Opium für's holländische Volk
Um mich durch die Monotonie der unzähligen freiwilligen und verordneten Quarantänen, Lockdowns und die allgemeine Isolation während der Corona-Pandemie zu schleppen, habe ich mich oft in heimlicher Vorfreude gefragt, ob sich all die aufgestaute Energie bei Pandemie-Ende nicht schließlich in einem großen tage-, ja wochenlangen Volksfest entladen wird.
Das Rätselraten hatte vergangenen Dienstag sein Ende, denn im niederländischen Kalender stand der Königstag, das höchste Fest der Tulpen- und Käsemonarchie und partyhungrige, überwiegend jüngere Holländer strömten bei schönstem Frühlingswetter massenhaft in die engen Gassen des Jordaan, dem Amsterdamer Viertel, in dem ich wohne. In Parks, auf Brücken und Plätzen, oder schlicht überall dort, wo irgendein Anwohner seine Musikboxen ins offene Fenster stellte oder Gastronomiebetriebe gezapftes Bier außer Haus verkauften, bildeten sich dicht gedrängte Menschenansammlungen, die ich so seit dem Sommer 2019 nicht mehr gesehen habe. Wissen die Holländer denn etwa nicht, dass gerade ein Virus grassiert und fröhlich überall dort mutiert, wo geschunkelt und geschäkert wird, fragen Sie sich nun sicher. Doch, die traditionell im ganzen Land stattfindenden Flohmärkte und Straßenfeste wurden zwar weitesgehend abgesagt, aber das Augenzwinkern vonseiten der Regierung kann man schon fast nicht mehr subtil nennen. Feiern war nämlich nicht grundsätzlich verboten: Geburtstagskind König Willem-Alexander selbst, der traditionell zum Nationalfeiertag eine andere niederländische Stadt besucht, feierte dieses Jahr im kleinen Kreis von Presse und Familie in Eindhoven. Ein Ende des seit Januar geltenden harten Lockdowns und somit auch einiger ungeliebter Maßnahmen wie der nächtlichen Ausgangssperre, hatte Premier Rutten außerdem für unmittelbar nach dem Königstag angekündigt. Ein Schelm wer hier politisches Kalkül vermutet, als der dann zu einer Art letzter Schultag vor den großen Ferien wurde. Oft sammelten Lehrer gerade an solchen letzten Tagen Sympathiepunkte für ihre Lässigkeit und raten Sie mal, welche zwei Männer den Popularitätsgewinn solch eines einvernehmlichen Regelbruchs gerade sehr gut gebrauchen können. Richtig.
König Willem-Alexander und das sonst so für seine Nahbarkeit gepriesene Königshaus stehen in der Kritik seit die Familie letztes Jahr im Urlaubsflieger nach Griechenland aufbrach, während den Untertanen daheim selbst vom Tagesauflug nach Volendam dringend abgeraten wurde. 1,5 Millionen Euro jährliche Apanage für die 17-jährige Kronprinzessin Amalia und der Schulwechsel der jüngeren Prinzessin Amalia an ein Eliteinternat in Wales bestätigten das Bild der entrückten Oranjes, die zu satt vom Kuchen sind, während die Bürger kein Brot haben. Mark Rutte, seit der Kindergeldaffäre und seinem scheinheiligen Rücktritt im Januar nur noch geschäftsführend im Amt, lügt und mauschelt sich indes seit Monaten von einem Skandal zum nächsten. Alle Parteien jenseits der VVD haben ihm das Misstrauen ausgesprochen, weil er sich nun des unbequemen CDA-Politikers Pieter Omzigt entledigen wollte, der die Kindergeldaffäre aufdecke und in der Bevölkerung als “ehrlicher Goldfisch im korrupten Den Haager Haifischglas” große Beliebtheit genießt. Wenn König und Premier also gerade eine Sache brauchten, dann eine größtmögliche Menge orangegekleideter Niederländer, die medienwirksam das Königshaus und den Staat feiern. Und das geht zurzeit halt nur, wenn man ordentlich besoffen ist.
[Diese Kolumne sollte eigentlich am 30. April 2021 als Teil meiner zweiwöchtenlichen Niederlande-Kolumne in der Berliner Zeitung erscheinen. Im Zusammenhang mit dem Tag der Arbeit am 1. Mai ist aber keine Zeitung erschienen.]