"Nachträgliche Mietminderung"​ - BGH stärkt Mieterrechte (VIII ZR 100/18)

"Nachträgliche Mietminderung" - BGH stärkt Mieterrechte (VIII ZR 100/18)

Bei Vorliegen eines Mangels der Mietsache, der die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache mindert oder aufhebt, und entsprechender Anzeige des Mangels (§ 536c Abs. 2 S. 2 BGB) ist die Miete gemäß § 536 BGB kraft Gesetzes gemindert. Sofern das Minderungsrecht nicht wirksam vertraglich modifiziert ist, gibt es daher in der Praxis regelmäßig zwei alternative Handlungsmöglichkeiten für den Mieter: Entweder er schätzt eine angemessene Minderungsquote und zahlt nur eine entsprechend geminderte Miete, oder er zahlt die volle Miete, stellt die Zahlungen aber jeweils unter den Vorbehalt der (teilweisen) Rückforderung. Letztere Alternative empfiehlt sich insbesondere dann, wenn der Mieter das Risiko vermeiden möchte, dass sich die geschätze Minderungsquote als zu hoch herausstellt und deshalb ein kündigungsrelevanter Rückstand aufläuft.

Wählt der Mieter keine der beiden Alternativen und zahlt die Miete in Kenntnis des Mangels vorbehaltlos weiter, ist eine spätere Rückforderung wegen Kenntnis der Nichtschuld gemäß § 814 Alt. 1 BGB ausgeschlossen - so jedenfalls der Regelfall.

In einem aktuellen Beschluss vom 04.09.2018 (VIII ZR 100/18) hat der BGH nun allerdings klargestellt, dass in bestimmten Fällen auch eine "nachträgliche" Mietminderung in Betracht kommt:

Zunächst bestätigt der BGH allerdings noch einmal der vorstehend skizzierten Grundsatz:

"Der Kondiktionsausschluss des § 814 Alt. 1 BGB greift - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erst ein, wenn der Leistende nicht nur die Tatumstände kennt, aus denen sich ergibt, dass er nicht verpflichtet ist, sondern auch weiß, dass er nach der Rechtslage nichts schuldet. [...] Zwar ist - wie die Revision zu Recht geltend macht und das Berufungsgericht verkennt - von einer positiven Kenntnis einer Minderung nach § 536 BGB nicht erst dann auszugehen, wenn der Mieter über eine umfassende Kenntnis sämtlicher Elemente des Minderungsrechts nach § 536 BGB verfügt. Angesichts des Umstands, dass eine Minderungsquote in aller Regel wegen der dabei in vieler Hinsicht gegebenen Bemessungsunwägbarkeiten (Art, Dauer, Erheblichkeit des Mangels) von einem Laien - und häufig auch von einem rechtlichen Beistand - nur überschlägig angesetzt werden kann, steht einem Kondiktionsausschluss nach § 814 Alt. 1 BGB nicht entgegen, dass sich der Mieter nur zu einer ungefähren Bestimmung einer Minderungsquote in der Lage sieht.

Sodann stellt er aber klar, dass der Kondiktionsausschluss in bestimmten Fällen nicht eingreift:

"Gleichwohl hält die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Denn das Berufungsgericht stellt zu Recht darauf ab, dass den Beklagten ausweislich der - auch von der Revision angeführten - E-Mails des Beklagten zu 2 vom 15. Oktober 2015 und vom 5. November 2015 zumindest ein wesentlicher rechtlicher Aspekt nicht bewusst war, nämlich der Umstand, dass eine Mietminderung kraft Gesetzes eintritt, wenn ein Mangel vorliegt, der die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache mindert oder aufhebt (§ 536 BGB) und der dem Vermieter angezeigt worden ist (§ 536c Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BGB). Beiden E-Mails des Beklagten zu 2 liegt die fehlerhafte Vorstellung zugrunde, eine Minderung könne nur dann vorgenommen werden, wenn der Vermieter sein Einverständnis hierzu erklärt. Die Beklagten haben damit hinsichtlich der Minderung der Bruttomiete in den Monaten Januar 2015 bis Oktober 2015 und Dezember 2015 nicht die für eine positive Kenntnis im Sinne von § 814 Alt. 1 BGB erforderlichen zutreffenden rechtlichen Schlüsse gezogen." 

Für die Praxis steht zu erwarten, dass Mieter zukünftig unter Berufung auf diesen Beschluss des BGH häufiger vortragen werden, dass ihrem Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Miete nicht der Kondiktionsausschluss des § 814 Alt. 1 BGB entgegensteht. Es bleibt abzuwarten, wie die Instanzgerichte dabei die jeweiligen Umstände des Einzelfalls bewerten. Vermieter sollten darüber nachdenken, ob sie nicht in ihren Mietverträgen über die dogmatischen Grundlagen des Minderungsrechts aufklären, um so die Voraussetzungen des § 814 Alt. 1 BGB herbeizuführen.


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