Wird uns das Denken abgenommen?
Künstliche Intelligenz (beinahe) unmerklich auf dem Vormarsch
Zukunftstechnologien, die mit der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung der Welt einhergehen, werden zentrales Thema beim MICE Club LIVE vom 18.−20. Juni in München sein. Kaum ein Bereich wird in der Diskussion bislang so stiefmütterlich behandelt wie die künstliche Intelligenz (KI). Vielleicht fürchtet sich der Mensch insgeheim vor den damit verbundenen Fragen: Nehmen uns intelligente Maschinen eines Tages das kreative Denken ab? Werden sie in ferner Zukunft gar ein eigenes Bewusstsein entwickeln?
Letzteres darf man Stand heute noch im Bereich von Science Fiction belassen, wenngleich künstliche Stimmen und Figuren natürlich in der Lage sind, Emotionen zu simulieren und zu suggerieren. Dass Maschinen sich aber zu besseren und effektiveren Problemlösern entwickeln können als der Mensch, der sie baut und programmiert, ist nicht auszuschließen. Ganz einfach, weil eine KI in vielerlei Hinsicht andere Schlüsse aus gewonnenen Eindrücken und Erfahrungen zieht als es unsereins tun würde − und sich dabei selbsttätig weiterentwickelt.
Die Durchleuchtung des Menschen erreicht eine neue Dimension
Ein gutes Beispiel ist der Quantensprung, den Google Translate im Laufe des letzten Jahres in Sachen englisch-französischer Übersetzungen gemacht hat. Dabei hat ein KI-Engine entdeckt, dass es viel zielführender ist, eine Art eigene Sprache zu entwickeln, die dem Programm sozusagen als Verbindungsstück zwischen Ausgangs- und Zielsprache dient. Mit verblüffendem Erfolg, der sich in bislang nicht gekannter Übersetzungsqualität äußert und nach und nach auf andere Sprachen angewandt werden wird. Keine Frage, dass hiervon auch die international ausgerichtete Eventbranche profitieren wird.
Was hier sinnvoll und nützlich erscheint, lässt dort jedoch viele fragende Gesichter zurück. Etwa die Ankündigung von Mark Zuckerberg, dass Facebook mittels KI künftig verstärkt die Postings der Nutzer analysieren will. Ziel sei es herauszufinden, ob jemand potenziell selbstmordgefährdet sei. Aber natürlich sind auch andere Szenarien denkbar wie etwa das Aufspüren möglicher „Gefährder“ (der Fall Amri lässt grüßen). Ein wenig fühlt man sich da an den Science-Fiction-Film „Minority Report“ erinnert, in dem Verbrecher dingfest gemacht werden, noch bevor sie eine Straftat begehen.
Ein Startup namens Cogito im Umfeld des Bostoner MIT geht sogar noch weiter, indem zusätzlich noch Stimme, Mimik und Gestik in die KI-Beurteilung mit einfließen, etwa beim Skypen, Telefonieren oder der Nutzung von Sprachassistenten. Angenommen, es bliebe einzig und allein bei der „wohlwollenden“ Suizidprävention, sollte man dennoch in Erwägung ziehen, welch ein gigantischer Markt sich theoretisch für Pharmakonzerne auftäte, die in Antidepressiva machen.
Weniger suspekt scheint da schon der virtuelle KI-Lehrer oder -Coach daherzukommen, der sich mit seinen Schülern bzw. Kunden weiterentwickelt, ohne dabei jemals an Objektivität einzubüßen oder eine subjektive Meinung in die Waagschale zu werfen. Auch der Videospielemarkt dürfte von KI in erheblichem Maße profitieren, wenn virtuelle Figuren plötzlich einen „echten“ Charakter mitsamt Gefühlen zu entwickeln scheinen. Unerfüllte Liebschaften zwischen Gamer-Nerd und KI-Avatar scheinen da fast schon vorprogrammiert.
KI als Entscheidungshilfe und Planungstool
Wie alle Neuerungen und Innovationen wird auch die KI in der MICE-Branche Einzug halten und voller Stolz vorgeführt werden, wenn man ihr erst die nötige Marktreife attestiert. Ein bisschen weitergedacht kann sie natürlich auch branchenintern zur Anwendung kommen. Die biometrische Analyse von Konferenzteilnehmern etwa könnte ein „lohnendes“ Ziel für Veranstalter sein. Denn wenn mittels Kameras und der richtigen Software menschliche Stimmungen wie Langeweile oder Desinteresse erkannt werden, mag der Eventplaner sicherheitshalber ja noch einen unterhaltsamen Plan B in der Tasche haben.
Als für die Eventbranche höchst interessantes Feld dürfte sich auch das sogenannte „Decision Making“ erweisen. Hierbei lassen sich zehntausende Texte, Zahlen, Bilder, Videos, Tabellen und Grafiken auswerten, um Antworten auf Fragestellungen zu liefern, die mit der Dateneingabe so gesehen gar nichts zu tun haben. Vielleicht hatten Sie einen Mitarbeiterworkshop in einem Hamburger Tagungshotel geplant, aber die Maschine empfiehlt Ihnen eine Teambuildingmaßnahme am Starnberger See. Wieso, wissen Sie zunächst nicht, aber die KI wird ihre Gründe dafür haben. Die Zeit wird laut Expertenmeinung kommen, da Handlungsempfehlungen seitens Maschinen in vielen Geschäftsbereichen eine nicht unerhebliche Rolle spielen werden.
2016 als Jahr des Durchbruchs
Seit fast 20 Jahren schon schwebt der Begriff KI immer mal wieder durch den Innovationsraum, ohne das offenkundig nennenswerte Fortschritte gemacht worden wären. Das änderte sich im Jahr 2016 dahingehend, da es erstmalig in großem Umfang gelang, dass KIs ihre Software selbst schreiben. In der Folge müssen Rechner nicht immer weiter „gefüttert“ werden, sondern können neue oder fehlende Daten mit hoher Wahrscheinlichkeit „vermuten“. Die Treffergenauigkeit, zum Beispiel beim Projekt Google Brain verblüffte selbst eingefleischte Softwareexperten.
Mit der KI ist es am Ende ein bisschen so wie mit der Stammzellenforschung: Wie weit darf der Mensch gehen? Was ist erlaubt und was nicht? Es ist ja schon Standard, wenn Ihnen nach der Bestellung eines neuen Schlägersets ein Golfhotel an der Algarve empfohlen wird, man also Rückschlüsse auf ihr Such- und Einkaufsverhalten im Internet zieht. Wie aber sähe es aus, wenn Sie via Sprachassistent nach originellen Mordmethoden suchen, weil Sie gerade an einem Kriminalroman arbeiten und Sie deswegen sicherheitshalber schon einmal polizeilich erfasst werden?
Bevor der menschenähnliche Roboter vielleicht irgendwann einmal gebaut wird, ist die KI von heute darauf aus, Muster zu erkennen und dadurch möglichst genaue Rückschlüsse auf das zu erwartende Verhalten von Menschen oder Menschengruppen zu ziehen. Computer mögen Ihre Stimme erkennen, KI interpretiert sie. Scanner können Ihr Gesicht identifizieren, KI leitet daraus Ihre Stimmungslage ab. Programme durchsuchen Ihre Texte nach Schlagwörtern, KI versteht, worum es dabei geht.
Wer heute Facebook, Google oder Amazon verweigert, dem liefert der Durchbruch im Bereich künstlicher Intelligenz gute Gründe, das morgen erst recht zu tun. So oder so aber werden hunderte Millionen Konsumenten die „schöne neue KI-Welt“ kaum erwarten können. Und diejenigen, die sich irgendwie hin- und hergerissen fühlen, sollten die überstrapazierte Aussage „Ich hab ja nichts zu verbergen“ morgen vielleicht noch einmal überdenken.