Social Media Book Tour zum neuen Ratgeber "Bewerben 50 Plus" (Teil 1): Vorurteile, Stereotype und Klischees
Das Bild der Karriereleiter, die man entweder erfolgreich immer weiter erklimmt oder herabsteigt, hat ausgedient. „Karriere“ für berufserfahrene Menschen umfasst heute die Passgenauigkeit zur aktuellen Lebenssituation inklusive Auszeiten und Neuanfänge, Downsizing und Jobwechsel. Wie bei einer Bergwanderung ist der Sammelpunkt am Gipfel zwar ein Ziel, aber der Weg dorthin von strammen Anstiegen und flachen Plateaus, herrlichen Aussichtspunkten, Wadenkrämpfen und Motivationstälern wie Picknickpausen und orientierungslosem Kartenlesen durchsetzt.
Oft ergibt sich die Notwendigkeit, sich als berufserfahrener Mensch auf den neuesten Stand der Technik zu bringen oder aber für eine geforderte Spezialisierung nochmals die Lernbank zu drücken, um den angestrebten Job zu ergattern – in den meisten Fällen aber ist dies nicht der springende Punkt! Vielmehr ist man oft lange aus dem Bewerbungsprozess draußen gewesen und hat verlernt, die eigenen Pluspunkte akzentuiert in Szene zu setzen. Weniger die Selbstvermarktung und -darstellung als das tiefgründige Schöpfen aus dem meist reichhaltigen Erfahrungsfundus kommt dabei zu kurz, obwohl gerade dies mit fortgeschrittenem Alter einen Mehrwert im Vergleich mit jungen Berufsanfängern ausmachen kann. „Wer stellt mich denn jetzt noch ein?“ oder „Ich bin denen doch viel zu alt!“ lauten die Statements dann. Gelegentlich führen diese Gedanken zu einer Bewerbungsstrategie der falschen Bescheidenheit oder gar des Understatements, sodass berufserfahrene Menschen ihre wertvollsten Ressourcen kaschieren, um nicht als überqualifiziert zu gelten. Oftmals überwiegt die Frustration, mit dem über die Jahre gesammelten Zusatzwissen, den Berufserfahrungen und der menschlichen Reife vermeintlich nicht mehr gebraucht zu werden. Verjüngungswahn sowie ständige Veränderungs- und Anpassungsbereitschaft steuern ein Übriges zu der Tendenz bei, sich als berufserfahrener Bewerber am Jobmarkt manchmal nicht ernst genommen zu fühlen.
Sechs Beispiele für Voreingenommenheit – Wie damit umgehen?
Ältere Menschen haben damit zu kämpfen, dass sie häufig in eine bestimmte Schublade gesteckt werden. Schubladendenken ist per se nichts Schlechtes, wir alle nutzen es, um in der zunehmend komplexen Welt effizient zurechtzukommen. Daher wird auch der objektivste Recruiter von klischeehaften Gedanken besetzt sein, ohne es in jeder Situation zu bemerken. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken oder ärgern. Vielmehr sollten Sie von den weitgehend unrichtigen, vorurteilsbeladenen oder abgenutzten Formeln zu Ihren Lasten die gängigsten kennen, um damit spielen und sie widerlegen zu können.
Beispiel 1: „Ihre Gehaltsansprüche sind viel zu hoch!“
Je älter, desto teurer – dies wird oft durch lange Betriebszugehörigkeiten begründet. Seniorität führt auch in manchen Tarifverträgen zu wachsenden Gehältern. Doch beim Verlassen eines Gehaltssystems gibt es kein Naturgesetz, gemäß dem Gehälter so bleiben oder gar immer weiter ansteigen. Dass Sie in Ihrem vorherigen Job gut verhandelt und verdient haben, beeindruckt Ihren potenziellen neuen Arbeitgeber nicht. Häufig geäußerte Aussagen wie „Ich hatte damals ein Gehalt von … – und darunter möchte ich nicht gehen!“ zeugen nur davon, dass sich ein Bewerber Gedanken über seinen Lebensstil gemacht hat. Das ist schön für ihn, dem Arbeitgeber aber mindestens egal.
Auch stellt dieser Satz eine unlogische Relation zwischen altem und neuem Job her, die erst einmal nichts miteinander zu tun haben müssen. Für erfahrene Arbeitnehmer von über 50 Jahren bedeutet das nicht, dass sie in Hinblick auf ihre Gehaltserwartung Abstriche machen sollten, weil sonst jemand Jüngeres für weniger Geld eingestellt würde. Vielmehr sollten sie dem Unternehmen oder ihrem potenziellen Geschäftspartner inhaltlich gute Argumente liefern können, warum für ihre Leistung dasselbe wie für Ihr Gehalt gilt – nämlich, dass sie weit über dem eines Jobeinsteigers liegt! Nur dann wirkt Ihre Bewerbung authentisch und kommen Sie passend zum Job rüber. Oder würden Sie mit jemandem dauerhaft zusammenarbeiten wollen, der sich eigentlich mehr erhofft hat, bevor überhaupt der erste Arbeitstag begonnen hat?
Bleiben Sie also in Ihrer Argumentation strikt dabei, warum Ihr heutiges Potenzial für den zukünftigen Job spannend ist, nicht bei dem, was früher war. Welche Herausforderungen, denen sich die Firma aktuell ausgesetzt sieht, haben Sie in Ihrer Vergangenheit schon erfolgreich bewältigt? Welche Erfahrungen, die Sie gesammelt haben, zahlen sich für den neuen Arbeitgeber so aus, dass er Sie nicht einfach durch jemand anderes ersetzen kann? Das können, aber müssen nicht zwangsläufig fachliche Kompetenzen sein. Gerade menschliche Qualitäten, auch bedingt durch Reife, Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, beeinflussen tagtäglich die Teammotivation, die Entscheidungsfindung und Ihren Führungsstil im Unternehmen oder in schwierigen Projektsituationen. Sehr selten scheitert es allein an der Höhe des Arbeitsentgelts, sondern oft einfach daran, dass Ihre Erfahrung oder Ihre Bandbreite an Kompetenzen nicht bezahlt werden wollen, weil sie für den konkreten Job nicht wichtig sind.
Beispiel 2: „Ihre Denkleistung nimmt beträchtlich ab!“
Exzessive Arbeitszeiten und Überstunden erhöhen schon ab 40+ das Risiko für Schlaganfälle oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch kognitiv kommt das Gehirn im höheren Alter bei einer 40-Stunden-Arbeitswoche an seine Grenzen, insbesondere was Konzentrationsfähigkeit und Kreativität anbelangt. Deswegen ist eine altersunterschiedslose Betrachtung der Normalarbeitszeit wenig zielführend. Einzelne Fähigkeiten, etwa logisch zu denken, zu lernen und Probleme zu lösen (das sogenannte fluide Denken), verringern sich kontinuierlich mit zunehmendem Alter – doch ist der Höhepunkt sowie bereits mit dem 25. Lebensjahr überschritten! Hingegen steigern sich die Fähigkeiten, die von Wissen und Erfahrung abhängen (das sogenannte kristalline Denken), zum Beispiel Vokabelwissen, generelle Informationen und Analogien, kontinuierlich bis zum 65. Lebensjahr. Danach erst beginnen sie, sich langsam zu verringern. Erst mit über 80 findet altersbedingt ein genereller, physiologisch bedingter Abbau des Gehirns statt, wodurch unter anderem das Kurzzeitgedächtnis nachlässt und Lernen insgesamt schwerer fällt. Vorher ist dies bei gesunden älteren Menschen nicht pauschal nachweisbar.
Beispiel 3: „Ihre Belastbarkeit wird geringer und Krankheiten häufen sich!“
Gerade die körperliche Arbeit fällt im Alter naturgemäß schwer. Das kann aber – da der Trend immer weiter hin zur Dienstleistung geht – vernachlässigt werden. Auch nimmt die Konzentrationsfähigkeit mit gehobenerem Alter ab und die Stressanfälligkeit steigt an. Dem begegnen Ältere aber mit effizienteren und erprobteren Bewältigungstechniken als die Jüngeren, zum Beispiel Arbeitsroutinen und erfahrungssichere Priorisierung bei einem Overload an Aufgaben. Sehr oft liegen hier häufig auftretende Konflikte in multigenerationalen Teams begründet, da die Beteiligten unterschiedliche Problembewältigungsmechanismen einsetzen wollen.
Bezogen auf die Arbeitsfehlzeiten sind signifikante Unterschiede nicht allein am Alter festzumachen. Wie oft Menschen krank sind oder sich krank fühlen, unterliegt vielerlei Faktoren. Zwar ist die reine Krankheitsdauer statistisch bei Älteren länger als bei den Jüngeren (etwa vier statt zwei Arbeitswochen im Jahresdurchschnitt), hingegen melden sich Ältere insgesamt seltener krank als Jüngere. Das liegt vor allem daran, dass ältere Mitarbeiter wegen Verschleiß- oder chronischen Erkrankungen ausfallen, etwa durch eine Knieoperation oder eine Reha-Maßnahme. Statt sich auf plötzliche Unlustanfälle montagsmorgens nach einer exzessiven Wochenendparty oder regelmäßige Ansteckungen beim Kindergartenkind einstellen zu müssen, kann der Arbeitgeber die Krankentage der älteren Mitarbeiter besser planen.
Beispiel 4: „Ihre Arbeitsmotivation sinkt und Sie lernen langsamer!“
Ältere Mitarbeiter handeln stärker aus eigenem Antrieb von innen heraus („intrinsische Motivation“), während jüngere leichter über Antriebe von außen motiviert werden können („extrinsische Motivation“). Die Motivation nimmt also bei Älteren nicht ab, sondern verändert sich. Extra Geld, freie Arbeitsgestaltung oder schnelle Karriere sind häufig äußerliche Motivatoren für Jüngere. Bei erfahrenen Mitarbeitern führt eher der Sinn ihrer Aufgabe, der Wert der eigenen Arbeit oder das persönliche Interesse an der Tätigkeitdazu, dauerhaft motiviert zu bleiben. Nur wegen eines einzelnen Vorteils (zum Beispiel eine Firmenbelobigung) oder zur Vermeidung von Nachteilen (zum Beispiel die Streichung von Arbeitsprivilegien) arbeiten Ältere nicht. Auch treten bei ihnen typische Ziele jüngerer Arbeiter wie eine steile Karriere hinzulegen, der Beste im Wettbewerb zu sein oder das Geld für Hausbau und Familiengründung zu verdienen in den Hintergrund („Aufbauziele“). Ältere wollen verstärkt den eigenen Bezug zu ihren Neigungen oder Herausforderungen in der täglichen Arbeit sehen. Die Bereitschaft, sich auf neue Arbeitsbedingungen einzustellen, ist deswegen bei Älteren oft geringer, weil sie schon vieles miterlebt haben und den jeweiligen Sinn hinter Veränderungen nicht kommuniziert bekommen. Ältere sind nicht generell Neuem gegenüber abgeneigt, sondern lediglich nicht allein dadurch zu motivieren, dass ein neuer Anreiz ins Spiel kommt oder das Mitmachen belohnt wird. Ein älterer Arbeitnehmer muss auch nicht mehr alles ausprobieren oder überall dabei sein, sondern will aus innerer Überzeugung ein Ziel erreichen und gute Arbeitsresultate erbringen.
Neues zu erlernen fällt Älteren weder per se schwerer als Jüngeren, noch nimmt die Bereitschaft dazu ab. Vielmehr verändert sich die Art und Weise, wie Menschen mit zunehmendem Alter lernen. Während sich ihr Lerntempo verringert und die Aufnahme neuer Informationen rein quantitativ schwerer fällt, nimmt die Lerneffektivität zu. Statt Vokabeln zu pauken oder Jahresdaten wie im Geschichtsunterricht in der Schule auswendig zu lernen, benötigen Ältere ein eigeninitiiert-erfahrungsbasiertes Lernen in Lebenszusammenhängen. Zertifikatsschulungen oder strikte Kursmodule sind für sie selten das Richtige. Am besten eignen sich solche Methoden, die an Vorwissen und Interessen anknüpfen, um Neues mit der Lebenserfahrung vernetzen zu können („informelles Lernen“). Das kann manchmal etwas mehr Zeit erfordern, führt aber dazu, dass das Neue sich mit dem, was schon da ist, sinnvoll zusammenfügen kann. Diese Verbindung erst schafft beständige Innovationen.
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Beispiel 5: „Sie stellen Praxiserfahrung über Theorie und Neuentwicklungen!“
Ältere Arbeitnehmer schöpfen aus ihrem Erfahrungsschatz – gerade das kann sie für Unternehmen so wertvoll machen. Jedoch werden sie deswegen oft als vergangenheitsorientiert wahrgenommen. Deshalb treten gerade in multigenerationalen Teams häufig Spannungen auf, weil Jüngere naturgemäß pauschale Verweise darauf nicht nachvollziehen können. Ein Satz wie „Was ich alles schon erlebt habe“ oder „Zu meiner Zeit hat das in der Praxis jahrelang so geklappt“ kann durchaus helfen, ein konkretes Problem pragmatisch zu lösen. Es hilft jungen Menschen aber nicht, die Herangehensweise systematisch zu verstehen, daraus zu lernen und die Situation selbst lösen zu können. Der Respekt vor dem Alter hindert junge Kollegen zudem oft, kritisch oder frühzeitig nachzuhaken.
Beispiel 6: „Ihre Begeisterungsfähigkeit bei Neuerungen und Ihre Flexibilität lassen nach!“
Vor allem wenn es um Technologie und den Online-Bereich geht, wird Älteren häufig unterstellt, mit den Neuerungen ohndies gar nicht mehr mithalten zu können oder zu wollen. Doch auch sie wissen die damit einhergehenden Vorteile zu schätzen und nutzen digitale Technologien ständig. Statt aber jeden Tag neue Apps auszuprobieren, weil sie tolle Features enthalten oder viele aus der sozialen Gruppe damit arbeiten, konzentrieren sie sich auf Neuerungen, die wesentlich für das Gelingen Ihrer Arbeit sind. Ältere sind nicht in und mit einer durchdigitalisierten Welt groß geworden, sind also „Digital Immigrants“. Deshalb erlernen sie dortige Veränderungen wie eine Fremdsprache. Stellen Sie sich vor, Sie hätten im nächsten Jahr eine lange Kulturreise ins Ausland geplant. Dann wäre Ihre Motivation gleichwohl höher, eine komplexe Sprache zu erlernen, als ohne einen erkennbaren Verwendungszeck.
Oft hängt mit diesem Vorurteil ein Fehlverständnis des inflationär verwendeten Wortes „Flexibilität“ zusammen: Nur schnell auf alles zu reagieren, umzudenken und sich anzupassen ist gerade unter den schwierigen Rahmenbedingungen der heutigen Zeit per se noch kein Vorteil. Erst wenn man die vier Unsicherheitsfaktoren der „VUCA-Welt“ mit einer jeweiligen Strategie koppelt, wird Erfolg auf lange Sicht erreicht:
· Unbeständigkeit („v-olatility“) verlangt nach einer Vision („V-ision“).
· Unsicherheit („u-ncertainty“) benötigt Verständnis („U-nderstanding“).
· Komplexität („c-omplexity“) bedarf der Klarheit („C-larity“).
· Mehrdeutigkeit („a-mbiguity“) begegnet man mit Agilität („A-gility“).
Insbesondere Agilität setzt neben Flexibilität ein proaktives, antizipatives und kollaboratives Denken voraus.
Üben Sie sich im Umgang mit Vorurteilen und Pauschalisierungen
Stellen Sie sich vor, Sie würden (bewusst durch direkte Aussprache oder unterbewusst zwischen den Zeilen) mit einem Vorurteil bezogen auf Ihr eigenes Alter konfrontiert. In solch einem Moment spontan dagegen anzugehen und den angemessenen Ton zu treffen, ist gerade im Bewerbungskontext herausfordernd. Deshalb sollten Sie sich einige Redewendungen zulegen, um Derartiges direkt und klar anzusprechen, wenn es auftritt. Sie können beispielsweise die Aussage zurückspiegeln mit einer Frage („Wie kommen Sie darauf, dass ich der Reisetätigkeit nicht gewachsen bin?“). Sie können ebenso die genannten Kritikpunkte ins Positive umkehren („Ich bin offen für Neues, wenn ich den dahinterstehenden Zweck verstehe. Das motiviert mich, die Idee auch gegen Blockaden zu vertreten!“). Oder Sie können das Gesagte mit einem Scherz entkräften („An meinen letzten Krankenstand kann ich mich gar nicht mehr erinnern – und das liegt nicht an meiner vermeintlich reduzierten Merkfähigkeit!“).
Hartnäckige Pauschalismen widerlegen Sie am besten mit konkreten Gegenerzählungen. Schreiben Sie zu jedem der oben genannten Punkte eine Arbeitssituation aus Ihrer Anfangszeit auf, die Sie damals aus Ihrer Sicht nicht perfekt gelöst haben – etwa, weil ihnen Erfahrung, Seniorität oder Gelassenheit fehlten. Stellen Sie diesen jeweils eine ähnliche Arbeitssituation aus jüngerer Zeit gegenüber, in der Sie erfolgreicher agiert haben. Ergänzen Sie stichwortartig, welche altersbezogenen Faktoren dies ermöglicht haben könnten.
Lust auf mehr? Dann lesen Sie doch hier einmal hinein. Freuen Sie sich schon auf den nächsten Teil der Social Media Book Tour - jeden 2ten Sonntag im Monat!
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