Schießt Gleichstellungspolitik über ihr Ziel hinaus?
Der Internationale Frauentag hat seinen Ursprung im Kampf für gleichberechtigte politische und wirtschaftliche Teilhabe und gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen sowie Lebensumstände von Frauen. Es waren unter anderen die deutschen Frauenrechtlerinnen Clara Zetkin und Käte Duncker, die sich 1910 während der Internationalen Frauenkonferenz in Kopenhagen für einen solchen Tag stark machten. Über hundert Jahre später wähnen sich viele Deutsche am Ziel angekommen. So sind laut einer Ipsos Umfrage 49 Prozent der Deutschen der Meinung, die Gleichstellungspolitik sei weit genug gegangen; 2019 vertraten lediglich 35 Prozent diese Ansicht. 44 Prozent der Bevölkerung glauben, dass von Männern zu viel verlangt würde, um Geschlechterparität zu erreichen (2019: 31%) und 37 Prozent der Deutschen bemängeln, dass es mittlerweile Männer sind, die diskriminiert würden.
Laut dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) gab es in Deutschland eine durchaus positive Entwicklung. So hat sich Deutschland über verschiedene Dimensionen hinweg seit 2010 von 62,6 auf 70,8 Punkte auf dem EIGE Gender Equality Index verbessert. Besonders in den Kategorien "Geld", "Arbeit" und "Einfluss" gab es signifikante Verbesserungen. In anderen Lebensbereichen, wie zum Beispiel der Freizeitgestaltung, ist jedoch kein Fortschritt erkennbar. Insgesamt liegt Deutschland mit den 70,8 Punkten in Sachen Gleichstellung nur knapp über dem europäischen Durchschnitt und damit weit hinter Schweden, den Niederlanden oder Dänemark.
Auch das Statistische Bundesamt verwies 2024 (wieder einmal) auf den persistenten Gender-Pay-Gap. Unbereinigt ergibt die Einkommensdifferenz aus den durchschnittlichen Brutto-Stundenverdiensten von Frauen und Männern in Deutschland 18 Prozent. Selbst unter Berücksichtigung von Unterschieden im Hinblick auf Beruf, Branche, Beschäftigungsumfang, Qualifikation oder Karrierelevel beträgt der Gender-Pay-Gap hierzulande 6 Prozent.
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Abgesehen von sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten leben Frauen in Deutschland leider auch gefährlich. Laut Lagebericht zur Häuslichen Gewalt des Bundesministeriums des Innern und für Heimat stieg die Zahl der Opfer von häuslicher Gewalt in Deutschland von 2021 auf 2022 um 8,5 Prozent. Da viele Taten bei der Polizei nicht angezeigt werden, mag die Dunkelziffer höher sein. Wir tun also gut daran, uns jedes Jahr (und hoffentlich nicht nur einmal im Jahr) daran zu erinnern: Es verbleibt in Deutschland weiterhin viel für die Gleichstellung von Männern und Frauen zu tun.
Head of Marketing & Communications at Ipsos Germany
10 MonateAnnika Degen und Robert Grimm, ihr solltet mal in Annikas Podcast sprechen! Glaube, könnte spannend werden …