Narzissmus: Der Schlüssel zum Erfolg?
Im Zeitalter der Ich-Verliebten, wo Selfie-Sticks ins Handgepäck gehören und die Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken mit Likes belohnt wird, scheinen Narzissten leichtes Spiel zu haben. Doch gilt ihr Erfolg auch in der Arbeitswelt? Wie hängen Narzissmus und Leadership zusammen? Wir haben uns informiert und sind auf unerwartete Ergebnisse gestossen.
Wir alle kennen sie: Diese eine Person, die sich immer in den Mittelpunkt drängt. Meist äusserst wortgewandt, immer eine Geschichte über die jüngsten Erfolge parat und nie darum verlegen, anderen ins Wort zu fallen. Dies ist ein typisches Erscheinungsbild des Narzissten – darüber ist sich die Wissenschaft einig. Was auch auffällt: Diese Personen scharen oft eine Anhängerschaft aus tiefen Bewunderern um sich. Das ist verständlich: Häufig sind sie gute Redner, besitzen eine charismatische Ausstrahlung und haben eine gefestigte Meinung. Genau wie durch ihre unübersehbaren Stärken, zeichnen sich Narzissten jedoch oft durch auffällige Schwächen aus. Dazu gehören unter anderem eine ausgeprägte Empathielosigkeit und ein verzerrtes Selbstbild. Kein Wunder also, dass sich unter ihnen viele Berühmtheiten, aber auch gescheiterte Existenzen befinden, denn darin besteht das Verhängnis des Narzissmus: Er fördert Erfolge genauso wie Abstürze. Wie kann das sein?
Nicht hinter jedem Angeber verbirgt sich ein Narzisst
Um das zu verstehen, ist der Unterschied zwischen narzisstischen Persönlichkeitszügen und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung entscheidend. Während narzisstische Persönlichkeitszüge Personen betreffen, die lediglich besonders überzeugt von sich selbst sind, leiden Betroffene einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung unter einem Krankheitsbild. Dieses geht mit mangelndem Einfühlungsvermögen und einer erheblichen Empfindlichkeit gegenüber Kritik einher. Die überzogene Vorstellung eigener Überlegenheit ist in Wahrheit oft Ergebnis eines brüchigen Selbstwertgefühls. Doch in welchem Zusammenhang steht Narzissmus mit beruflichem Erfolg? Müssen wir uns sorgen, dass unsere Arbeitswelt von kritikunfähigen Egozentrikern bestimmt wird? Nur teilweise – denn Studienleiterin Emily Grijalva von der University of Illinois kam zu unerwarteten Ergebnissen.
Neue Ergebnisse zu Narzissmus und Leadership
Bisher gingen Forscher davon aus, dass mit zunehmendem Narzissmus auch der Erfolg als Führungskraft steigt. Dies führten sie darauf zurück, dass narzisstisch veranlagte Personen Eigenschaften besitzen, die sich positiv auf beruflichen Erfolg auswirken. Dazu zählen zum Beispiel ein selbstsicheres Auftreten und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Dieses Ergebnis konnte auch Studienleiterin Grijalva mit ihrer Arbeit bestätigen. Anders als bisherige Untersuchungen setzte sie in ihrer Forschung aber nicht voraus, dass wachsender Narzissmus in selbem Masse zu wachsendem Erfolg führt. Stattdessen bezog sie zusätzlich Führungskräftebewertungen in ihre Untersuchungen ein und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis. Mit einem zunehmenden Grad an Narzissmus steigt der Erfolg einer Führungskraft zunächst steil an. Was für die Wissenschaft neu ist: Ab einem gewissen Grad an Narzissmus fällt der Erfolg im Beruf genauso stark wieder ab. Die Erfolgskurve gleicht einem umgedrehten U.
Das Verhängnis der Narzissten
Interessant ist es, sich anhand dieser Ergebnisse die Stärken und Schwächen des Narzissmus klarzumachen. „Narzissten punkten vor allem mit ihrer Extrovertiertheit. Sie haben die Gabe, beim ersten Treffen zu glänzen. Damit sind sie im Vorstellungsgespräch ganz klar im Vorteil,“ so Grijalva. Gleichzeitig zeigen die Fragebögen zur Führungskräftebewertung aber auf, dass narzisstischen Vorgesetzten zunehmend die Fähigkeit abhanden kommt, Selbst- und Fremdbild zu vereinen. Grijalva erklärt in diesem Zusammenhang: „Egal, wie die Mitarbeiter urteilen – ein Narzisst denkt immer von sich, dass er ein sehr guter Chef ist.“ Darin besteht der Fallstrick der Narzissten. Auch wenn sie souverän auftreten und mit grossen Reden überzeugen, vernachlässigen sie es, die eigene Person zu reflektieren und Schwächen zu erkennen. Dies ist für beruflichen Erfolg jedoch entscheidend, um an sich zu arbeiten und weiter zu entwickeln. Fehlt diese Fähigkeiten, kann der neue Chef deshalb genauso schnell wieder verschwinden, wie er aufgetaucht ist. Welche Konsequenzen können wie damit aus den Ergebnissen ziehen?
Der mittelmässige Narzisst
Grijalva appelliert mit ihrer Forschung an Unternehmen, vorsichtig zu sein, wenn es darum geht Auswahlpraktiken für Führungskräfte zu entwickeln, die sich an den Stärken des Narzissmus orientieren. Häufig schneiden in diesen Verfahren Personen besonders gut ab, die stark narzisstische Eigenschaften aufweisen. Doch diese sind nicht gleich die besseren Chefs. „Betrachtet man den Durchschnitt, sind Narzissten weder die besseren noch die schlechteren Chefs“, so Grijalva. „Der ideale Chef ist in Massen narzisstisch.“
Mit ihrer Arbeit widerspricht sie zwar vielen bisherigen Thesen nicht, die die erfolgsverheissenden Eigenschaften von Narzissten hervorheben. Jedoch erweitert sie die Perspektive auf Narzissmus und Erfolg um das entscheidende Kriterium des richtigen Masses. Eine übermässige Selbstüberschätzung kann, genauso wie die Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten, einer Karriere als Führungskraft im Weg stehen. Dass die erfolgversprechendste Form des Narzissmus also gerade im Mittelmass zu liegen scheint, wirkt merkwürdig ironisch für eine Personengruppe, die stets nach Überlegenheit strebt.
Spieglein, Spieglein an der Wand…
Ist Narzissmus also der Schlüssel zum Erfolg? Ja und Nein. Als Ergebnis halten wir fest, dass sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber Geschick beweisen müssen, wenn es darum geht, die goldene Mitte des Narzissmus zu erkennen. Eine grosse Portion Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen ist in der heutigen Arbeitswelt sicherlich nötig, wenn man ganz an die Spitze will. Jedoch reicht es nicht aus, grosse Töne zu spucken. Wer an der Spitze steht, muss auch grosse Taten folgen lassen. Anstatt sich selbst also ständig durch den Selfie-Filter von Instagram zu bewundern, ist ein ehrlicher Blick in den Spiegel und in die Gesichter der Kollegen entscheidend für nachhaltigen Erfolg im Berufsleben.
Hier geht’s zur Studie.
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