Datensparsamkeit in der schönen neuen Gratis-Welt!
Bei meiner neuesten Werbeaktion auf Facebook für meinen Web Service AdventureLog.io gab es schnell den ersten Kommentar. Es ist nur ein kleines Wort mit 6 Buchstaben, aber es beschreibt, wie viele Nutzer die heutige Internet-Welt sehen: "Gratis?"
Am liebsten würde ich antworten: "Gratis ist nicht einmal dein Tod." Einen Moment lang überlege ich, ob ich es ihm erklären soll. Dass über Tausend Stunden unbezahlte Arbeit in das Tool geflossen sind. Dass allein der professionelle Betrieb auf Servern in Deutschland fast 2000 € jährlich kostet. Dass ich pro Jahr fast nochmal so viel in Werbung investiere, um überhaupt eine gewisse Sichtbarkeit zu erreichen in dieser riesigen Welt aus Millionen Services. Dass jeder Klick von ihm auf meine Webseite mich mindestens 10 Cent kostet, bei Google schnell mal auch über einen Euro. Dass ich alles, was ich von anderen als Dienstleistung beziehe, auch bezahle, und auch mal jemandem etwas spende, um seine Arbeit für die Community zu würdigen - weil das etwas Gutes ist! Nicht zuletzt möchte ich ihm erklären, dass das "gratis" Facebook, auf dem er gerade surft, von solchen Idioten wie mir finanziert wird, die es als Werbeplattform nutzen. Und ich gerade seine durch ausuferndes Tracking erfassten Nutzungsdaten verwerte, weil sie ihn als potentiellen Interessenten für mein Produkt identifizieren.
Aber ich bleibe still und denke mir meinen Teil. Ich möchte diese Nutzer nicht haben. Ich möchte stattdessen solche, die es zu schätzen wissen, dass es Menschen gibt, die solche Software produzieren, weil es ihnen Spass macht - und nicht primär deshalb, weil sie damit schnell reich werden wollen. Ich möchte keine Nutzer, die bereitwillig 1000 € in ein neues iPhone investieren, aber wegen den 99 Cent für eine App herumjammern, oder den Jahresbetrag für AdventureLog an einem Abend für zwei Bier verpulvern.
Auf die ein oder andere Art zahlen wir für alles. Und das ist auch gut so, denn damit würdigen wir die Produkte, die wir nutzen. Wenn etwas nichts kostet, ist etwas faul.
Datensparsamkeit, was ist das?
Bei der Entwicklung von AdventureLog.io wollte ich in dieser Hinsicht alles richtig machen: Nur die Daten speichern, die effektiv für den Betrieb benötigt werden. Das ist toll, denn das hat handfeste Vorteile: es reduziert die Komplexität und macht das Produkt besser wartbar, es erhöht die Performance, es schafft kein Einfallstor für Anwaltspinsel die auf DSGVO-Jagd sind, und es sorgt für ein gutes Gefühl bei den Nutzern. Ja, stell dir vor: Du brauchst dann nicht einmal einen Generator für ellenlange, vermeintlich rechtskonforme Datenschutzhinweise: Schreib einfach was du speicherst und es ist okay. Bei AdventureLog genügen dazu zwei Absätze, die jeder versteht.
Eine einfache Webseite benötigt keine Cookies
Wer ist nicht genervt von den Cookie-Hinweisen, die uns jeden Tag in die Irre führen? Deren grösster Knopf entgegen den gesetzlichen Anforderungen die für den Nutzer schlechteste Option aktiviert? Oder die Fake-Hinweise, die um Zustimmung bitten, während im Hintergrund bereits ein Cookie gesetzt wurde?
Wenn ich auf meiner Website keine interaktiven Elemente habe, die es erfordern, einen Zustand zu erhalten (z.B. ein Warenkorb), dann brauche ich keine Cookies. Punkt. Aber die Sprachauswahl! Nein -- wenn du die Spracheinstellung in der Session speicherst, machst du etwas falsch. Jede Seite mit einer URL liefert beim Abruf denselben Inhalt, unabhängig von einer Session. Das hilft nicht nur Suchmaschinen, sondern auch deinen Nutzern.
Eine Webseite oder eine App benötigt keine Tracker
Fast jede durchschnittliche Webseite versucht ein halbes Dutzend Tracker zu aktivieren, manche mehr, manche weniger. Und wenn ich sie blockiere, funktioniert meist trotzdem alles - es sei denn, die Dinger werden benutzt, weil ich deren Ressource bin, um Geld zu verdienen.
Warum setzt du die Dinger ein? Was willst du über deine Nutzer wissen?
Ich behaupte, dass du alles, was du brauchst, auch anderweitig erfassen kannst. Du willst wissen, wie viele Besucher du hast? Nein, dazu musst du die Daten deiner Nutzer nicht an Google verschenken. Du kannst auch deine anonymisierten Server-Logs selbst auswerten und die Daten nach einer Woche löschen. Musst du denn wirklich wissen, auf welchen Pixel deine Nutzer klicken? Welchen Mehrwert bringt es dir?
Und wenn du in deiner App wissen möchtest, welche Funktionen häufig verwendet werden, dann bau dir das doch selbst. Warum die Daten nach aussen geben, wenn du sie selbst erfassen kannst? Warum musst du ein auf amerikanischen Servern gehostetes Crash Reporting einbauen, wenn du die Exception Traces auch einfach in einer Datei auf dem Server speichern oder dir automatisiert per E-Mail schicken lassen kannst?
AdventureLog.io enthält keinerlei Tracker. Klar werten wir aus, wie viele Nutzer sich anmelden, wie viele Touren sie anlegen, wie viele Bilder sie hochladen - mit diesen Daten kann ich sehen, ob das Tool bekannter wird oder eine teure Werbeaktion etwas bringt. Doch wir geben die Daten an niemanden weiter, sie bleiben da wo die Nutzer sie bereitwillig hin gegeben haben: Auf einen Server im DSGVO-Raum Deutschland.
Aber die Likes!
Eine Webseite benötigt auch keinen Facebook-"Like"-Button. Nein, wirklich nicht. Die Standardintegration von dem Ding erfasst eure Nutzer sogar, wenn sie nicht bei Facebook sind. Facebook weiss dann, wenn sie doch mal ein Konto dort anlegen, bereits, dass sie einmal auf eurer Webseite waren. Wollt ihr das? Warum?
Macht doch einfach einen simplen Link, der auf eure Facebook-Seite zeigt. Dort könnt ihr immer noch geliked werden. Ganz einfach.
Eine App braucht nur die Daten, die sie braucht
Bei AdventureLog.io erfassen wir nur Vorname, E-Mail und Profilbild des Nutzers, mehr nicht. Auch Social Media Logins via Google und Facebook dienen nur dazu, diese drei Daten zu liefern - man muss nicht mehr speichern, auch nicht die Google- oder Facebook-IDs! Warum sollten wir Daten erfassen, die niemand benötigt?
Die Daten gehören euren Nutzern
Es ist ein Unding, die Option den Account zu löschen, in den tiefsten Tiefen zu verstecken, oder gar nur via Supportanfrage zugänglich zu machen. Wenn ihr verhindern wollt, dass euch eure Nutzer verlassen, dann beglückt sie mit besserem Content und gescheiten Funktionen. Wenn jemand gehen will, dann lasst ihn gehen!
Es ist ebenso ein Unding, Daten auf euren Servern zu behalten, wenn euch jemand verlässt. Klärt den Nutzer stattdessen auf, macht eine schöne Sicherheitsabfrage rein, und dann weg mit dem Zeug: Alles, was der Nutzer je erfasst hat, muss verschwinden. Sofort!
Good Practice ist es zudem, euren Nutzern ganz einfach alle Daten zum Download zur Verfügung zu stellen, am besten noch in einem Format, das auch ein Nicht-Techy (und das sind die meisten Nutzer) versteht. Da ihr nichts erfasst, was der Nutzer nicht hochgeladen hat, könnt ihr ja auch bereitwillig alles herausgeben. Oder nicht?
Werbung? Echt jetzt?
Wenn ihr mich fragt: Ich empfinde Werbung in Apps oder Web Services als das schlimmste Übel unserer Zeit. Lieber zahle ich einmalig zehn Euro für eine App, die ich gerne nutze, anstatt mir die Werbung anzutun. Genau aus demselben Grund habe ich auch ein Netflix-Abo und schaue kein TV. Noch dazu geht Werbung meist auch mit Tracking einher.
Deshalb: Lasst es bleiben. Baut ein Gratisangebot um eure Nutzer von eurem Service zu überzeugen - werbefrei, versteht sich - und dann überzeugt sie mit eurem Dienst. Wenn sie überzeugt sind, zahlen sie dafür.
Abos? Warum denn das?
Es scheint, man kann heute keine App mehr nutzen, ohne ein Abo abzuschliessen. Zwei Zeilen oberhalb schreibe ich noch, dass ich gerne zahle, wenn mir die App gefällt. Aber warum dann ein Abo? Warum kann ich nicht einfach für ein Jahr zahlen, und wenn ich die App nach einem Jahr immer noch benutze, einfach nochmal bezahlen? Macht ihr die Abos nicht einfach deshalb rein, weil ihr darauf spekuliert, dass viele Benutzer die Kündigung vergessen?
Ich habe schon öfter eine App freigeschaltet und das Abo sofort wieder gekündigt, damit ich es nicht vergesse. Denn was weiss denn ich, ob ich das Produkt nach dem Abozeitraum noch weiter nutze?
Also: Weg mit den Abos! Und bitte, lasst eure Nutzer gratis testen, bevor sie bezahlen müssen. Das gehört sich einfach so.
Bitte aufräumen!
Natürlich hast du Leichen im System. Benutzer, die sich anmelden, um zu schauen, und dann nie wieder auftauchen. Benutzer, die die Lust verlieren oder ein Produkt finden, das ihnen besser gefällt. Das ist total normal. Nur: Die wenigsten Plattformen räumen wirklich mal auf.
Bei Facebook wird mir eine "potentielle Reichweite" von 10 Millionen Benutzern angezeigt, aber wenn ich meine 100€-Anzeige in einer Woche zeige, beschweren sich schon Leute, dass sie die Anzeige zu oft sehen. Wie kann das sein, bei so vielen "potentiellen Nutzern"? Ganz einfach: Facebook räumt nicht auf. Wie viele von den 6 Milliarden Konten sind denn noch aktiv? Wie viele Nutzer schauen nur einmal im Monat oder im Jahr rein?
Bei AdventureLog erhalten Nutzer nach 6 Monaten Inaktivität eine Erinnerungsmail. Wenn sie sich weitere 6 Monate nicht anmelden, wird ihr Konto gelöscht. So ergibt sich über die Jahre ein gesundes Verhältnis aus Registrierungen und Löschungen, und man räumt die Daten der Nutzer automatisch wieder auf, ohne dass man die Nutzer zwingt, das selbst tun zu müssen. Auch das ist Datensparsamkeit.
Was ich mir wünsche
Ich wünsche mir eine neue Internetwelt. Eine Welt, in der ich gezielt mein Geld in Dienste investieren kann, die mich persönlich weiterbringen, die mir gefallen. Ich will keine Welt, die mich überall verarscht werde, in der ich selbst das Produkt bin, in der ich getrackt und weltweit vermarktet werde.
Ich wünsche mir eine Welt, in der ein Bewusstsein dafür existiert, dass nichts gratis ist. Das Bewusstsein, dass Qualität einen Wert besitzt, etwas, für das ich gerne mein Geld ausgebe. Ich wünsche mir, dass nicht nur anfassbaren Dingen ein Wert beigemessen wird, sondern auch digitalen Services und Dienstleistungen.
Vor allem wünsche ich mir, dass "Datensparsamkeit" nicht nur ein geflügeltes Wort ist, sondern aktiv gelebt wird.
Denkt daran, wenn ihr das nächste Mal einen Facebook-Like-Button in eure Webseite einbaut.
Danke.
#datensparsamkeit #datenschutz #tracking #dsgvo #qualität #web-apps
Co-Founder/Creative Head at Promologik | Helping businesses craft stories their customers love using content marketing
3 JahreGood read, Thanks for sharing so much value Jens :)