Russischer Sprach- und Schildersturm
Alles, was schief gehen kann, wird garantiert schief gehen
Murphy: Russischer Sprach- und Schildersturm
Text von 1997, erstmals Publiziert in der Basler Zeitung
In Moskau und St. Petersburg müssen fremdsprachige Firmenschilder und Reklamewände (russisch: Reklamni Paneli) abmontiert und durch russischere ersetzt werden. Es sei älteren Menschen nicht zuzumuten, dass plötzlich so viele neue Wörter in lateinischen Schriftzeichen auftauchen, begründen die beiden Bürgermeister Juri Luschkov und Vladimir Jakovlev die Aktion.
Entsprechende Gesetze gibt es in Moskau und St. Petersburg schon lange, doch bisher waren es „schlafende Viren“. Nun ist die Krankheit ausgebrochen und Bautrupps mit Polizeischutz haben letzte Woche am St. Petersburger Nevski Prospekt demonstrativ zwei Neonreklamen demontiert. Allerdings ist zumindest der Petersburger Gouverneur Jakovlev nach massiven Protesten ausländischer Geschäftsleute wieder etwas zurückgekrebst, und hat verlauten lassen, man werde das Gesetz nicht so strikt umsetzen, wie es geschrieben sei.
Die Aktion gegen westliche Wort-Importe ist in nationalistischen Kreisen sehr populär. Doch bei Geschäften und Werbeleuten herrscht grosse Konfusion, denn in der russischen Sprache wimmelt es von Fremdwörtern, welche die meisten Russen gar nicht mehr als solche wahrnehmen. Ein rotes Tuch für die Gralshüter der russischen Sprache ist das inzwischen häufige „Supermarket“. „Jarmarka“ (von „Jahrmarkt“) für „Messe“ ist dagegen russisch, genauso wie der „Schtrich“ (Strich) oder die „Tramvaj (Tram), die vom „Woksal“* (Bahnhof) zum „Potschtamt“ (Postamt) fährt. Bei der Eisenbahn gibt es auch die Rejlsi (Rails, Bahnschienen), das „Perron“, identisch mit der „Plattforma“. Eine fahrplanmässige Fahrt oder ein entsprechender Flug ist eine „Rejs“ (Reise) und „Bagasch“ ist Gepäck. Zuhause sitzt man auf einem „Stul“ oder einem „Taburet“, in der „Wanna“ (Bad) gibt es an der Wand „Kafeli“ (Kacheln), man nimmt eine „Dusch“ und nachher etwas „Odekolon“ (Eau de Cologne) bevor man sich eine „Futbolka“ (T-Shirt, bzw. Fussballeibchen) überzieht. Die Ferien verbringt man in einem „Kurort“ (Kurort) an der „Plasch“ (Strand).
In der „Pekarnja“ (Bäckerei), „Konditerskaja“ oder „Bulotschnaja“ (Boulangerie) werden „Kroassants“ und „Butterbrodi“ (Belegte Brote, meist ohne Butter) verkauft und wer einen „Gipfel“ bestellt, bekommt ein Blätterteiggebäck - allerdings ein viereckiges. In der „Kuchnja“ (Küche) tropft man „Makaroni“ im „Durschlag“ (Salatsieb bzw. Durchschlag) ab. Sehen die Teigwaren allerdings aus wie Spaghetti, sind es „Wermischel“ (Vermicelli=ital. Würmer). In der „Kuchnja“ (Küche) gart die „Kartofel“ in der „Kastrulia“ (Kasserolle), die „Gastrol“ dagegen ist eine Gastrolle, beziehungsweise ein Gastspiel.
Im kulinarischen Sektor (russisch: „Kulinarnij Sektor) gibt es auch Begriffe wie „Snitzel“, „Schpinat“, „Bifschteck“, „Glintwejn“ (Glühwein), „Portwejn“, „Schampanskoe“ (Champagner), „Konjak“ (Cognak, meist aus Armenien) oder „Tschai“. Tschai heisst „Tee“ und ist chinesisch. „File“ kann alles zwischen Fisch, Fleisch und Geflügel sein, allerdings in den seltensten Fällen wirklich Filet. Dagegen ist „Schinka“ immer Schinken und „Schpik“ meistens Speck, oder allenfalls „Bekon“. Zu sich nehmen kann man diese Dinge in einem „PECTOPAH“. Das liesst sich wie „Restoran“ und bedeutet auch das. Ein spezieller Fall ist das Bistro. Bistro heisst auf russisch „schnell“. Das Wort ist angeblich mit den russischen Soldaten nach dem Sieg über Napoleon nach Frankreich und dort in Mode gekommen, weil diese immer alles „bistro, bistro“ (schnell, schnell,) haben wollten. Aus jener Zeit stammt auch der „Scheramischnik“ (Bettler, Landstreicher), weil die hungernden und frierenden Soldaten der geschlagenen „Grande Armée“ Napoleons bei russischen Bauern mit den Worten „Chèr Ami“ um Brot und Unterkunft bettelten. Das Bistro ist inzwischen wieder nach Russland zurückgekehrt, „schikarna“ (chic), weil französisch und deshalb auf der behördlichen Abschussliste.
Dagegen scheint es niemanden zu stören, dass selbst der Vorsitzende der nationalistisch-kommunistisch dominierten Staatsduma „Schpiker“ (Speaker) genannt wird und selbige Duma immer wieder nach einem „Impitschment“ (Empeachment) des Präsidenten schreit.
Nicht nur der Schpiker, auch andere Berufsleute haben ausländische Bezeichnungen, etwa der „Baletmejster“ (Ballettmeister), der „Parikmacher“ (Coiffeur, bzw. Perückenmacher), der „Maljar“ (Maler), der Gipser und der „Buchgalter“ (Buchhalter) der seine Zahlen ins „Grosbuch“ einträgt, das sich heute meist im „Kampjuter“ befindet. Gearbeitet wird in einer „Werstak“ (Werkstatt) oder „Zech“ (Zeche) mit „Lobsig“ (Laubsäge), „Schrupi“ (Schrauben), „Schrupzynna“ (Schraubzwinge), Freser (Fräser), Schtangenzirkel (Schiebelehre) Rejsschina (Reissschiene) und „Culmann“ (Reissbrett), der heute allerdings immer mehr vom „Kampjuter“ verdrängt wird. Und wer „Wintschester“ sagt, meint meist kein Gewehr, sondern die Festplatte des Computers. Zahlen sind „Ziffri“, die sich auch hin und wieder auf dem „Zifferblatt“ einer Uhr wiederfinden und schliesslich ergibt das Deutsche Wort eine russische Bezeichnung, die es im Deutschen nur mit einem englischen Lehnwort gibt: „Ziffrawaya Technologia“ für Digitaltechnik.
Auch beim russischen Militär tönt es vertraut, vor allem dank den während Jahrhunderten aus Deutschland importierten Generälen, Militärberatern und Zarinnen. Es gibt den „Schtab“, den „Jefreiter“ (Gefreite), den „Schpion“, den „Rjuksak“ (Rucksack), den „Schlagbaum“ und den KP für „Kommandni Post“ vor dem „Plaz“ oder „Plazdarm“ (Place d`armes) bei der „Kasarma“ (Kaserne). Und selbstverständlich gehört auch die „Gauptwache“, vulgo „Kiste“ (Militärgefängnis) dazu. Den Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland feiert man mit einer „Parad“ und einem „Fejerwerk“ (Feuerwerk). „Veterani“ tragen rote „Flagi“ oder kleinere „Vimpel“ herum und nennen ihre Demo „Miting“, während Kinder „Chalt, Chände choch!“ schreien, wenn sie Krieg spielen.
Den „Sportsmen“ und dessen weibliche Form, die „Sportsmenka“ gab es schon immer. Dagegen ist der „Bisnesmen“ mit seinem „Portfel“ (Pertefeuille) erst vor ein paar Jahren aufgetaucht. Der vor-revolutionären „Kupez“ (Kaufmann) ist aus der Mode geraten. Wer „Bisnes“ macht, geht zur „Birsch“ (Börse), trägt ein „Galstuk“, was früher „Halstuch“ hiess und heute als Krawatte interpretiert wird. Und was ihm sein „Galstuk“ ist ihr der „Bjustgalter“ (Büstenhalter), oder allenfalls „Liftschik“, ebenfalls zur Klärung der Funktion. Das Wort „Krawat“ gibt es aber trotzdem, nur bindet man es sich nicht um den Hals, sondern legt sich abends darauf schlafen.
Solcherlei Verwirrungen gibt es auch anderswo. So ist „Schtorm“ ein stürmischer Wind, ein „Schturm“ aber ein Sturmangriff, der Wind heisst „Weter“ („Wetter“ ist auch in der Bergmannssprache Wind) und streicht über die „Landschaft“ (Landschaft) oder die „Pejsasch“. Oder: Ein Wettbewerb ist ein „Konkurs“, ein Konkurs jedoch ein „Krach“, aber Krach ist „Schum“ und das ist russisch.
Mit all diesen Problemen haben sich weder Juri Luschkov in Moskau noch Vladimir Jakovlev in St. Petersburg eingehend auseinandergesetzt. Konsequent durchgesetzt müssten viele gewohnte Bezeichnungen geändert werden. Auch die „Metropoliten“ genannten Untergrundbahnen bräuchten einen neuen Namen; allein schon um Verwechslungen mit dem Oberhaupt der orthodoxen Kirche zu vermeiden. Selbst die beiden Initianten des Schildersturms müssten für sich selber neue Titel erfinden. Bürgermeister Juri Luschkov verstösst gegen seine eigenen Anordnungen, wenn er sich weiterhin als „Mer“ (Mayor oder Maire) von Moskau bezeichnet. Vladimir Jakovlevs Amt in St. Petersburg wurde zwar vor ein paar Jahren in Gouverneur, beziehungsweise „Gubernator“ umbenannt, doch das hilft ihm auch nicht weiter.
*Woksal ist das russische Wort für Bahnhof und stammt von der „Vauxhall Station“ bei London, welcher das erste repräsentative Bahnhofgebäude Russlands, die Haltestelle in Zarskoe Selo (Zarendorf) bei St. Petersburg, nachempfunden war.
Changes change.
2 JahreSehr interessant. Das deutsche Wort "Strafe" gibt's doch auch im russischen - oder irre ich?