6. Juli 2023, in dem es mal wieder um ein klassisches Examensthema geht, nämlich den Widerruf eines "Haustürgeschäfts" - hier in der Form des "Handwerker-Widerrufs".

Was ist passiert?

Die Kläger beauftragten den Beklagten mit der Erneuerung von Dachrinnen und mit Abdichtungsarbeiten im Eingangsbereich ihres Reihenhauses (Hauptauftrag). Während der Ausführung dieser Arbeiten am 22. und 23. August bemerkte ein Mitarbeiter des Beklagten, dass der Wandanschluss des Daches defekt war, und teilte dies dem Kläger mit. Nachdem der Beklagte dem Kläger die ungefähre Größenordnung der für diese, vom Hauptauftrag unabhängigen Arbeiten anfallenden Vergütung sowie die voraussichtliche Dauer der Arbeiten mitgeteilt hatte, beauftragten die Kläger den Beklagten auch mit diesen Arbeiten (Zusatzauftrag), die anschließend ausgeführt wurden. Der genaue Ablauf der Beauftragung ist zwischen den Parteien streitig. Die Kläger zahlten die für beide Aufträge vom Beklagten in Rechnung gestellte Betrag.

Mit einem am 5. September in den Briefkasten des Beklagten eingelegten Schreiben widerriefen die Kläger beide Aufträge als Haustürgeschäfte und nehmen den Beklagten auf Rückzahlung des Werklohns in Anspruch.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, weil ein Widerruf jedenfalls rechtsmissbräuchlich sei. Das Berufungsgericht hat dieses Urteil in Bezug auf den Zusatzauftrag abgeändert und den Beklagten insoweit zur Zahlung verurteilt. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.

Worum geht es?

Die Kläger haben den Zusatzauftrag als Haustürgeschäft widerrufen.

Da der Zusatzauftrag auf der Baustelle und damit außerhalb der Geschäftsräume des Beklagten geschlossen wurde, kommt ein Widerrufsrecht nach §§ 312g Abs. 1, 312b Abs. 1 BGB grundsätzlich in Betracht.

Ist dieser Widerruf wirksam, ist der Beklagte gemäß §§ 355 Abs. 3 S. 1, 357 Abs. 1 BGB verpflichtet, den empfangenen Werklohn an die Kläger zurückzuzahlen. Das Problem: Schon wegen der fehlenden Widerrufsbelehrung hätte er keinen Wertersatzanspruch für die erbrachten Leistungen (§ 357a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB) und damit die Reparatur auf eigene Kosten erbracht.

Der BGH hat - anders als das Berufungsgericht - seiner Entscheidung den - nach Zurückverweisung aufzuklärenden - Tatsachenvortrag des Beklagten zugrunde gelegt, wonach der Beklagte den Klägern telefonisch ein Angebot für den Zusatzauftrag gemacht habe, das die Kläger erst am nächsten Tag auf der Baustelle angenommen hätten (hierzu noch am Ende).

Auf dieser Grundlage hatte sich der BGH mit folgenden Fragen beschäftigt:

  • Genügt es für die Annahme eines Haustürgeschäfts nach § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB, dass die Kläger ihre Annahmeerklärung in Anwesenheit des Beklagten auf der Baustelle abgegeben haben?
  • Muss § 312b Abs. 1 Nr. 2 BGB richtlinienkonform und über den Wortlaut hinaus auch dann angewendet werden, wenn der Verbraucher kein Angebot abgegeben, sondern - wie hier - die Annahme erklärt hat?
  • Wäre der Widerruf der Kläger nicht ohnehin nach § 312g Abs. 2 Nr. 11 BGB ausgeschlossen, weil die Kläger den Beklagten unstreitig aufgefordert haben, die erforderlichen Arbeiten im Rahmen des Zusatzauftrags auszuführen?
  • Und was ist mit dem Argument des Beklagten, dass es am rechtzeitigen Absenden der Widerrufserklärung nach § 355 Abs. 1 S. 5 BGB fehle, weil die Kläger ihr Schreiben unstreitig nicht per Post versandt, sondern selbst in seinen Briefkasten eingelegt hätten (sic!).
  • Schließlich: Hatte das Amtsgericht mit seiner Auffassung recht, dass der Widerruf rechtsmissbräuchlich sei?

Warum solltest du die Entscheidung noch lesen?

  1. Da die Regelungen zum Verbraucherwiderruf im Allgemeinen und zum Haustürwiderruf im Besonderen europäische Verbraucherschutzrichtlinien umsetzen, hat der BGH die einschlägigen Vorschriften richtlinienkonform ausgelegt. Mit dieser wichtigen Auslegungsmethode solltest du vertraut sein.
  2. Der BGH sah keinen Grund, die Sache dem EuGH vorzulegen. Die Grundzüge des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV solltest du kennen.
  3. Die Erteilung von Folge- oder Zusatzaufträgen auf der Baustelle kommt in der Baupraxis regelmäßig vor. Trotzdem hat der EuGH in seinem Urteil vom 17. Mai 2023 (C-97/22) (auf die Vorlage des Landgerichts Essen) keinen Grund gesehen, den Wertersatzausschluss für erbrachte Leistungen bei unterbliebener Widerrufsbelehrung (im deutschen Recht heute der erwähnte § 357a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB) irgendwie abzufedern. Diese Entscheidung solltest du bei Gelegenheit lesen.

Und sonst?

Das Berufungsgericht hat im Rahmen des streitigen Beklagtenvortrags im Tatbestand seines Urteils die vom BGH aufgegriffene Behauptung des Beklagten zu dessen telefonischem Angebot am ersten und der Annahme durch die Kläger auf der Baustelle am zweiten Tag aufgeführt. In den Entscheidungsgründen ist es dann aber davon ausgegangen, dass der Zusatzauftrag unstreitig bei gleichzeitiger Anwesenheit der Kläger und des Beklagten auf der Baustelle erteilt worden sei.

Der BGH befasst sich deshalb kurz mit der Frage, ob die (fehlerhafte) Feststellung durch das Berufungsgericht nach § 314 ZPO bindend ist, weil der Beklagte keinen Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 Abs. 1 ZPO gestellt hat, der nach ständiger Rechtsprechung auch die Wiedergabe von Parteivortrag in den Entscheidungsgründen des Urteils erfasst. Er hält aber an der ebenfalls ständigen Rechtsprechung fest, dass im Fall widersprüchlicher Feststellungen keine Bindungswirkung eintrete und folglich auch keine Tatbestandsberichtigung erforderlich sei.

Im Hinblick auf Berufungsklausuren im zweiten Examen habe ich mich bereits in einem früheren Beitrag mit der 𝘽𝙞𝙣𝙙𝙪𝙣𝙜 𝙖𝙣 𝙙𝙞𝙚 𝙁𝙚𝙨𝙩𝙨𝙩𝙚𝙡𝙡𝙪𝙣𝙜𝙚𝙣 𝙯𝙪𝙢 𝙋𝙖𝙧𝙩𝙚𝙞𝙫𝙤𝙧𝙩𝙧𝙖𝙜 𝙞𝙢 𝙏𝙖𝙩𝙗𝙚𝙨𝙩𝙖𝙣𝙙 𝙙𝙚𝙨 𝙖𝙣𝙜𝙚𝙛𝙤𝙘𝙝𝙩𝙚𝙣𝙚𝙣 𝙐𝙧𝙩𝙚𝙞𝙡𝙨 beschäftigt:

📣 Und nicht vergessen: Schreib regelmäßig Übungsklausuren! 1️⃣8️⃣✅

Mit den besten Grüßen aus Hamburg

Janko Büßer


Arne Geugelin

Bauingenieur Infrastruktur - Immobilien - Kalkulation - Vertragsmanagement - Facilitymanagement

1 Jahr

Schon traurig, dass das keine theoretische Prüfungsaufgabe ist, sondern tatsächlich passiert ist. Kein Wunder, dass manche Hausbesitzer keine Handwerker mehr finden. Ungerechtfertige Bereicherung würde ich als Nichtjurist zum Verhalten dieses Auftraggebers sagen. Aber wieder was dazugelernt.

Heiko Fuchs

Prof. Dr. | Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei Kapellmann | Honorarprofessor für Bauvertragsrecht an der HHU

1 Jahr

Herrlicher Fall, der noch viele Folgefragen aufwirft: Das Prozedere für Zusatzaufträge ist für den Bauvertrag in § 650b Abs. 1 BGB geregelt, dort findet sich nichts zum Verbraucherschutz. Offenbar gelten die allgemeinen Widerrufsrechte aber auch für eine diesbezügliche Einigung. Was ist aber, wenn diese scheitert und der Besteller die Änderung nach Abs. 2 einseitig anordnet, sodass der Vergütungsanspruch des Unternehmers aus § 650c BGB auch ohne Einigung entsteht. Ist die Anordnung auch widerruflich? Muss der Besteller (wann) belehrt werden?

Dr. Sven Mueller-Grune

Professor für Öffentliches Wirtschaftsrecht

1 Jahr

Eine wunderbare Entscheidung! Am Ende des Studiums sollte es einen mit den Qualen des Anfangs versöhnen. Angebot und Annahme hoch und runter, ist das wirklich wichtig? Aber sehr wohl, wie dieser Fall zeigt. Und es sollte allen Unternehmern kommuniziert werden, diese zeitliche Zäsur auch für die eigene Praxis zu übernehmen!

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