Sind Content-Expert:innen die neuen Fiaker?
Vielleicht seid Ihr in Wien schon mit einem Fiaker gefahren, habt Euch durch die atemberaubend schöne Altstadt kutschieren und sich vom Kutscher die Geschichte der monumentalen Gebäude, der kleinen Gässchen, der imposanten Plätze erklären lassen. Als Wiener habe ich bisher wenig Veranlassung gesehen, einen Fiaker zu nutzen. Es ist ja auch nicht ganz so günstig: mehr als 100,- Euro kostet die große, einstündige Runde. Im Content Marketing würde man sagen: meine Pain Points als Persona-Archetyp liegen bei der Benützung von Transportmitteln ganz woanders. Ich will schnell von A nach B und nicht wieder zurück nach A, ich kenne die meisten der Gebäude und Plätze.
Ein neuer Content-Systemwettbewerb
Als ich kürzlich wieder in der Innenstadt war, habe ich länger über das Pferdekutschen-Transportgewerbe nachgedacht. Dabei ist mir ein Satz von Roy Amara in den Sinn gekommen: „Wir neigen dazu, die kurzfristige Wirkung einer Technologie zu überschätzen und die langfristige Wirkung zu unterschätzen.“
Nun. Vielleicht auch nicht. Der deutsche Kaiser Wilhelm II., auch sonst möglicherweise nicht der ganz große Visionär, meinte einmal: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“
Als ich da so vor den Fiakern in Wien stand, hat mich die ein bisschen unangenehme Frage herumgetrieben, ob wir, die wir in unserer Agentur für viele Unternehmen Inhalte produzieren, vielleicht auch bald ins Fiaker-Genre wechseln müssten: gut gebucht von manchen Unternehmen, die ihren Kund:innen besonders inhaltsreiche Erlebnisse bieten wollen würden, aber für das sonstige Inhaltstransportgewerbe genauso wichtig wie der Wiener Fiaker für Menschen, die von A nach B wollen. KI verschärft den Systemwettbewerb zwischen jenen, die meinen, Content sei nur Commodity und je mehr es davon gibt, desto wirksamer ist er und jenen, die glauben, dass Content Charakter hat und niemals als Commodity gesehen werden darf. Wahrscheinlich liegt das Wunder der wirtschaftlichen Wirksamkeit zwischen diesen beiden Wellen.
Besser auf der Welle reiten als von ihr verschluckt werden
Für mich ist klar: als Content-Expert:innen werden wir der Riesenwelle an KI-Content und KI-Technologie, die da auf uns zurollt, nicht begegnen können, indem wir uns ihr in sicherer Nähe zum Ufer mit dem mentalen Rettungsring der gefühlten Unverwundbarkeit entgegenstellen, sondern ähnlich wie auf einem Surfbrett auf dieser Welle reiten und schlicht Kybernetik anwenden.
Wir haben bei uns in der Agentur in den letzten Wochen viel Zeit investiert, um mit „Hidden KI“ ein System aufzubauen, das unseren Kund:innen die Wahl lässt, ob - und wenn ja - wie viel an KI-Basis sie zulassen möchten und wie viel „Human in the Loop“ sie benötigen, damit ihre Geschichten auch die gewünschte Verbindung zu ihren Zielgruppen aufbauen. Hidden KI steht für unseren Anspruch, dass die beste KI in der Content-Produktion jene ist, die der oder die Leser:in nicht bemerkt. Mir ist klar: Es ist nur ein Anfang, aber wir wollen mit diesem Angebot auch Transparenz einkehren lassen.
Heute unvorstellbar, morgen vorgestellt
Wie dem auch sei. Die atemberaubenden Fähigkeiten von Chat GPT 4.o oder auch Claude und deren extrem schnelle Entwicklung haben gezeigt: was heute vorgestellt wird, war gestern noch unvorstellbar. Und was heute unvorstellbar ist, wird morgen vom KI-Oligopol, dem wir uns gegenübersehen, vorgestellt werden. Lasst mich doch kurz einen prompten Blick in die Glaskugel werfen, wie sich unser Marketing-Landscape verändern wird:
➡️ Wir arbeiten heute unter anderem mit Personas, um uns Pain Points, Herausforderungen, Präferenzen unseres Publikums anzunähern. Wer genügend Rechenleistung kauft, wird wahrscheinlich bald tatsächlich personalisierte Geschichten abgestimmt auf jede:n einzelne:n User:in verteilen und die nötigen Kaufanreize bieten können. Bei der Gelegenheit sollten wir uns vielleicht eines fragen: Warum gibt es Marketing? Weil 1:1-Verkauf an die größte denkbare Zielgruppe zu teuer wäre. Das könnte sich durch die KI-induzierte Verschmelzung von Sales und Marketing ändern.
➡️ Marketing ist heute in hohem Maße reaktiv und langsam. Wir sehen uns das Verhalten von Zielgruppen an, segmentieren es, analysieren es und adaptieren unsere Botschaften, wenn es etwa wesentliche Veränderungen in diesem Zielgruppen-Verhalten gibt. Das erfordert oft Wochen oder Monate an Vorlaufzeit. Künftig wird es vielleicht möglich sein, in Echtzeit zu reagieren.
➡️ Die generative KI wird uns ein neues Level an Perfektion ermöglichen. Alles wird schön. Die Menschen auf Bildern. Die Umgebung, in der sie sich bewegen. Die Texte werden geglättet bis zur Unkenntlichkeit. Wie könnte die Gegenbewegung aussehen? Genau: alles, was das Unperfekte, das Unerwartete, das Menschliche in seiner ganzen unvollkommenen Schönheit und Authentizität zeigt.
Was für den Menschen bleibt, der Content plant, der Geschichten entwirft? Vielleicht mehr als dem Fiaker in der Wiener Innenstadt. Denn so schnell KI auch ist, so gut sie die Analyse von Daten beherrscht, so perfekt sie aus einer zentralen Message Milliarden von personalisierten Botschaften machen könnte: Es wird jemanden geben müssen, der eine Themenarchitektur schafft, eine neue Geschichte skizziert, sie bis zum Ende denkt und vor allem: eine Idee kreiert, die noch nicht wiedergekäut wurde in den Serverfarmen der großen KI-Konzerne. Den redundanten Rest kann vielleicht auch die KI übernehmen.
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