„Qualität hat mit Nähe und kurzen Wegen zu tun"​
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„Qualität hat mit Nähe und kurzen Wegen zu tun"

Mit freundlicher Genehmigung von Michael Paproth / Esslinger Zeitung

Esslingen. Das Esslinger Familienunternehmen Hengstenberg beschäftigt zirka 500 Mitarbeiter. Unter dem Dach Hengstenberg führt das Unternehmen die Marken Mildessa, Knax, Sticksi und Altmeister. Das Sortiment reicht von Sauerkraut über Rotkohl, Essig, Feinsaures Gemüse und Feinkost bis hin zu italienischen Tomatenspezialitäten unter der Marke Oro di Parma. Im vergangenen Geschäftsjahr (30. April) betrug der Umsatz 140 Millionen Euro, 90 Prozent davon werden im Inland erzielt. Ein Gespräch mit dem 54-jährigen Hengstenberg-Chef Andreas Reimer.

Wie laufen die Geschäfte?

Die spannende Zeit in diesem Geschäftsjahr liegt noch vor uns. Unsere Saisonalität hat ihren Höhepunkt in den Wintermonaten. Wir erwarten eine stabile Umsatzentwicklung.

Stabil heißt Stagnation?

Das heißt, dass sich der Umsatz verschiebt in Richtung werthaltigerer Produkte. Und dass wir uns von einigen Geschäften trennen und dafür andere aufbauen.

Was wollen Sie aufgeben, und was wollen Sie aufbauen?

Wir sind allein vor dem Hintergrund der Dürre in diesem Jahr gezwungen, uns etwas anders aufzustellen. Wir haben aufgrund der Trockenheit und Hitze Ernteeinbußen zwischen 30 und 40 Prozent. So etwas gab es in der fast 150-jährigen Firmengeschichte noch nie. Eine Auswirkung davon ist, dass unser Mildessa Sauerkraut bei einem bekannten Discounter nicht mehr zu finden sein wird.

Die Dürre hat vor allem die Kohlernte einbrechen lassen?

Ja. Und die Gurken sind in den heißen Nächten zu schnell gewachsen und zu groß geworden. So hatten wir Probleme, sie ins Glas zu bekommen und für unseren Top-Seller Knax genug kleinere Gurken zu bekommen.

Und was wollen Sie ausbauen?

Saucen, Dips und Toppings beispielsweise, die wir in diesem Jahr unter der Range „Hengstenberg 1876“ auf den Markt gebracht haben. Damit bedienen wir den Megatrend Grillen und Fingerfood und sprechen ein jüngeres Publikum an. Hinzu kommt unser „BBQ Kraut by Mildessa“, das wir letztes Jahr eingeführt und in diesem Jahr um eine zweite Sorte erweitert haben.

Wie sieht die Strategie für das Unternehmen insgesamt aus?

Ein Teil der Strategie ist es, die Produkte wertiger zu machen. So loben wir bei Mildessa „Aus deutschem Anbau“ aus. Wir beziehen unseren Kohl ja aus den Gebieten rund um unsere Werke und können so die hohe Qualität von der Saat bis zum fertigen Produkt garantieren. Das sollte der Verbraucher wissen – und deshalb kommt die deutsche Fahne auf das Etikett.

Im Lebensmittelhandel in Deutschland herrscht ein harter Preiskampf. Zudem sind viele Deutsche – im Gegensatz zu Franzosen und Italienern – bei Lebensmitteln ziemlich knausrig. Hengstenberg ist im oberen Preissegment angesiedelt. Nun wollen Sie wertiger und damit wohl teurer werden. Wie geht das zusammen?

Werden Produkte knapper, werden sie teurer. Außerdem ist bei uns der Anteil an Handarbeit hoch. Beispiel Gurken: Handarbeit beginnt bei der Ernte und geht über das Sortieren bis hin zur Abfüllung ins Glas. Und unsere Landwirte haben Arbeitskräfte, die selbstverständlich nach deutschen Sozialstandards bezahlt werden. All das kostet.

Dann trifft Sie die Erhöhung des Mindestlohnes.

Die trifft uns in zweifacher Hinsicht: Bei eigenen Saisonkräften und bei der Rohware, die wir von Landwirten kaufen. Wir sind abhängig von Mutter Natur und Vater Staat. Höhere Kosten müssen wir an unsere Handelskunden weitergeben. So wie Kartoffeln und Hülsenfrüchte teurer werden, werden auch mal Sauerkraut und Gurken teurer.

Der Firmensitz ist in Esslingen, produziert wird in Bad Friedrichshall und Fritzlar sowie italienische Tomatenspezialitäten in Italien. Deutschland ist ein teurer Standort. Wie ist es um Ihre Wettbewerbsfähigkeit bestellt? Kommen Sie gut zurecht?

Wir sollten etwas besser zurechtkommen und uns die Wertschöpfung, die hierzulande stattfindet, besser bezahlen lassen. Qualität hat auch mit Nähe und kurzen Wegen zu tun.

90 Prozent des Umsatzes machen Sie in Deutschland. Dennoch ist Hengstenberg in 40 Ländern aktiv. Macht das Sinn?

Sie legen den Finger in die Wunde. Grundsätzlich macht Exportgeschäft Sinn, auch um die Abhängigkeit von einigen wenigen Abnehmern im hiesigen Markt zu verringern. Wir stecken in einem Strategiewechsel in Richtung „Zahlen vor Flaggen“. Ich habe lieber in einigen wenigen Ländern ein starkes Geschäft.

Wie kommt es, dass in einer kleinen deutschen Metzgerei im kalifornischen Los Altos Gurken, Sauerkraut und Essig von Hengstenberg in den Regalen stehen?

Das ist erfreulich . . .

. . . aber doch ein sehr weiter Weg für ein Gurkenglas . . .

Da haben Sie recht. „Made in Germany“ gilt auch für Food-Produkte als Qualitätsnachweis. Gerade in den USA freut man sich vielleicht über ein Produkt, das nicht genmanipuliert und in Handarbeit hergestellt ist. So haben wir in den USA einen unserer größeren Märkte.

Wäre das einer der Zukunftsmärkte?

Ja.

Transportkosten sind kein Thema?

Sie sind immer ein Thema. Aber es ist nicht wesentlich teurer, einen Container nach Los Angeles zu verschiffen, als eine nationale Distribution mit Lastwagen nach Görlitz sicher zu stellen.

Wie gehen Sie als familienfremder Manager mit den Gesellschaftern um?

Vertrauensvoll und eng. Wir sehen uns auch außerhalb von Gesellschafterversammlung und Verwaltungsratsitzung.

Was sind die Unterschiede in der Firmenkultur zwischen Hengstenberg und Ihrem früheren Arbeitgeber, der Bitburger Braugruppe?

Es gibt mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Beide Firmen habe langjährige Beziehungen zu ihren Beschäftigten. Die hohe Loyalität von Mitarbeitern ist typisch für ein Familienunternehmen. Ein Unterschied ist: Hengstenberg ist es gelungen, den Altersmix besser zu gestalten und den Frauenanteil in der Belegschaft zu erhöhen.

Wie weit sind Sie mit der Digitalisierung?

Bei Kommunikation und Administration sehe ich uns nicht an der Spitze der Bewegung, allerdings haben wir aufgeholt. Wir sind etwa in den relevanten Kanälen wie Facebook oder Instagram mit unseren Marken aktiv. Und das erfolgreich. Auch Zettelwirtschaft gibt es nicht mehr. Dennoch müssen wir noch weiterkommen.

Konzerne kaufen gerne mal Start-ups ein oder arbeiten mit ihnen zusammen, um sich schneller in der digitalen Welt zurecht zu finden. Ist das in der Lebensmittelbranche generell und für Sie speziell ein Thema?

Ich schließe nichts aus, habe aber noch nichts Überzeugendes gesehen.

Hier einige Stichworte mit der Bitte um eine kurze Antwort: Führung.

Elementar für den Unternehmenserfolg. Neben der Strategieentwicklung wichtigste Aufgabe des Topmanagements.

Motivation.

Kommt aus der Sinnhaftigkeit der Aufgaben.

Fehler.

Werden immer wieder passieren. Von Fehlerkultur halte ich wenig, da ich ungern in eine Airline steigen würde, die sich durch eine hohe Fehlerkultur auszeichnet.

Work-Life-Balance.

Macht mir ein Job Spaß, vergehen 16 Stunden wie im Flug. Macht der Job keinen Spaß, ist halbtags zu lang.

Motto.

Es kommt auf das Resultat an.

Wenn Ihnen das Resultat so wichtig ist, welche Rolle spielen dann noch Werte gerade in einem Familienunternehmen wie Hengstenberg?

Das ist eine der spannendsten Aufgaben. Einer unserer Werte ist Langfristigkeit. Bei Hengstenberg wird in Generationen gedacht. Das kann nur durch entsprechende Resultate abgesichert werden. Ein weiterer Wert ist das Bekenntnis zu Deutschland als Produktionsstandort. Auch dies geht einher mit den Resultaten. Wir waren, sind und bleiben ein deutsches Unternehmen.

Und der Firmensitz bleibt in Esslingen?

Ja.

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Zur Person

Andreas Reimer wurde am 13. November 1964 in Ribnitz-Damgarten in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Der ehemalige Berufsoffizier und Diplom-Gesellschaftswissenschaftler begann seine Karriere 1991 im Vertrieb der Mars GmbH. 2001 wechselte er zur Bitburger Braugruppe und war dort in verschiedenen Führungspositionen etwa als Exportchef, Vertriebsdirektor Handel sowie als Geschäftsführer der Köstritzer Schwarzbier Brauerei tätig. Seit 1. April 2018 ist er Vorsitzender der Geschäftsführung des traditionsreichen Esslinger Familienunternehmens Hengstenberg. Reimer ist verheiratet und hat einen Sohn.

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(c) Esslinger Zeitung vom 24./25. November 2018


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