Prorognosen und deren Wert- Kaffeesatz lesen
Das Jahresende ist eine Zeit, in der Anleger gern die vergangenen zwölf Monate Revue passieren lassen und darüber sinnieren, was das kommende Jahr wohl bringen wird. Um die Lust am Spekulieren anzuregen, liefern die Medien entsprechend Prognosen als Futter. Diese Berichterstattung kann unterhaltsam sein, ein Jahr später jedoch umso mehr.
Ein Medienkanal thematisierte im Januar 2017, dass die Strategen an der Wall Street so pessimistisch gegenüber Aktien eingestellt seien, wie in keinem anderen Jahr seit 2005. Die Konsensprognose für den S&P 500 ging für 2017 von einem Anstieg um rund 4% aus. In der Publikation reichten die individuellen Prognosen der 16 Analysten von gerade einmal 1,3% bis hin zu 10,1%.1
Doch haben sich diese Prognosen bewahrheitet? Fast ein Jahr nachdem die Prognosen veröffentlicht wurden, wies der S&P 500 Mitte Dezember ein Plus von fast 19% für das Kalenderjahr auf. Dies war das neunte positive Jahr in Folge für den US Markt und es war dabei, sich zum erfolgreichsten Jahr seit 2013 zu entwickeln.
Warum sind die Prognosen nicht eingetreten? Anfang 2017 ließen sich durchaus überzeugende Gründe für eine vorsichtige Haltung finden. Ein Analyst, der im Januar von The New York Times zitiert wurde, erklärte, dass die Anleger ihre Portfolios so risikofreudig ausgerichtet hätten, wie seit 1999 nicht mehr.2
Der Analyst erkannte, dass sich die Bewertungen des Aktienmarktes auf historischen Hochständen bewegten, während die Zinssätze stiegen. Außerdem sorgte die Regierung in Washington in mehrfacher Hinsicht für Unsicherheit; in Frankreich, Deutschland und Japan standen Wahlen an und Japan sprach militärische Drohgebärden aus.
In Australien waren die Ökonomen genauso verhalten. Analysten nannten in einer Umfrage, die im Dezember 2016 veröffentlicht wurde, diverse Unsicherheitsfaktoren für Australien, darunter die Politik der Trump-Regierung, die chinesische Rohstoffnachfrage und die Entwicklung des lokalen Immobilienmarktes.3
Übereinstimmend ging man von einer Seitwärtsentwicklung oder leichten Gewinnen am einheimischen Aktienmarkt, einer allmählichen Abwertung des australischen Dollars und stabilen lokalen Zinssätzen aus. Die Ergebnisse zeigten sich uneinheitlich. Die Gesamtrendite des S&P/ASX 300 bis Mitte Dezember betrug rund 10%, der australische Dollar hatte im Jahresverlauf sogar aufgewertet und die Geldmarktsätze lagen unverändert bei 1,5%.
Im Vereinigten Königreich kletterte der FTSE 100 Index Anfang 2017 auf immer neue Rekordstände. Wie von der britischen Zeitung The Telegraph allerdings vermeldet, wurde in einigen Kreisen die Ansicht vertreten, dass dieser Aufwärtstrend aufgrund des Brexit-Prozesses und den bevorstehenden Wahlen in Europa nicht von Dauer sein würde.4 Fast ein Jahr später lag der Index auf Basis der Gesamtrendite mehr als 8% im Plus und war im November auf Rekordhöhen gestiegen.
Die größten Gewinner des Jahres sind jedoch die Aktien der Schwellenmärkte, die zum Zeitpunkt der Erstellung des Berichts rund 26% höher notierten. Bedauerlich ist dies für alle Anleger, die den düsteren Prognosen der Analysten dieser Publikation Glauben geschenkt hatten, die zu Beginn des Jahres 2017 voraussagten, dass der MSCI Emerging Markets Index ein gefürchtetes „Death Cross“-Muster ausgebildet hätte, das einen Abwärtstrend ankündigen würde.5
Zu Beginn des neuen Jahres werden in den Medien wieder vermehrt „Marktausblicke“ und Spekulationen publiziert. In der Berichterstattung werden gegenwärtig wieder prophetisch anmutende Warnungen über drohende geopolitische Risiken und Vorhersagen über einen Einbruch der Rohstoffpreise, sowie stark steigende (oder sinkenden – Sie haben die Wahl) Zinssätze und einen Zusammenbruch der globalen Kreditmärkte thematisiert.
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Beim Lesen dieser Berichterstattung lohnt es sich immer, ein paar Punkte zu berücksichtigen. Zum einen sind diese Meinungen und Prognosen bereits in die Preise eingeflossen, die eine Gesamteinschätzung der Marktteilnehmer zu den Aussichten für einzelne Wertpapiere und die Märkte im Allgemeinen darstellen.
Zum anderen ist zu beachten, dass keine Prognose, so fundiert sie auch sein mag, jemals alle unerwarteten Ereignisse berücksichtigen kann, die geschehen könnten. Eine gewisse Unsicherheit kann niemals ausgeschlossen werden – ist dies doch genau das, was wir als Anleger in Kauf nehmen, um potenziell höhere Renditen zu erzielen.
Drittens lässt sich beobachten, dass sich die Preise ändern, sobald neue Informationen vorliegen. Was sich aber häufig am stärksten auf die Preise auswirkt, sind Ereignisse, mit denen der Markt nicht im Entferntesten gerechnet hat. Daher kann es manchmal vorkommen, dass die Aktienpreise nach scheinbar schlechten Wirtschaftsnachrichten steigen, da die Zahlen nicht so schlecht ausfielen, als ursprünglich eingepreist.
Letztendlich kann man sagen, dass es sinnlos ist, ein sorgfältig entworfenes Portfolio aufgrund der Meinungen von Ökonomen, Strategen, Journalisten und anderen Beobachtern umzustrukturieren und zu verändern. Manchmal haben diese Leute recht. Meistens liegen sie aber falsch. Selbst wenn sie das Ausmaß einer Marktbewegung richtig voraussagen, könnten sie immer noch beim Zeitpunkt danebenliegen. Es gibt schlicht so viele Variablen, die Einfluss darauf haben, ob eine Investmentstrategie erfolgreich ist.
Ein besserer Ansatz besteht darin, eine geeignete Assetallokation zu bilden, die Sie unterstützen können. Wenn Sie glauben, dass Sie das Risiko nicht eingehen wollen, haben Sie andere Möglichkeiten – wie etwa Ihre Renditeerwartungen zurückzufahren, länger zu arbeiten oder weniger auszugeben.
Die Zukunft ist ungewiss. Das ist nun einmal so. Ob der Brexit, die US-Präsidentschaftswahl oder die Entwicklung der Weltwirtschaft – die meisten Prognosen über diese Ereignisse haben sich in den vergangenen zwei Jahren als falsch herausgestellt.
Sicher, Medienkommentare und Spekulationen darüber, was als nächstes geschehen könnte, sind interessant und regen zum Nachdenken an. Es ist legitim, dass Sie sich als Weltbürger für solche Dinge interessieren. Doch das bedeutet nicht zwangsläufig, dass Sie sich als Anleger auch unbedingt danach richten sollten.
Was Sie letzten Endes brauchen, ist ein Investmentportfolio, das speziell auf Ihre eigenen Bedürfnisse und Ziele ausgerichtet ist und Sie nachts ruhig schlafen lässt. Sobald Sie Ihr Portfolio aufgebaut haben und akzeptieren, dass die Märkte immer unsicher sein werden, brauchen Sie ihre Zeit nicht mehr damit zu verschwenden, die Zukunft aus ihrem Kaffeesatz zu lesen.
Gelesen und gelebt mit freundlicher Genehmigung von Dimensional Fund