Patentschutz-Poker: 7 Fragen und Antworten

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Guten Morgen liebe Freundin und lieber Freund, sehr geehrte LinkedIn-Community,

für die Pharmaindustrie bedeutet es einen Schock, für Milliarden Menschen die Hoffnung auf Leben. Die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai unterstützt die von der Welthandelsorganisation (WHO) vorgeschlagene Patentfreigabe der Corona-Impfstoffe. Sie sagte gestern:

Dies ist eine globale Gesundheitskrise. Die außergewöhnlichen Umstände der Covid-19-Pandemie erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.

Wird dieser Vorstoß wahr, dürften alle Pharmahersteller weltweit die Impfstoffe von BioNTech, Moderna und Co. kopieren, ohne dafür rechtlich belangt zu werden. Die Aktienkurse der großen Impfstoffhersteller gaben unverzüglich nach: Der Mainzer Vakzin-Hersteller BioNTech verlor gestern 14 Prozentpunkte, während Moderna und Novavax einen drei- bis sechs-prozentigen Kursverlust meldeten. CureVac sauste um mehr als acht Prozent nach unten.

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Der globalen Öffentlichkeit steht eine kontroverse Debatte ins Haus. Es geht für die politischen Entscheider und alle anderen, die kompetent mitreden wollen, darum, die entscheidenden sieben Fragen und die dazugehörigen Antworten zu kennen:

Frage 1: Bedeutet die Aufhebung des Patentschutzes auch automatisch freien Zugang für die Ärmsten der Armen zum Impfstoff?

Antwort: Das derzeitige Problem ist vor allem die Knappheit an leistungsfähigen Produktionsanlagen und reißfesten Lieferketten für die Impfstoffherstellung. Viele der Herstellerländer horteten ihre Vorräte und haben den Export von Impfstoff scharf limitiert. Auch Spenden-Projekte, wie das von der WHO initiierte COVAX-Programm, lösen diese Probleme noch nicht.

Frage 2: Wenn der Aufbau der Produktionskapazitäten, der zurzeit voll im Gange ist, abgeschlossen ist: Sind dann die Probleme für die Ärmsten der Armen gelöst?

Antwort: Auf keinen Fall. Viele Länder können sich keinen Impfstoff für die gesamte Bevölkerung leisten. Wie UNICEF berichtet, reicht die Preisspanne für Impfungen von zwei bis 40 Dollar je Dosis – abhängig vom Hersteller und der Region. Die EU bezahlt weniger für eine Dosis als Länder wie Bangladesch, Uganda und Südafrika. Dort werden die Preise durch mangelnde Konkurrenz, geringere Verhandlungsstärke und undurchsichtige Lizenzverträge in die Höhe getrieben. Pfizer kündigte bereits an, nach der ersten Impfwelle die Preise erhöhen zu wollen.

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Frage 3: Wie viele Menschen auf der Welt sind bereits geimpft und wie viele nicht?

Antwort: Weltweit haben laut Statista seit Beginn der Impfkampagne im Dezember 2020 1,16 Milliarden Menschen eine Impfung erhalten und es wurden mehr als 1,21 Milliarden Impfdosen verabreicht, was 16 Dosen pro 100 Menschen entspricht. Allerdings besteht zwischen den Impfkampagnen in den einzelnen Ländern eine große Diskrepanz. Die Impfrate pro 100 Menschen verteilt sich laut der „New York Times“ über die jeweiligen Kontinente folgendermaßen:

1. Nordamerika: 49

2. Europa 32

3. Südamerika: 19

4. Asien: 12

5. Pazifik: 6,4

6. Afrika: 1,4

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Frage 4: Gibt es Länder, in denen noch gar keine Impfkampagne gestartet wurde?

Antwort: In der Tat wurde in einigen Ländern noch keine einzige Dosis verabreicht, wie aus Daten von „Our World in Data“ hervorgeht, einem gemeinsamen Projekt der Oxford Martin School an der University of Oxford und der nicht-staatlichen Organisation Global Change Data Lab. Unter den insgesamt 111 Ländern sind zum Beispiel Afghanistan, Simbabwe, Jamaika, Georgien, Burundi, Uganda, Thailand und die Ukraine.

Frage 5: Die US-Regierung sagt, eine Freigabe des Patentschutzes sei nicht allein aus humanitären Gründen geboten, sondern diene auch dem Eigenschutz.

Antwort: Mehr Infektionen, unabhängig davon, wo sie auftreten, bedeuten in der Tat eine höhere Wahrscheinlichkeit, Mutationen hervorzubringen. In einer Welt globaler Lieferketten und Warenströme ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Mutation auch in Europa oder den USA die geimpfte Bevölkerung erneut in Gefahr bringen würde.

Frage 6: Wie groß ist das Geschäft mit den Corona-Impfstoffen?

Antwort: In der Branche herrscht Goldgräberstimmung. Laut Analysten-Prognosen wird BioNTech im laufenden Jahr einen Umsatz von gut 9,8 Milliarden Euro und einen Vorsteuergewinn von 4,4 Milliarden Euro erzielen. Ausgehend von diesen Erwartungen hat sich der Börsenwert von BioNTech im vergangenen Jahr verdreifacht – auf inzwischen 35,54 Milliarden Euro.

Pfizer, der drittgrößte Pharmakonzern der Welt, erhofft sich im laufenden Jahr von dem gemeinsamen Vakzin mit BioNTech Einnahmen von 26 Milliarden Dollar, was rund einem Viertel des Gesamtumsatzes entspricht. Für das Gesamtjahr erwartet das Management einen Umsatzsprung von 70,5 bis 72,5 Milliarden Dollar. In den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres schnellten die Umsätze um 45 Prozent nach oben.

Moderna ist ein Unternehmen, dessen Umsatz noch 2019 bei bescheidenen 60 Millionen Dollar lag. Inzwischen ist Moderna an der Börse mit 57,8 Milliarden Euro sogar mehr wert als der ungleich größere Bayer-Konzern.

Frage 7: Kommt die Freigabe des Patentschutzes nicht einer Enteignung der Pharmafirmen gleich?

Antwort: Gerade die Vereinigten Staaten besitzen strenge Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums, wozu auch Pharmapatente gehören. In Deutschland wiederum ist die Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit durchaus zulässig. Sie darf allerdings nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das unverzüglich Art und Ausmaß der Entschädigung zu regeln hat. Die Erfinderfirma BioNTech dürfte also auf gar keinen Fall leer ausgehen.

Fazit: Die wahren Kosten einer frühen Freigabe des Patentschutzes zahlen künftige Generationen von kranken Menschen. Denn: Der Patentschutz begünstigt Innovationen und solche Menschen, die sie vorantreiben. Risikofreudige Pharmafirmen werden mit Superrenditen belohnt. Entfällt der Patentschutz ohne Entschädigung gibt es keine Superrenditen – und der Anreiz, innovationsfreudig zu investieren, erlahmt. Die Welt wäre sozialistischer, aber nicht sozialer geworden.

Ich wünsche Dir einen nachdenklichen Start in das Wochenende. Es grüßt Dich auf das Herzlichste

Dein Gabor

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PS: In der Gesamtausgabe des Morning Briefings – für das Du dich hier kostenlos anmelden kannst – schreibe ich außerdem über folgende Themen:

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Und auf unserem Nachrichten- und Podcast-Portal ThePioneer.de möchte ich Dir heute folgende Lese- und Hörempfehlung geben:

Renate Jacobsohn

Art de Vivré is a program to guide women to create a life-style changes through the habits of transformation, self-discovery and supportive community.

3 Jahre

Johnson and Johnson. Gut praktisch und??

Peter Saubert

Für Sie geht es nur um das rechtzeitige, gute Ergebnis.

3 Jahre

Ich denke, diese Diskussion ist wieder ein banales Schattengefecht von Politikern, die keine Ahnung haben oder vorübergehend mit einem Mode-Thema punkten wollen. Würde es wirklich um Impfschutz gehen, könnte man der WHO das Thema auch übertragen und einfach Impfdosen für die ärmsten Länder spenden. Wozu gibt es denn sonst Entwicklungshilfe-Ministerien. Die beschäftigen sich mit allem möglichen, nur nicht mit dem naheliegenden.

Christel-Silvia Fischer

DER BUNTE VOGEL 🦜 Internationaler Wissenstransfer - Influencerin bei Corporate Influencer Club | Wirtschaftswissenschaften Universität Münster

3 Jahre

Vielen Dank Gabor Steingart !

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