So können Unternehmen Rollenklischees knacken
Es gibt einen Satz aus meiner Schulzeit auf einem Mädchengymnasium, den ich nie vergessen werde. Er stammt von der damaligen Direktorin: „Denkt immer daran: Es gibt nichts, was ihr aufgrund eures Geschlechts nicht könnt!“ Damals verstand ich nicht wirklich, worauf sie hinauswollte. Schließlich hörte ich von meiner Mutter immer: „Du kannst alles schaffen, was Du willst!“ Heute weiß ich, was die Direktorin meinte.
In unserer Gesellschaft gibt es festgeschriebene Geschlechterrollen und damit verbundene Erwartungen, die uns verfolgen und nicht loslassen. Ob sich die Realität für viele Frauen längst geändert hat, spielt für die gängigen Klischees keine Rolle. Und wenn die Corona-Krise eines deutlich macht, dann das: Die stereotype Gleichsetzung von Frauen und Familie ist lebendig und nach wie vor für viele eine Selbstverständlichkeit. Es ist höchste Zeit, dass sich das ändert.
Gleichberechtigung fängt in den Köpfen an
Wie hartnäckig Geschlechterrollen und Rollenklischees sind, zeigt sich insbesondere in der Arbeitswelt. Männer gelten als die Ernährer der Familie, sie sind körperlich stärker und arbeiten anstrengenderen Berufen; Frauen wiederum sind empathischer und im sozialen Bereich tätig. Und natürlich: Familie ist Frauensache. Die Liste der Rollenklischees ließe sich fortsetzen und alle haben eines gemeinsam: Sie existieren vor allem in den Köpfen.
Obwohl die Realität in vielen Bereichen längst eine andere ist, tragen diese Stereotype dazu bei, dringend notwendige Veränderungen zu verhindern. Der Grundstein dafür wird häufig schon in der frühesten Kindheit gelegt und bestimmte Rollenmuster werden antrainiert. Es fängt bei der geschlechtsspezifischen Farbe von Kleidung an und reicht bis zur Förderung und Einforderung von Verhalten, das zum zugeschriebenen Rollenbild passt. Viele dieser Zuschreibungen sind zudem in der Sprache verfestigt. So gibt es zwar eine „Krankenschwester“ aber keinen „Krankenbruder“.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht auch Männer ank
Auch in den Medien wird das Thema „Kind und Karriere“ immer mit Frauen assoziert.
Ein Tweet mit dem Hashtag #prouddad fällt auf und wird gefeiert. Eine #proudmum wird als selbstverständlich hingenommen. Während bei weiblichen Führungskräften die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in keinem Interview fehlen darf, werden männliche Manager selten gefragt, wie sie beides unter einen Hut bekommen.
In der Realität vieler Familien ist die Vereinbarkeit längst ein Thema für Väter und Mütter, ganz zu schweigen davon, dass die Verantwortung für die Familie nicht an Kategorien wie dem Geschlecht festgemacht werden sollte. Aber gerade, weil wir diese Zuschreibung immerzu wiederholen und in unseren Köpfen zementieren, entsteht eine entsprechende Erwartungshaltung – und daraus die Einforderung eines dazu passenden Verhaltens.
Diversität braucht keine „Bonus-Argumente“
Klischees und Stereotype beherrschen auch die Diskussion, wenn es um Diversität in Unternehmen geht. Wenn über Frauen in Führungspositionen sowie deren Förderung gesprochen wird, hört man immer wieder das Argument, Frauen brächten eine „andere Perspektive“ an den Tisch. Sie seien empathischer, kollaborativer und würden stärker das Team als sich selbst in den Fokus rücken. Abgesehen von der Frage, ob dies wirklich „immer“ so ist, bin ich der Überzeugung, dass es keine „Bonus-Argumente“ braucht, wenn es um Vielfalt in Teams, Vorständen oder Aufsichtsräten geht. Denn dadurch entsteht der Eindruck, dass es für gleichberechtigte Teilhabe immer noch eine gute Begründung braucht – als müssten Frauen einen nachweisbaren Mehrwert bringen, um Teil des Ganzen sein zu dürfen.
Das Schweigen aufbrechen
Da sich Rollenklischees insbesondere in der Arbeitswelt auswirken, liegt hier auch der zentrale Ansatzpunkt, um sie aufzubrechen. Einzelne Unternehmen gehen hier bereits mit gutem Beispiel voran und bieten für ihre Mitarbeiter*innen Trainings an, in denen sie sich ihrer unterschwelligen Vorurteile bewusst werden. Auch andere Formate eignen sich, um spielerisch ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen und einen besseren Umgang miteinander einzuüben.
In Diversity-fuck-up-Nights können sowohl Topmanager als auch andere Mitarbeiter*innen über eigene Fehler, Vorurteile und Erlebnisse sprechen. Formate wie diese zeigen große Wirkung und können einen positiven Einfluss auf die Unternehmenskultur haben. Meiner Erfahrung nach führen solche Maßnahmen in jedem Fall dazu, dass zumindest das Schweigen über Stereotype und Vorurteile aufgebrochen wird.
(Bild-) Sprache schafft Realität. Wer sind die Menschen, die wir sehen, wenn wir Homepages von Unternehmen besuchen? Sehe ich als potenzielle Bewerberin nur Männer – und das obwohl es auch etliche Frauen in der jeweiligen Abteilung gibt? Dann wird bei mir der Eindruck entstehen, dass die Unternehmenskultur nur von einem Geschlecht geprägt wird. Wen sehe ich in Broschüren oder auf den Social-Media-Kanälen? Ein Unternehmen, das ich beraten habe, hatte auf der gesamten Website nicht eine einzige Frau abgebildet – und das obwohl der Anteil von Frauen und Männern in der Belegschaft fast gleich war.
Nach dem Hinweis, das zu ändern und Frauen in den Bereichen abzubilden, wo sie auch im Unternehmen involviert sind, stieg der Anteil an Bewerberinnen signifikant. Menschen folgen Menschen. Für die Unternehmenskultur und den Abbau von Stereotypen bedeutet dies: Die eigenen Mitarbeiter*innen sind die besten Botschafter*innen!
Holt Frauen in die Tech-Panels!
Insbesondere wenn es um technische Themen oder die Digitalisierung geht, sind „Manels“ ein verbreitetes Phänomen, also Panels, die nur aus Männern bestehen. Wenn es bei der Planung und Durchführung von Veranstaltungen und Events um die Besetzung eines Podiums geht, ist demnach eine effektive Maßnahme, aktiv Frauen dafür vorzuschlagen. Aus meiner langjährigen Erfahrung in diesem Bereich heraus kann ich garantieren: Es gibt sie!
Insgesamt ist das Sichtbarmachen von abweichenden Rollenvorbildern eine der wichtigsten und wirksamsten Maßnahmen zum Aufbrechen von Vorurteilen überhaupt. Warum müssen nur Frauen über Diversität sprechen? Warum nicht genau zu diesem Thema auch ein gemischtes Team sprechen lassen? Oder warum hört man in der Teilzeit-Debatte nicht auch mal die Geschichte eines Teilzeit-Vaters?
Diversity geht nur ohne Rollenklischees
Wenn wir das Thema Diversität in der Arbeitswelt wirklich ernst nehmen, müssen wir das Denken in Schubladen beenden. Die Rollenklischees und Zuschreibungen in unseren Köpfen müssen dazu durchbrochen werden! Dazu reichen für den Anfang kleine Schritte: Es muss aufhören, dass Frauen immerzu mit denselben klischeebehafteten Fragen konfrontiert werden. Ebenso dürfen Männer nicht länger als machthungrige Ernährer verstanden werden. Denn diese Rollenklischees in den Köpfen erzeugen Erwartungen und verändern damit Verhalten. Direkt und indirekt gestalten sie damit die Realität mit. Gleichberechtigung fängt darum mit dem Durchbrechen dieser Stereotype an.
Dieser Text ist zuerst als Gastbeitrag im Manager Magazin erschienen.
Human Resources Executive 🇩🇪🇺🇸 Talent Management | Employee Experience | Learning & Leadership Development | Talent Acquisition | Adjunct Faculty @ Northwestern University | ex-Accenture
4 JahreWas sie sagt -> "... bin ich der Überzeugung, dass es keine „Bonus-Argumente“ braucht, wenn es um Vielfalt in Teams, Vorständen oder Aufsichtsräten geht."
Executive & Purpose Coaching // Transition Expert // Podcast Next Level Leadership
4 JahreWenn du denkst, du kannst etwas, oder du denkst, du kannst etwas nicht...in beiden Fällen hast du recht. Viel von dem Thema ist Kopfsache und Haltungssache, und wir werden alle sehr früh sozialisiert, wenn es um die Rollenverteilung geht. Da stehen sich nachher auch die Frauen selbst im Weg, weil sie denken, sie könnten nicht. Das Format der ...nights klingt vor dem Hintergund sehr spannend, um das Bullsh...-FM im Kopf aufzulösen. Danke!
Medizinische OP-Schwester bei Charité Berlin
4 JahreIch denke, Rollenklischees sind wichtig, um einen "Anhaltspunkt" zu haben. Aber sie dürfen uns nicht an einer Weiterentwicklung hindern.
Innere Stärke finden, Veränderungen gestalten und Herausforderungungen meistern!
4 JahreToller Beitrag!
Driving digital transformation & innovation
4 JahreVielleicht hilft ein Stück weit Corona zu einer positiven Veränderung beizutragen. Ich sehe eine viel größere Akzeptanz von Home office. Ein Schritt weniger Benachteiligung von Frauen, die darauf angewiesen sind.