Neue Spielräume entdecken - Führungskräfte-Coaching setzt Energien frei
Coaches haben häufig den Nimbus eines Therapeuten: „Wenn ich den brauche, habe ich ein schwerwiegendes Problem.“ Dabei kann ein Coaching für Führungskräfte Energien freisetzen, die das Unternehmen voranbringen.
Business Coaches haben eine unternehmensbezogene Erfahrung und Ausbildung, beim Persönlichkeitscoaching findet man in der Regel Coaches, die eine NLP- oder systemtheoretische Ausbildung absolviert haben. Tatsächlich hat man es meistens mit einer Kombination aus Business- und Persönlichkeitscoaching zu tun: Rollen und Aufgaben sind nicht klar; es fällt schwer, Ziele zu definieren, die es sich zu verfolgen lohnt; es ist unklar, wo überhaupt Entwicklung und Erfolge möglich sind. Die typische Reaktion ist, sich in Fachthemen zu vertiefen und Adhoc-Aufgaben zu übernehmen – ein Fluchtversuch, ohne an den eigentlichen Ursachen zu arbeiten.
Klarer Handlungsrahmen
So ging es auch einem meiner Coachees, Nachfolger in der Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens mit 500 Mitarbeitern, Mitte 30 und schon einige Jahre im Unternehmen. In seiner neuen Rolle als Geschäftsführer kam er jedoch lange Zeit nicht an. Eine Rolle spielte hier mit Sicherheit, dass die Gesellschafter/Eigentümer seine Rolle und den Verantwortungsbereich im Vorfeld nicht klar definiert hatten. Der junge Nachfolger nahm daher Zuflucht zu operativen, einfacheren Tätigkeiten in seinem Fachbereich oder spielte hier und da Feuerwehr, um nicht unternehmerisch denken und entscheiden zu müssen. Er sah weder die langfristigen Themen des Unternehmens noch hatte er ein Gespür für die falsche beziehungsweise richtige Ebene. Ein erster wichtiger Schritt ist hier das Aufzeigen des eigentlichen Handlungsrahmens. Dabei hilft die Klärung folgender Fragen:
- Für welche Bereiche bin ich wirklich verantwortlich?
- Was will ich tun?
- Wofür setze ich meine Fähigkeiten ein?
- Was kann und will ich entscheiden?
Schon nach zwei Treffen zeigten sich durch die Kombination aus Business- und Persönlichkeitscoaching erste Erfolge. Der Coachee erkannte seinen tatsächlichen Verantwortungsrahmen und hat jetzt neue Ziele sowie konkrete Ansätze zum weiteren Vorgehen und Nachfassen. Im weiteren Coaching wird mit ihm die Umsetzungsfähigkeit reflektiert und verstärkt sowie Anpassungen vorgenommen.
Reflexion hat Priorität
Arbeitsbelastung und Zeitdruck führen dazu, dass gerade Führungskräfte das so wichtige Momentum der Reflexion nicht nutzen können, mit meist negativen Folgen für das eigene Selbstwertgefühl. Und nachdem man in der Regel nur das umsetzt, was man selbst für sich kennt und kann, findet die Reflexion und damit die Stärkung des Selbstwertgefühls von Mitarbeitern, Kollegen und vor allem Führungskräften dann auch nicht ausreichend statt – eine negative Entwicklung, die sich in der Unternehmensorganisation immer weiter verstärkt. Im Coaching kann dieser Prozess unterbrochen werden. Grundvoraussetzung ist, dass sich der Coachee helfen lassen will. Im Coaching geht es um die sofortige Verbesserung des Ist-Zustands. Ziel ist immer die Erweiterung des Lösungsraums, denn es gibt immer mehr als eine Möglichkeit. Eine Grundmaxime ist: Jeder tut das Beste, was er gerade kann. Gleichzeitig ist jeder in seiner konkreten Situation gefangen, limitiert, eingebunden oder auch so eingeschränkt, dass Möglichkeiten nicht erkannt werden. Hier setzt Persönlichkeitscoaching an: Es verändert die Position, die Sichtweise, die Bewertung und die Handlungsspielräume so, dass der Coachee selbst diese neuen Facetten entdeckt.
Selbstwertgefühl stärken
Unsere Arbeitswelt wird immer anspruchsvoller und komplexer, vernetzt und verändert sich in hohem Tempo. Neue Aufgabenstellungen bedürfen neuer persönlicher Kenntnisse und Erfahrungen. Hier ist eine permanente persönliche Justierung nötig: Wo stehe ich, was mache ich wie, wie gut, für wen, warum? Eine Justierung funktioniert auf Basis eines stabilen ausgeprägten, persönlichen Wertesystems, oder anders gesagt: Ein gesundes Selbstwertgefühl bildet den Ausgangspunkt.
Doch aufgrund der Komplexität finden wir oft ein instabiles Selbstwertgefühl vor, das im Hinblick auf Zeit- und Energieressourcen nicht aus eigener Kraft aufgebaut werden kann. Denn wirkliche Reflexion und Weiterentwicklung im Job wird immer weniger realisiert. Wir kommen aus einer Zeit der strukturierten Unternehmen, die ein stabiles Umfeld hatten. Führung war hierarchisch verankert und damit die Verantwortung grundsätzlich geregelt. Mitarbeitergespräche haben dazu beigetragen, dass sich jeder auf seinem Platz, in seinem Aufgabenfeld entwickeln konnte und sich hoffentlich über fundiertes Feedback seines Wertes im Unternehmen bewusst wurde. In einer volatilen Arbeitswelt in Zeiten der digitalen Transformation verliert diese Basis für Selbstwertgefühl an Verlässlichkeit und Kontinuität und das auf allen Ebenen.
Mehr Achtsamkeit
Selbst wenn alles intellektuell betrachtet, analysiert und dokumentiert ist, dürfen die persönliche Wahrnehmung und das Gefühl nicht fehlen. Zu spüren, was im Hier und Jetzt passiert, ist eine Fähigkeit, die geübt sein will. Gerade Führungskräfte neigen aber dazu, alles über den Verstand lösen zu wollen. Deshalb geht manchmal die Fähigkeit zur Achtsamkeit für sich selbst verloren oder wird gar nicht erst entwickelt. Viele spüren sich selbst nicht, haben kein Empfinden für die Situation, ihr Gegenüber und erst recht nicht für sich selbst. Diese oft verschüttete, ungenutzte und ungeübte Fähigkeit der Selbstwahrnehmung wieder zu aktivieren, zu entwickeln und zu verstärken, ist jedoch für jeden machbar.
Immer wieder merke ich, wie leicht es dann wird, das Selbstwertgefühl auf dieser Basis weiter aufzubauen. Coaching ist eine Reflexionsfläche für den Coachee, der Coach fungiert als Sparringspartner und macht ihm bewusst, was eigentlich schon in ihm drin ist. Wenn die Selbstwahrnehmung im natürlichen Gleichgewicht ist, empfinden sich Coachees unter anderem als kreativ, flexibel, leicht, dynamisch und von ihrer Arbeit erfüllt. Mit einer solchen Grundlage gelingen Selbstreflexion, erfolgreicheres Handeln, die Übertragung der Erfahrung auf andere – und damit Führung, die alle weiterbringt.
Erschienen in DIE NEWS, Dezember 2017