Präzisionsonkologie –  
Evidenz für die Behandlung,  
egal wo der Tumor sitzt

Präzisionsonkologie – Evidenz für die Behandlung, egal wo der Tumor sitzt

Molekulare Veränderungen des Tumors, die massgeblich die Therapiestrategie bestimmen, sind u.a. beim Lungenkarzinom (EGFR Status) oder auch beim Melanom (BRAF Status) fest etabliert. Der prädiktive Wert für die jeweilige zielgerichtete Therapie und die deutliche Verbesserung des progressionsfreien und auch des Gesamtüberlebens wurde in mehreren großen randomisierten Studien etabliert. Die gesamte Behandlung hat sich für diese Patienten in den letzten Jahren deutlich verbessert, auch wenn es weiterhin palliative Therapien sind. Welche Mutationen sind therapieentscheidend und wie werden die Patienten behandelt?

Dies war allerdings nur der erste Schritt: Ein histologisch und bezüglich des Entstehungsorts schon bekannter Tumor (z.B. Adenokarzinom der Lunge) wird in verschiedene Gruppen je nach molekularem Profil klassifiziert und therapiert.

Der zweite Schritt der Entwicklung geht weiter: Tumore sollen unabhängig von ihrer Histologie oder ihres Entstehungsorts basierend auf ihren molekularen Markern klassifiziert und therapiert werden.

Hintergrund ist die Überlegung, dass es zwischen verschiedensten Tumoren gemeinsame genetische Veränderungen gibt, die u.a. für das Tumorwachstum verantwortlich sind. Medikamente, die diese Veränderungen zum Ziel haben, können dann unabhängig von der Histologie und entitätsübergreifend ihre Effektivität entfalten. Beispiele dafür sind z.B. Pembrolizumab (mikrosatelliten instabile Tumore (MSI-high)) oder Larotrectinib (TRK-Fusion positive Tumore), die beide entitätsübergreifend von der FDA zugelassen wurden. Vor allem Larotrectinib zeigte eine beeindruckende Ansprechrate von 80 % in dieser doch sehr seltenen Gruppe von TRK-Fusion positiven Tumoren (Inzidenz unter 1 %).

Dieser entitätsübergreifende Ansatz ist hochspannend und vielversprechend – aber kann er schon das halten, was wir uns erhoffen?

Können Patienten mit Hilfe dieser neuen Biotechnologien entitätsübergreifend tatsächlich so klar identifiziert werden, dass wir gezielter behandeln können und die Prognose deutlich verbessern?  Die Antwort muss aktuell noch lauten: Wir haben einige eindrücklicher Beispiele (z.B. Larotrectinib), aber wirklich wissen tun wir es noch nicht. Die oben genannten Beispiele basieren auf nicht-randomisierten Studien mit relativ wenigen Patienten.

Bis dato gab es eine randomisierte Studie, die getestet hat, ob bei Patienten mit metastasierten und vorbehandelten Tumoren ein Therapieansatz basierend auf dem molekularen Profil des Tumors einer klassischen Chemotherapie überlegen ist (SHIVA Studie).

Diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass der «personalisierte» Ansatz bezüglich des progressionsfreien Überlebens nicht besser ist als die klassische Chemotherapie.

Hier ist allerdings zu bedenken, dass diese Studie vor mehr als sechs Jahren durchgeführt wurde und die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten sich seitdem dramatisch weiterentwickelt haben.

Für die Betreuung unserer Patienten ist Vertrauen in die angewandte Diagnostik und Verfügbarkeit von klinischer Evidenz für die Therapieentscheidung fundamental. 

Dieses Prinzip gilt auch in der Ära der neuen Biotechnologien und modernen Medikamente. Die Herausforderungen sind zum einen, dass die nötigen Tests valide und auch schnell verfügbar sind. Des Weiteren bedarf es heute mehr denn je einer dichteren und weiteren Vernetzung von Studienzentren und vor allem das Einbringen von Patienten in Studien. Eine moderne digitale Infrastruktur für Vernetzung, Datenmanagement und Analysen ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil. Nur so können wir lernen, wo die tatsächlichen Möglichkeiten und aktuellen Grenzen der entitätsübergreifenden Therapieansätze sind. Oder anders ausgedrückt, die steigende Komplexität der Diagnostik und Klassifizierung von Tumoren bedarf gleichzeitig einer deutlichen Verstärkung der klinischen Forschungsaktivitäten in allen Bereichen, um ausreichend Evidenz für unsere zukünftigen Therapieentscheidungen zu generieren.

Die Erwartungshaltungen an die biotechnologischen Entwicklungen in der Onkologie sind hoch. Wenn es gelingt, diese neuen Errungenschaften mit einem aktiven und dichten Studiennetz zu verknüpfen, dann bestehen sehr gute Chancen, diese neuen Ansätze unseren Patienten zukommen zu lassen.

Autor: PD Dr. med. Dr. phil. Benjamin Kasenda

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