Nicht nur zu Silvester eine Rakete
Da geht die Post ab. Und zwar mit einer Rakete! Was für eine zündende Idee. Briefe, die durch die Luft getragen werden. Und sanft vom Himmel fallen. Täler und Berge überwinden und zum richtigen Adressaten finden. Also zumindest theoretisch. Praktisch wars dann eben doch ganz unpraktisch. Schauen wir etwas zurück in der Postgeschichte:
Am 5. November 1961 wurde unter dem Patronat der Europäischen Föderalistischen Bewegung der erste Raketenpostflug für die Schweizerische Post mit Start in Bellinzona durchgeführt. Auf dem Fussballplatz der Tessiner Hauptstadt und unter aufmerksamer Beobachtung eines interessierten Publikums. Der erfahrene deutsche Raketenfachmann und Elektroingenieur Karl Ehrich hatte zwei Raketentypen entwickelt, einen kleineren und einen grösseren und er legte bei diesem Jungfernflug selbst Hand an. Ehrich versprach eine erstaunliche Treffsicherheit: der Spielraum für das Zielgebiet beträgt nur gerade mal 25 Quadratmeter. Zudem habe er für die Europäische Union für Deutschland, Belgien und Holland Dutzende Postraketen abgeschossen. Und dabei meinte er wohl: in die Luft geschossen. Er äusserte weiter, dass ihm erst einmal ein Start misslungen war. Na, dann guten Flug!
Verschiedene Quellen berichteten, dass in den Gängen des Tribünen-Gebäudes mindestens fünf Raketen zum Abschuss bereitstanden. Jede gefüllt mit 8 bis 10 kg Post, insgesamt etwa 10'200 Briefe und Postkarten – die einzelnen Stücke nicht schwerer als 10 Gramm, allesamt mit sonderfrankierten Marken à 2 Franken versehen. In philatelistischen Kreisen hoch gehandelt, quasi bevor die Post in die Luft flog. Nach der Landung der Postraketen würden die Sendungen dem nächstgelegenen Postamt übergeben, so dass sie auf dem ordentlichen Postweg die letzten Meter bis zum Adressaten finden mögen. Soweit die Theorie.
Ehrich zündete die erste Raketenpost. Die Zuschauer legten den Kopf in den Nacken, die Hände schützend über die Augen gehalten, um nicht zu sehr vom hellen Schein des Himmelsgefährts geblendet zu sein. Sie folgten gebannt dem zischenden Objekt, wie es lautstark in die Höhe ging. Die Rakete aber, statt zu fliegen, begann zu fallen, sie sackte in sich zusammen und bohrte sich in den etwa 300 Meter entfernten Boden eines privaten Gartens. Nur noch ein paar Briefe wirbelten auf und ab. Ehrlicherweise muss Ehrich zugestanden werden, dass just zu diesem Zeitpunkt heftige Windböen bliesen. Als wolle da jemand den Luftraum schützen. Der zweiten und wie auch der dritten Raketenpost erging es ähnlich. Sie trafen kurz nach Abflug bei der nahe gelegenen Kaserne auf irdischen Boden. Da griff die Tessiner Polizei ein und setzte dem Spektakel ein Ende. Die Philatelisten hatten danach ihre Post wieder zurückbekommen: Einige ihrer Briefe waren tatsächlich in der Luft, nur das mit dem Zielort war nicht wirklich gut getroffen. Die Raketenpost, wie es der Raketenschütze Ehrich bereits im Vorfeld sagte, sei halt eine riskante Sache.
Das ist jetzt vielleicht nicht das rühmlichste Stück in der Postgeschichte. Aber es zählen nicht nur die Erfolgsgeschichten, denn aus dieser Pleite konnte gelernt werden. So wie das immer ist bei Innovationen - so oder so bringen sie weiter. Mut zur Innovation ist der Treibstoff, den die Post als Motor der modernen Schweiz (und ihrer Infrastruktur) nutzt. Das galt für die Post damals genauso wie heute.
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PS: Erfunden habens übrigens nicht die Schweizer, nein, es waren die Österreicher. Die erste Postrakete wurde am 2. Februar 1931 nördlich von Graz gezündet. Die Idee des Forschers Friedrich Schmiedl war, Poststücke mittels Flugkörper zu befördern, um schwierig zugängliche Gebirgsdörfer zu erreichen. Und damit die dortigen Bewohner vom Himmelkörper nicht erschlagen wurden, landete das Paket voller Briefe mithilfe eines Fallschirms. Sanft und sicher. Theoretisch. Praktisch landete es im Nirgendwo.
PPS: Etwas später tüftelte der deutsche Konstrukteur Gerhard Zucker an einer Raketenpost. Die nationalsozialistischen Behörden schlugen ihm vor, mit der Rakete Bomben statt Briefe zu befördern, was er ablehnte und nach England emigrierte. In den 70er Jahren kehrte Zucker auf deutschen Boden zurück und unternahm weitere Postraketenversuche. Ein Unglück bei einer Vorführung kostete 1964 zwei Menschen das Leben, die Gesetzgebung wurde geändert, der Abschuss von Raketen mit einer Flughöhe von über 100 Metern durch Privatpersonen wurde untersagt. Hingegen klebten bereits die Philatelisten an den Sondermarken-Motiven von Zucker wie auch an denen des österreichischen Raketen-Visionärs.
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3 JahreSpannender Rückblick "Back to the Future".
Wachstum und Chancen für Organisationen und Gruppen durch Identität, Beziehung, Kommunikation und Reputation - das ist, worin ich stark bin, weil es mich seit über 25 Jahren fasziniert.
3 JahreDie ganze Geschichte von Herrn Zucker zum anhören: https://www.geschichte.fm/podcast/zs114/ Danke Oliver Hilber