Regulierung bitte nur noch mit Wirkungsnachweis
Deutschland und Europa stecken weiterhin im Dickicht der wuchernden Bürokratie fest. Zarten Ansätzen der Deregulierung stehen immer neue Bürokratie-Ungetüme gegenüber, die die Wirtschaft über Gebühr belasten und Bürgerinnen und Bürger drangsalieren. Mittlerweile aber dämmert es mehr und mehr Verantwortlichen in der Politik, dass immer neue Gesetze und Verordnungen zur Wachstumsbremse für die Wirtschaft und zu einem echten Standortnachteil werden. Natürlich braucht es Regeln für die Wirtschaft – aber bitte nur noch solche mit Wirkungsnachweis.
Nicht nur in der Medizin gibt es den Begriff „evidenzbasiert“. Das bedeutet nichts anderes, als dass bei der Behandlung von Patienten nur solche Methoden zum Einsatz kommen sollen, deren Wirksamkeit empirisch nachgewiesen ist. Bei Gesetzen, Verordnungen und anderen Regelwerken, die das Leben der Bürgerinnen und Bürger und das Wirken der Unternehmen einschränken, verzichten wir in der Regel großzügig auf einen solchen Nachweis. Dabei wäre es sinnvoll, dass zumindest weitreichende Regulierungen in einem angemessenen Zeitraum auf ihre Wirksamkeit überprüft und bis dahin unter Vorbehalt gestellt werden. Die Validierung auf anerkannter empirischer Grundlage wäre nach meiner Einschätzung eine wirksame Möglichkeit, regulatorischen Wildwuchs zu vermeiden.
Quantität nicht entscheidend, sondern Qualität
Die Politik geht in der Regel leider einen anderen Weg und kündigt öffentlichkeitswirksam Deregulierungen an, die sich eher an quantitativen Zielen orientieren. So überraschte die alte und neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 2023 mit der Ankündigung, die Berichtspflichten in der EU um 25 Prozent reduzieren zu wollen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europas zu stärken. Klingt gut, aber was bedeutet das genau? 25 Prozent weniger Gesetze, 25 Prozent weniger Zeit- und Kostenaufwand oder 25 Prozent weniger zu erhebende Daten?
Beliebt ist auch die Forderung „one in, one out“ oder sogar „one in, two out“, dass also für ein neues Gesetz ein altes oder zwei weichen müssen. Diese Logik klingt gut, greift aber zu kurz. Denn entscheidend ist nicht die Zahl der Vorschriften, sondern deren Reichweite und der zur Erfüllung erforderliche zeitliche, personelle und finanzielle Aufwand. Allein für die Unternehmen in Deutschland betrugen die jährlichen Bürokratiekosten – auch wenn sie nicht vollständig durch deutsches Regierungshandeln beeinflussbar sind – rund 67 Milliarden Euro laut einer Meldung des Statistischen Bundesamts im Frühjahr 2024.
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Negativbeispiel CSRD
Aber blicken wir nach vorn: Die Berliner Ampelkoalition rechnet vor, dass das Bürokratieentlastungsgesetz IV, das Wachstumschancengesetz und weitere Maßnahmen die deutsche Wirtschaft in Summe mit mehr als 3 Mrd. Euro pro Jahr entlasten werden. Zugleich schätzt jedoch das Bundesjustizministerium, dass allein die seit diesem Jahr geltende Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU, die einen umfassenden Nachhaltigkeitsbericht von größeren Unternehmen fordert, die Wirtschaft mit rund 1,4 Mrd. Euro belasten wird. Fast die Hälfte des Entlastungseffektes verpufft also wieder. Umso wichtiger wäre es zu prüfen, ob die Berichtspflichten für die Firmen in der Praxis sinnvoll sind und wirklich zu nachhaltigerem Wirtschaften beitragen.
Die CSRD ist ein gutes Beispiel, wie Ankündigung und Wirklichkeit in Berlin und Brüssel oft auseinanderklaffen. Der SPIEGEL nannte die Direktive aus Brüssel zu Recht die „größte Formularmaschine seit Jahrzehnten“. Um die umfangreichen Berichtspflichten einzuhalten, müssen Unternehmen Daten und Informationen von all ihren Geschäftspartnern und Lieferanten einholen – über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Dies erfolgt in Form von individuellen Abfragen und Fragebögen, was mit einem enormen Arbeitsaufwand und inkonsistenten Datenformaten einhergeht. Darüber hinaus sehen sich die Unternehmen selbst mit zahlreichen und zum Teil sehr unterschiedlichen Datenabfragen konfrontiert, wobei sie sich durch eine Matrix mit mehr als 1.000 Datenpunkten kämpfen müssen. Ich finde: Wer solche Pflichten auferlegt, der sollte auch gezwungen sein, ihre Wirksamkeit und Angemessenheit zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren.
Weniger ist oft mehr
Immerhin: Mittlerweile erkennen immer mehr politische Entscheidungsträger, dass Überregulierung eine akute Gefahr für den Wohlstand in Deutschland und Europa ist. Sie lähmt Eigeninitiative, Innovationen und unternehmerisches Handeln. Mittelständische Unternehmer, die auch in großer Zahl zum Kundenstamm der MLP Gruppe gehören, beklagen dies vielfach und vollkommen zu Recht. Die Auswüchse der Regulatorik erleben wir auch im eigenen Unternehmen. Aber wo liegen Lösungsansätze, denen sich die Politik verstärkt zuwenden sollte? Zunächst ist es nötig, sich vom Anspruch zu verabschieden, stets 100-Prozent-Lösungen anzustreben. Es muss nicht für alles einen Bericht geben. Statt einer sinnfreien „Weltvermessung“ mit Abfragen und Formularen in jedem Unternehmen erscheint es doch deutlich effizienter, kontrollierende Behörden zu stärken, die sich dann gezielt Verdachtsfällen zuwenden können. Oder auch den simplen Grundsatz zu beherzigen, einfach nichts zu regeln, wenn man nichts regeln muss und stattdessen auf funktionierende Marktmechanismen zu setzen. Und nicht zuletzt auf den gesunden Menschenverstand zu bauen, den man bei mündigen Bürgerinnen und Bürgern durchaus voraussetzen darf.
Head of HR bei FERI
2 MonateAuf den Punkt gebracht. Bravo Uwe !
- gerne per Du - Experte für Inklusion und Diversity
3 MonateAbsolut!