Schluss mit toten Fischen - Aktives Offline-Sein reanimiert
Wir leben in einer Welt, die sich immer schneller und schneller dreht. Dabei vermuten Experten, dass sich die Geschwindigkeit der digitalen Neuerungen nie wieder so langsam vorwärts entwickeln wird, wie heute. Doch jeder von uns sollte selbst für sich entscheiden, welches Verhalten für das eigene Lebens richtig ist und welchem man sich bewusst verweigert.
Wenn man dem Trend der digitalen Zeit ohne Selbstreflexion stoisch folgt, so ist man anno 2019 schnell getrieben von Push-Benachrichtigungen, überquellenden Messenger-Posteingängen und stets tiefrot leuchtenden Hinweisen von Apps, dass es etwas zu tun gibt. Würde ein Mensch aus den 1950er Jahren plötzlich in unserer Zeit auftauchen und man würde ihm die Verantwortung für ein Smartphone geben - der Nervenzusammenbruch wäre vermutlich vorprogrammiert. Physiologisch unterscheidet uns von diesem Menschen gar nichts, denn unser Gehirn entwickelt sich nicht so schnell weiter, wie es die Technologie fast täglich tut. Dass dadurch viele Menschen dauerhaft am Rand von Burn-out, Depression oder Nervenzusammenbruch stehen, sollte daher eigentlich niemanden mehr verwundern.
Leider ist das Konstrukt Gruppenzwang oder gefühlter Gesellschaftszwang, ein sehr großes Thema, das eine Unmenge Menschen erschafft, die wie tote Fische schwimmen, mit dem großen Strom, der glaubt, dass es vollkommen normal und vor allem gesundheitlich unbedenklich sei, dauernd erreichbar zu sein und im Minutentakt auf ach so wichtige Nachrichten von Menschen zu reagieren, die man zum Teil seit Ewigkeiten nicht gesehen hat. "Aber sie hat doch die blauen Häkchen gesehen, jetzt muss ich antworten!" Meine Oma pflegte ja immer zu sagen, "Müssen musst du gar nichts, außer sterben. Und davor braucht man keine Angst zu haben." Auch wenn sie nicht - wie kein Mensch - perfekt war, so hat sie mir immer Mut gemacht, Dinge anders zu denken.
Warum wir glauben, ständig erreichbar sein zu müssen
Wenn ich mir mein Umfeld so anschaue, dann sehe ich ziemlich viele Menschen, die ihr Smartphone ständig griffbereit haben und bei denen regelmäßig das Display aufleuchtet, weil die Tina wieder etwas in die WhatsApp-Gruppe vom Mädelsabend geposted hat, der Tom nicht weiß, ob er sich von Sophia trennen soll und Christian-Theodors Lieblings-Bartagame gestorben ist. Und das alles zieht Aufmerksamkeit auf sich, während die lesende Person eigentlich etwas anderes zu tun hat, zum Beispiel, weil sie gerade ein Projekt plant, ein Meeting protokolliert, beim Einkaufen ist oder Auto fährt. Irgendwas ist immer, die Welt dreht sich heute so unglaublich schnell. So fühlt es sich zumindest an.
Durch die modernen Medien haben wir die Möglichkeit, über Kontinente hinweg schnell und einfach miteinander zu kommunizieren. Ich habe zuletzt noch mit dem extrem coolen Tourguide Jason "Jase" aus Australien in Echtzeit getextet, am anderen Ende der Welt. Total crazy eigentlich, wenn man mal darüber nachdenkt. Und da es auf der einen Seite wirklich toll ist und Menschen verbindet, so ist es im Umkehrschluss auch so, dass irgendwo immer irgendwer wach ist und irgendwas kommunizieren will. Und mancher von uns glaubt, dass es eine gute Idee ist, dann auch erreichbar zu sein, es könnte ja wichtig sein. Doch dafür bezahlen wir irgendwann mit etwas, das man nicht so leicht wieder erlangt: Der Fähigkeit, wirklich abzuschalten und mit sich selbst in Frieden allein sein zu können.
Es ist schön, gebraucht zu werden
Natürlich ist es ein schönes Gefühl, viele Freunde zu haben und von ihnen nach seiner Meinung gefragt zu werden. Und es ist auch toll, seine Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen, schließlich sind wir soziale Wesen und brauchen mehrheitlich auch den regelmäßigen Kontakt mit anderen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Auch innerhalb von Familien und anderen engen Bindungen, ist es heute leichter denn je, auf dem Laufenden zu bleiben, mal eben noch den digitalen Einkaufszettel zu ergänzen oder schnell ein Bild vom erbeuteten Schatz als kleine Vorfreude durch den Messenger zu jagen. Alles gut. Aber wir sollten dabei eine Sachen niemals vergessen: Jeder hat das Recht, für sich selbst zu entscheiden, wann man auch einmal nicht erreichbar sein möchte.
Wer mich ein bisschen besser kennt, oder auch nur ab und zu auf LinkedIn oder Facebook meinen Updates folgt, der wird wissen, dass ich alle paar Monate eine bewusste Offline-Zeit nehme. Das mache ich meist, wenn ich eh Urlaub habe, aber es bedeutet nicht, dass ich zwangsläufig auch wegfahren muss. Es bedeutet allerdings, dass ich mich bewusst dagegen entscheide, für andere Menschen erreichbar zu sein. Und wie man auf dem Bild ganz oben von meiner dreieinhalb Wochen-Tour durch Australien klar erkennen kann: Offline-Sein wirkt vitalisierend und auf tote Fische reanimierend. Denn es hilft, sich bewusst dafür zu entscheiden, später einmal erneut gegen den Strom zu schwimmen. Und sich dabei sicher, selbstbewusst und wohl zu fühlen.
Abtauchen ist heilsam und gibt Energie für kommende Leistungen
Ich werde Ihnen meinen Ansatz gerne einmal erklären, dann werden Sie die Sinnhaftigkeit dahinter schnell erkennen, auch wenn er etwas ungewöhnlich sein mag: Auf der Arbeit haue ich gerne rein und liefere Performance ab. Das macht mir Freude, dafür bin ich Feuer und Flamme, jedoch sorge ich wirkungsvoll vor, um nicht auszubrennen. Das tue ich, indem Anspannung und Entspannung sich die Waage halten, also Zeiten des Leistens Zeiten des Nicht-Leistenmüssens gegenüberstehen.
Ein paar Abtauch-Regeln aus meinem Repertoire:
- Mein Diensthandy ist nur während der Arbeitszeit eingeschaltet (ich bin kein leitender Angestellter i.S.d. §5 BetrVG und kann mich deshalb hier einfach ausklinken)
- Meine private Mobilnummer haben nur rund 20 Personen, einen Festnetzanschluss gibt es nicht (und auch die Mobilnummer ist zwischen ca. 20 Uhr und 9 Uhr im Flugmodus)
- Apps wie LinkedIn, Facebook oder Instagram, habe ich nur auf meinem Diensthandy und reagiere dort nicht außerhalb der Dienstzeit (ich nutze die Netzwerke nur dienstlich)
- Private Kommunikation läuft klassisch oder SMS oder Anruf, innerfamiliär über den weniger verbreiteten Messenger Telegram
- Während eines Urlaubs, werden die Social Networks komplett ignoriert, nach vorheriger Ankündigung auf den betreffenden Kanälen
- Fahre ich im Urlaub irgendwo hin, poste ich die Urlaubsfotos erst gesammelt am Ende des Urlaubs - so kann auch keiner die Wohnung mit Steilvorlage ausräumen ;-)
Jetzt wird vielleicht mancher sagen, dass diese Dinge ihm ein wenig zu hart sind. Das ist ein durchaus legitimer Standpunkt, aber wie oben erwähnt, sollte das jeder selbst entscheiden dürfen. Es ist jedem unbenommen, sich auch nur partiell von diesen Ansätzen inspirieren zu lassen. Am Anfang haben viele dieser Punkte auch mich Überwindung gekostet. Aber heute bin ich damit zufriedener denn je. Und wenn ich mal einen Punkt stretchen möchte, dann tue ich das einfach, sind ja schließlich meine eigenen Regeln. Doch entgegen der vielleicht aufkeimenden Vermutung: Es ist nicht langweilig. Und auch der Kontakt mit Freunden und Bekannten, sowie Familie, ist gut und regelmäßig.
Dafür bin ich aber derjenige, der am Montag gut gelaunt auf der Arbeit erscheint und der (in aller Regel) auch Energie für den ganzen Tag hat. Morgens vor der Arbeit noch Sport machen? Klar, mach ich gerne! Oder noch einen Artikel für MoreThanDigital.info oder eben hier auf LinkedIn schreiben, wieso nicht?! Ich schlafe hervorragend, bin fit und gesund, kann problemlos in stiller Meditation sitzen - weil nicht ewig Gedanken kreisen, weil sich die ganze Welt eben nicht in meinem Kopf mitdreht. Das Gehirn kann auf gesunde Sparflamme herunterschalten, wenn die Arbeit getan ist und sich über jeden Moment freuen.
Dabei helfen natürlich:
- Regelmäßiger Sport, gerne morgens nüchtern (insbesondere Ausdauersport ist super)
- Gesunde, abwechslungsreiche und Obst/Gemüse-lastige Ernährung
- Ein gesundes Körpergewicht ohne unnötig hemmenden Ballast
- Meditation, Entspannungstechniken oder Autogenes Training
- Gesunde, wertschätzende Beziehungen
- Im Moment leben und den Fokus auf dem hier und jetzt haben, nicht auf Zukunft oder Vergangenheit
Keine Sorge, esoterischer wird es heute nicht. Aber auch wenn einige Menschen Esoterik, Spiritualität oder dergleichen gerne als abwertende Begriffe verwenden, so haben derartige Strömungen generell stets einen heilsamen Effekt auf getriebene Geister. Natürlich muss das nicht für jeden etwas sein, aber auch bloß der bewusstere (achtsame) Umgang mit sich und mit anderen, macht das Leben schon einmal sehr viel leicht und vor allem schöner.
Ich bin mir bewusst, dass einige meiner eigenen Grundsätze, wie das intensive Nutzen des Flugmodus, insbesondere für Selbstständige ein Thema sind, das Irritationen erzeugt. Aber in unserer heutigen, digitalen Zeit, gibt es immer alternative Lösungen, die unsere eigene Nicht-Erreichbarkeit - zumindest temporär - ausgleichen können. Wir sind nicht unersetzlich. Und vor allem helfen wir niemandem mehr, wenn wir uns durch Dauerpräsenz irgendwann selbst zugrunde gerichtet haben. In diesem Sinne ...
Entspannte Grüße!
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5 JahreDu triffst den Nagel auf den Kopf, Auszeiten sind immens wichtig und das Umfeld muss man teilweise sicher noch dazu erziehen es zu akzeptieren. Weiter so mein lieber Sebastian
eLearning is more than a deck of slides with a quiz at the end.
5 JahreSehr schöner Artikel zu einem Thema, das mich auch seit längerem beschäftigt, gerade PersonalerIn sollte man zu dem Thema sprachfähig sein... Kommt dieses Thema auch bei euren Seminaren zur Sprache? Gerade für Vertriebler ist die ständige Erreichbarkeit ja eine Frage des Gesundheitsmanagements.
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5 JahreDu kannst Deine Gedanken richtig geil in Worte fassen, Chapeau.
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5 JahreGroßartiger Beitrag 👏