Nachhaltigkeit in Zeiten von Covid-19

Nachhaltigkeit in Zeiten von Covid-19

Andreas Knörzer*

Das Corona Virus ist weder eine Strafe Gottes noch Warnfinger eines geplagten Planeten. Allerdings ist der Umgang mit der Pandemie und die Folgen davon im höchsten Mass für die ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklung inklusive den sich daraus ergebenden finanziellen Konsequenzen relevant: Für Unternehmen, Arbeitnehmerschaft, Steuerzahlende und eben auch für Investoren, seien es Pensionskassen oder private Anleger.

Der Nebel des Nichtwissens hebt sich langsam und viele Länder bewegen sich schrittweise zurück in Richtung «Normalität». Ein guter Zeitpunkt, die aus der Bewältigung dieser Pandemie gemachten Erfahrungen zu identifizieren, die zur Bewältigung der ökologischen und sozialen Herausforderungen, besonders des Klimawandels helfen können. Zudem interessiert, wie krisenbedingte Verhaltensänderungen sich auf das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen auswirken, kurz: gibt es Nachhaltigkeitsgewinner- oder Verlierer, und wie soll sich ein Investor entsprechend orientieren?

Lessons learned

Mit der notwendigen Demut angesichts der immer noch nicht ausgestandenen Pandemie lassen sich sieben hilfreiche Erkenntnisse gewinnen.

Erstens: Globale Krisen erfordern eine globale Zusammenarbeit, volle und frühzeitige Transparenz. Situativ und flexible auf regionalen Fakten basierte Massnahmenumsetzung gewinnt die notwendige Akzeptanz der Bevölkerung. Demokratien mit funktionierenden Institutionen und gutem Ressourcen-Management sind mehrheitlich besser durch die Krise gekommen als Länder mit autokratischen Ausprägungen, haben dabei geringere wirtschaftliche Schäden erlitten und verfügen über grössere Handlungsspielräume in der Zukunft. Nachhaltigkeitsanalysen von Ländern haben dies relativ treffsicher angezeigt und sich einmal mehr als für den Investor wertvoll erwiesen.

Zweitens: Die Wissenschaft zählt, selbst wenn die angewandten Modelle regelmässig adjustiert werden müssen. Dies sagt auch etwas aus über den Zweck von Modellen. Es sind Risikobarometer, sagen etwas aus über die Eintretenswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und deren Folgen, resp. Kosten. Die Forderung nach ultimativer Genauigkeit ist fehl am Platz. Das gilt auch für Klimamodelle. Aufgrund der prognostizierten Bandbreite von Klimaschäden für Natur, Bevölkerung und Wirtschaft hat die Politik Massnahmen verabschiedet. Die Berücksichtigung von Klimamodellen in Finanz und Wirtschaft ist demzufolge einfach auch gutes Risikomanagement.

Drittens: Der Tunnelblick auf ein einziges Thema ist gefährlich. So wichtig der Klimawandel ist, die fast exzessive Fokussierung der Politik darauf hat den Blick auf andere Risiken vernebelt, haben doch Wissenschaftler aber auch Wirtschaftsgrössen wie Bill Gates schon lange ungehört auf die Risiken von Pandemien verwiesen. Zudem wurde wohl das Coronavirus, wie die vorherigen auch, zu lange als ein «asiatisches» Problem betrachtet. Was lernen wir daraus? Zum einen das Nachhaltigkeit ein breit gefächertes, ausbalanciertes Konzept, zum anderen das eine globale Perspektive wichtig ist.

Viertens: Eine bessere Balance zwischen Effizienz und Resilienz ist notwendig. Dies haben die vielfältigen durch das Zusammenbrechen von Lieferketten, gerade auch für «systemkritische» Güter, verursachten Probleme gezeigt. Das kostet, zahlt sich aber bei krisenbedingten Engpässen aus. Nachhaltigkeitsanalysen beurteilen Lieferantenbeziehungen schon länger und sind damit gut gefahren.

Fünftens: De-Globalisierung und Renationalisierung sind keine guten Nachhaltigkeitsmodelle. Ein besserer Zugriff auf die Produktion von systemrelevanten Gütern ist notwendig, aber das Abwürgen der heutigen globalen Vernetzung ist weder wünschenswert noch realistisch, sondern ein Wachstumskiller. Einerseits brauchen wir diversifizierte Export- und Importmärkte, andererseits ist es auch aus nachhaltiger Sicht unerlässlich, dass Schwellen- und Entwicklungsländer ihren fairen Anteil am Fortschritt generieren können. Dazu braucht es offene Märkte und Grenzen. Für den Investor folgt, dass bei Investments in Schwellenländer die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien imperativ ist.

Sechstens: Nachhaltigkeits-, besonders Klimathemen, haben den medialen Corona-Tsunami überlebt. Die Bevölkerung hat sich nicht durch die krisenbedingte Reduktion des CO2-Ausstosses in diesem Jahr (für 2020 auf minus 5-10% geschätzt) blenden lassen. Gefordert werden Emissionsreduktionen «by design» und nicht «by desaster», um unsere Umweltprobleme langfristig zu lösen. Damit das Klima nicht zum Virusopfer wird, braucht es grosse Anstrengungen. Einmalig die Gelegenheit, allfällige Konjunkturprogramme so auszugestalten, dass Nachhaltigkeit gebührend und gezielt berücksichtigt wird. Dies fordern unter Anderem Studien der Boston Consulting Group, das Positionspapier der beiden Schweizer Nachhaltigkeitsverbände öbu und swiss cleantech, aber auch die Internationale Energieagentur (IEA). Themen sind dabei Digitalisierung, Energieeffizienz und erneuerbare Energien, medizinische Versorgung, intelligente Mobilität. Geldfluss in wenig zukunftsfähige Geschäftsmodelle, wie z.B. in Form von Autokaufprämien, haben keinen Platz. Investoren sollten dies berücksichtigen.

Siebtens: Nachhaltige Geldanlagen haben, wie auch 2008/9 und 2011/12, auch in dieser Krise bewiesen, dass sie gegenüber dem Gesamtmarkt widerstandsfähiger sind, wie die untenstehende Grafik, basierend auf einem Vontobel Nachhaltigkeits-Universum, verdeutlicht. Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien, z.B. in der Beziehung eines Unternehmens zu den Mitarbeitenden, den Kunden und Lieferanten sowie zur Öffentlichkeit sowie der Umweltleistungen, hat sich ausgezahlt.

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Eine Analyse des Datenanbieters Micropal kommt auf ähnliche Ergebnisse: Rund 60% der erfassten Nachhaltigkeitsfonds haben über alle Krisen hinweg den Vergleichsindex geschlagen (FT 15.06.20). Entsprechend wurden Anbieter von Nachhaltigkeitsfonds durch weiterhin gute Mittelzuflüsse belohnt. Soweit, dass Wertpapierhäuser wie Morgan Stanley dies als Kriterium für Ihre Handelsempfehlungen von Vermögensverwaltern heranziehen (Morgan Stanley Research).

Revolution oder Evolution

Führt die Corona-Krise bei den Konsumentinnen und Konsumenten und in der Wirtschaft generell zu einem radikalen Umdenken bezüglich Konsumverhalten und Lebensmodellen? Anders formuliert: Kann Suffizienz (weniger ist mehr) ein Lösungsansatz für unsere Umweltprobleme sein?

Wohl eher nein. Der ökonomische Stillstand, mit dem die kurzfristigen Umweltverbesserungen (markanter Rückgang der CO2-Emissionen, saubere Luft in den Städten, Verbesserung der Wasserqualität) erreicht wurden, kommt mit einem nicht akzeptablen wirtschaftlichen und finanziellen Einschnitt und entsprechenden sozialen Kosten daher. Viele Indikatoren zeigen entsprechend schon wieder eine Tendenz nach oben: Der Detailhandel erholt sich, die Verkehrsmittel werden wieder genutzt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Corona bedingte Anpassungen an die Arbeits- und Konsumwelt die sich bereits vorher abzeichnenden Trends beschleunigen werden, zum Teil ausgeprägt. Es bedarf aber innovativer und technischer Lösungen, da evolutionäre Verhaltensänderung allein nicht ausreicht. Investitionsprogramme wie der EU Green Deal sowie regulatorische Verschärfungen unterstützen dabei.

Entscheidender als die Frage, wie sich die Corona-Pandemie aktuell positiv oder negativ auf die drei Nachhaltigkeitssäulen Umwelt, Soziales und Governance auswirkt, ist die Frage, ob Nachhaltigkeit in der Erholungsphase weiterhin auf dem Radar bleibt oder sogar an Bedeutung gewinnt. Hier gibt es viele ermutigende Anzeichen aber auch einige grosse Herausforderungen. Gerade in den Schwellenländern ist die wirtschaftliche Not akut und wird diese Länder in ihrer Entwicklung zurück. Entsprechend hat die wirtschaftliche Erholung Priorität, weiterhin basierend auf fossilen Energien, wie das Beispiel China zeigt.

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Nachhaltigkeitschancen- und Risiken nach Corona

Flexible, dezentrale Arbeitsplatzmodelle funktionieren, sowohl für Arbeitgeber wie Arbeitnehmende. Etabliert haben sich in sehr kurzer Zeit - Not macht erfinderisch - digitale Kommunikationslösungen, sowohl im Kundenkontakt, in der Ausbildung als auch für die betriebsinterne Kommunikation. Dies alles reduziert verkehrsbedingte Emissionen und hilft in Zeiten physischer Distanz sozial weiter zusammen zu stehen. Damit dies dauerhaft bleibt, braucht es weitere Investments in IT, Cloudlösungen, Telekomdienstleistungen. Das gleiche lässt sich über Online-Lösungen im Konsum sagen, dazu gehören Handel, virtuelle Freizeit, e-Learning. Entsprechend wollen gemäss einer Handelsblattumfrage rund 40% der Unternehmen in das Internet der Dinge, Cloud-Logistik und sogar 55% in Lagerautomatisation (eine nachgelagerte Notwendigkeit des Online-Handels) investieren und für reibungslosere Prozesse sorgen.

Aber diese Trends haben auch ihre Kehrseiten: Online-Handel heisst immer auch mehr und grössere Lager. Entsprechend könnte das Virus auch zu einer raumplanerischen Herausforderung werden. Gleichzeitig ist die Nachhaltigkeit von Büroimmobilien neu zu beurteilen um dem Trend zu Home-Office gerecht zu werden. Onlinehandel schafft Arbeitsplätze, aber oft in kritischen Verhältnissen. Stichworte sind hier Zeitdruck, Akkord, tiefe Löhne. Aber die wohl grösste Herausforderung liegt in der Entwicklung des Internet zum Klimakiller, aufgrund des stetig steigenden Energieverbrauchs mit Emissionslasten, die über denjenigen des Flugverkehrs liegen. Entsprechend muss dieser gordische Energieknoten durchschlagen werden, indem noch mehr in fossilfreie Energieträger und Energieeffizienz investiert wird. Dies kann gelingen, obwohl Erdöl und Erdgas dank Tiefstpreisen wettbewerbsfähiger geworden sind. Aber die Preise sind inzwischen so tief, dass die Förderung der schädlichsten Reserven (Ölsand, Schiffergas) finanziell nicht mehr rentiert. Gleichzeitig werden Erneuerbare billiger. Das hat auch BP so gesehen und seine Reserven in den Büchern gerade erst um USD 17.5 Mrd. abgewertet. Andere Firmen kürzen die Dividenden.

Die Pandemie hat die Bedeutung von Gesundheit bewusster gemacht. Einerseits im medizinischen Sinne, wo viele Investitionen notwendig sein werden, um das Nachhaltige Entwicklungsziel der UN, «Gesundheit und Wohlbefinden», zu befördern. Andererseits sind die Herausforderungen in den Schwellenländern oft hygienischer Natur. Das bedeutet auch Investments in eine bessere Wasserinfrastruktur.

Dagegen sind die auf Teilung oder gemeinsame Nutzung (shared economy) ausgerichteten Geschäftsmodellen mit Fragezeichen versehen. Denn die Akzeptanz des öffentlichen Verkehrs, Co-Working-Arbeitsplätze, Uber etc. hat in der Krise gelitten. Es braucht gute Antworten, um diesen nachhaltig richtigen Ansätzen wieder Schwung zu verleihen.

Nachhaltige Investments – Jetzt erst recht

Ein gegenseitiges Ausspielen der zwei grossen gesellschaftlichen Herausforderungen, Stopfen der pandemiebedingten gigantischen finanziellen Löcher und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und Klimawandel, führt nicht zum Ziel. Im Gegenteil: Aus der Coronakrise können wertvolle Erfahrungen gewonnen und durch überlegte, zukunftsorientierte Investitionen einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise zum Erfolg verholfen werden. Die in der Krise etablierten Gewohnheiten wie Arbeitsplatzflexibilität, Online Einkaufen, Lernen und Kommunizieren bedingen weitere Investitionen, die für an Nachhaltigkeit interessierte Anleger attraktiv sind. Dabei ist die Resilienz der Geschäftsmodelle ein besonders wichtiges Kriterium. Zudem wollen sich immer mehr Anleger vom Zweck (und nicht nur Ziel) eines Unternehmens überzeugen. Wenn mit einer differenzierten Betrachtungsweise auch mögliche Nachhaltigkeitsverlierer identifiziert werden, sollten sich gesamthaft finanziell attraktive Ergebnissen erzielen lassen. Somit ist eine Krise immer auch eine Chance.

*Andreas Knörzer ist Vice Chairman und Head ESG Investment Governance Committee bei Vontobel Asset Management und Geschäftsführer von Knörzer Consulting. Er hat über 30 Jahre Erfahrung mit Nachhaltigen Investments. andreas@knoerzer-consulting.ch

Lorenz Hahn

Initiator, Gründer und Vorstand bei Internationales Forum der Nachhaltigkeit | Linkedin Top Voice 2022 |

3 Jahre

Spannender Beitrag genau in dieser Zeit 👍

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