Pointillistische Lebensperspektive und Konsumverhalten; Teil 3: „Moratoriums“-Konsum

Pointillistische Lebensperspektive und Konsumverhalten; Teil 3: „Moratoriums“-Konsum

Spezifische Haushaltsformen werden damit zusehends zum Moratorium, Formen des Zusammenlebens, die – sicher nicht bewusst – auf Zeit gegründet sind, hatte ich im ersten Teil dieser Essay-Reihe über eine pointillistische Lebensperspektive und das Konsumverhalten geschrieben. Da für die jungen Generationen aber nicht nur die Haushaltsformen und damit auch die Partnerschaften häufig (unbewusst und ungewollt) auf Zeit angelegt sind (Treue auf Zeit, Trend zum mehrfachen Monogamisten; siehe Teil 2), sondern auch das Erwerbsleben immer mehr durch Brüche gekennzeichnet ist, wächst in den jungen Generationen die Befürchtung, ihre Hoffnungen der Selbstverwirklichung nicht realisieren zu können. Es ist nicht die Angst vor globalen Weltkatastrophen, die ihr Leben prägt, sondern die Befürchtung, dass die kleinen lebensweltlichen Brüche sie immer wieder vor neuen Herausforderungen stellt.

„Wir leben nicht mehr im Moment, sondern in permanenter Vorbereitung und Vorläufigkeit (…) Wir wünschen uns einfach, keine Angst vor der Zukunft zu haben“, schrieb Claas Triebel schon 2010 über sich und seine Generation der Millennials in seinem Buch „Mobil, flexibel, immer erreichbar. Wenn Freiheit zum Albtraum wird.“ (Verlag Artemis & Winkler)

Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Biographien. Ich hatte schon das Ergebnis des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung (ITZ) zitiert, nach dem 40% der jungen Menschen in den USA nach dem Auszug aus dem Elternhaus mindestens einmal wieder zu ihren Eltern zurückziehen. Aufschlussreich ist auch ein Blick auf unsere GfK Zahlen aus dem Haushaltpanel. Vergleichen wir dort die 25-34jährigen im Jahr 2016 – die Generation „Millennials“ – mit den 25-34jährigen im Jahr 2006 – die „Generation X“ –, nehmen also einen Vergleich der Generationen im gleichen Lebensalter vor, dann wird deutlich, dass sich die Familiengründung im Lebensalter weiter nach hinten verschiebt. So lebten 2016 insgesamt 44% der 25-34jährigen Millennials mit eigenen Haushalt als Singles oder DINKS und 39% als junge Familien, d.h. mit Partner und kleinem Kind. Unter der Generation X mit eigenem Haushalt im gleichen Alter 2006 lebten nur 39% als Singles/DINKS, aber 43% in jungen Familien. Das Verhältnis hat sich also gedreht. Bis zur Gründung der eigenen Familien vergeht also weiter immer mehr Lebenszeit, wenn überhaupt eine Familie gegründet wird.

Laut Statistischen Bundesamt ist auch das durchschnittliche Heiratsalter Lediger zwischen 2011 und 2015 weiter gestiegen, bei Frauen von 30,5 Jahren auf 31,2 Jahre, bei Männern von 33,3 Jahren auf 33,8 Jahre. Interessanterweise ist das durchschnittliche Alter der Mutter bei Geburt des ersten Kindes zwischen 2011 und 2015 auf dem gleichen Niveau von 30,6 auf 31,0 Jahre weiter gestiegen. Diese Daten stärken die Beobachtung, dass mit der Geburt des ersten Kindes die „klassische“ Familie gegründet wird, inklusive Eheschließung.

Und so leben die jungen Menschen heute länger bei den Eltern, allein, mit einem Partner (nicht dem Partner!) oder Freunden zusammen, ziehen, nachdem sie schon sehr spät aus dem Elternhaus gezogen sind, gern auch temporär wieder zu den Eltern zurück. Und natürlich werden dabei Wohnungen gewechselt. Ein „hin und her“, das immer später im Lebensalter zur Ruhe kommt. Natürlich hat die sich ausdehnende Lebenszeit bis zur Findung einer stabilen Haushaltsform erhebliche Auswirkungen auf das Konsumverhalten. Vor allem sogenannte „high cost“-Entscheidungen werden weiter nach hinten geschoben.

Der Kauf einer Wohnung ist sicher eine dieser extremen „high cost“-Entscheidungen, aber auch die „systemische“ Einrichtung der Wohnung, mit einer maßgeschneiderten Einbauküche , mit einer auf den Raum abgestimmten Wohnzimmergarnitur, schon das Wort „Garnitur“ lässt vielen jungen Menschen die Haare zu Berge stehen, und das Neufliesen des Badezimmers werden bis zum 35. Lebensjahr immer seltener getätigt. Für die junge Generation sind „Bastelangebote“ und „Sharing-Modelle“ heute die Alternative. Auf beide Arten des Konsums werde ich in den nächsten Teilen näher eingehen. Hier möchte ich zunächst herausstellen, dass pointillistische Lebensperspektive nicht nur bedeutet, dass spezifische Lebensformen sich zusehends als Moratorien darstellen, sondern sich damit auch der Konsum zu einem „Moratoriums-Konsumstil“ wandelt. Solang immer wieder mit Brüchen in der Biographie gerechnet werden muss, werden größere Anschaffungen vermieden und das Notwendige zusammengebastelt, geliehen und geteilt, so dass man es schnell an andere Anforderungen anpassen oder einfach zurücklassen kann. Es reist sich halt besser, mit leichtem Gepäck (Silbermond).

Vermutlich dehnt sich eine Art „Moratoriums-Konsum“ inzwischen bis in das Lebensalter der späten Erwerbsphase aus. Denn ein weiteres Ergebnis aus den Analysen im GfK Haushaltspanel muss einfach zum Weiterdenken in diese Richtung führen: Vergleicht man die Generation der „Babyboomer“ im Alter von 55-64 Jahren im Jahr 2016 mit der Generation der „Wiederaufbauer“ zehn Jahr zuvor (also 2006) im gleichen Alter zwischen 55-64 Jahren, dann springt einen der rasante Anstieg der Lebensform des „alleinlebenden Berufstätigen“ ins Auge. Waren 2006 nur knapp 11% der 55-64jährigen berufstätig Alleinlebende, stieg der Anteil in der Altersgruppe der 55-64jährigen auf 21% im Jahr 2016. Anders ausgedrückt: heute lebt jeder fünfte Babyboomer zwischen 55-64 Jahren in Deutschland allein, 2006 war es nur jeder zehnte „Wiederaufbauer“ im Alter zwischen 55-64 Jahren. Nicht jeder dieser berufstätig Alleinlebenden wird partnerlos sein, denn auch die Lebensform des „Living Apart Together (LAT)“ nimmt in den älteren Altersgruppen zu, aber trotzdem, was für Potenziale tun sich hier für den kommerziellen Partnerschaftsmarkt auf! Und für wie viele dieser Menschen soll der Status des Alleinlebens in diesem Alter nur ein weiteres Moratorium sein und wie viele richten sich auf Dauer hierin ein? Egal, welche Antworten wir finden werden, diese disruptive Unterbrechung resp. dieser disruptive Bruch der linearen Familienbiographie im reifen Lebensalter hat deutliche Auswirkungen auf Investitions- und Konsumentscheidungen in der Generation der „Babyboomer“, die sie deutlich von den „Wiederaufbauern“ unterscheiden lässt.

Mit den „Babyboomern“ wird ab heute eine ganz neue Generation von „Alten“ sukzessive in den Erwerbsruhestand gehen, damit aber nur eine neue Phase des Unruhestands einläuten. Nicht nur weil sie quantitativ so stark sind, müssen die Babyboomer eine Kernzielgruppe des Marketings bleiben/sein/werden.

Was bisher geschah:

Pointillistische Lebensperspektive und Konsumverhalten

Pointillistische Lebensperspektive und Konsumverhalten; Teil 2: Jugend

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Dr. Robert Kecskes

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen