souvenir, souvenir
oder: andacht oder angedacht?
die juristischen kollegen neigen zum gründlichen durchdenken der ihnen vorgelegten probleme. zum gutachtenförmigen prüfen mit zwischen-, end- und gesamtergebnissen. da hinterlässt die akademische ausbildung mitsamt ihren prüfungsformaten ihre spuren. an deren ende wird nur noch wenig und ungern aus der hüfte geschossen, nicht zuletzt wegen der möglichen haftungsfolgen einer unbedachten ersten einschätzung.
das hat sein gutes, nimmt aber den berufskollegen zugleich oft ein wenig die spontaneität und die gedankliche leichtigkeit.
glücklicherweise gibt es ausnahmen. manchmal, selten, denken wir das unerwartete. selbst. ohne vorher im kommentar nachgeschlagen zu haben. ein gutes sprachliches indiz für die damit verbundene intellektuelle leichtigkeit ist das wort andenken. das benutzen wir, wenn wir signalisieren wollen, dass das nachfolgende nicht verbindlich, nicht geprüft, wenig belastbar, nur eine erste idee oder nur so dahergeredet sein könnte. überlegenswert, aber doch auch starken gegenargumenten ausgesetzt. schlimmstenfalls: weit weg von der (zukünftigen) herrschenden meinung.
für die meisten menschen ist ein andenken substantivisch ein synonym für (urlaubs)erinnerungsstück; juristen benutzen es als verb. und zwar gleichbedeutend mit überlegen, in betracht ziehen und erwägen, aber auch mit planen und in aussicht nehmen.
nun hat das wort zugegebenermaßen den hauch des unseriösen: andenken statt überdenken oder durchdenken. weil es so oberflächlich klingt, meidet es der gesetzgeber. die gerichte nutzen das wort selten, am ehesten in indirekter rede
Hätte der Kläger, wie hier ursprünglich wohl einmal angedacht gewesen sei, den ADAC-Mustervertrag 2002, der den Anforderungen des § 309 Nr. 7 BGB Rechnung trage, selbst mitgebracht, hätte die Beklagte die Gewährleistung auch wirksam ausschließen können.
(BGH, Urteil vom 17. 2. 2010 - VIII ZR 67/09 = NJW 2010, 1131, Rn. 6.)
Dem entspricht im Übrigen auch der Vortrag der Landesregierung selbst, wonach eine Degradierung niemals angedacht, vielmehr nur die Verhängung einer Geldbuße oder eventuell einer Gehaltskürzung erwogen worden sei.
(BVerfG, Beschluß vom 21. 6. 2006 - 2 BvR 1780/04 = NVwZ 2006, 1282, 1283.)
das mag daran liegen, dass das bild so ein bisschen schief ist. ein musikstück kann man ein paar takte lang anspielen, klar - aber kann man ein argument andenken? selbst wenn man es mit guten gründen recht schnell wieder verwirft, hat man doch ernstlich darüber nachgedacht, oder?
in rechtswissenschaft und lehre ist das andenken aber ziemlich beliebt. es hat starke wurzeln in der sprache der zweitsemesterstudenten: zuerst mußTu das vollendete delikt anprüfen, das aber schnell erledigen mangels eintretens des tatbestandlichen erfolgs, dann sofort wechseln zur versuchsprüfung.
Besteht keine Möglichkeit zum Einsatz von Leiharbeitnehmern mehr, so werden Arbeitgeber der Branche zwangsläufig andenken müssen, auf befristete Arbeitsverhältnisse zurückzugreifen.
(Thüsing/Mantsch, NZA 2024, 584, 588.)
In einem zweiten Schritt ist angedacht, „auf der Grundlage der eingeholten Informationen einen Entwurf für einen Richtwert für das, was als sicheres Niveau der Unionsvorräte angesehen werden sollte,“ auszuarbeiten.
(Frau, NVwZ 2024, 1874, 1880.)
häufig kommt es als ist anzudenken daher:
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Eine analoge Anwendung dieser Verordnung auf die internen Meldestellen ist schon mit Blick auf den deutlich erkennbaren gesetzgeberischen Willen und damit dem Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke nicht anzudenken.
(Schladebach/Meyden, NJW 2024, 2793, 2795, Rn. 14.)
Anzudenken ist, ab einer gewissen Größe der Stiftung bzw. des ihr verbundenen Unternehmens die Möglichkeit einzuschränken, sowohl Mitglied des Stiftungsvorstands als auch der Unternehmensleitung zu sein.
(Markworth, NZG 2021, 100, 105.)
Für EU-Staaten ist ebenso eine Nichtigkeitsklage anzudenken.
(Palmstorfer/Staudinger, EuZW 2024, 197, 203.)
die beim andenken gebotene vorsicht signalisiert man durch verwendung des konjunktivs:
Um zu vermeiden, dass Prüflinge im Examen mit einer gänzlich neuen Prüfungssituation konfrontiert werden und hierdurch Nachteile erleiden, wäre anzudenken, auch den Universitätsbetrieb auf das Ablegen elektronischer Klausuren umzustellen, was in Anbetracht der großen Anzahl an juristischen Fakultäten und der dafür erforderlichen finanziellen Mittel erhebliche Zeit in Anspruch nehmen wird.
(Omlor/Meister, ZRP 2021, 59, 61.)
Angedacht werden könnte aber, ob Art. 11 II Warenkauf-RL zumindest für eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 477 I BGB von Relevanz sein könnte, wenn der Verbraucher den dort festgesetzten Jahreszeitraum knapp verfehlt: Zu seinen Gunsten könnte iSd Art. 11 II Warenkauf-RL eine Unschädlichkeit einer geringfügig verspäteten Offenbarung des vertragswidrigen Zustands angenommen werden.
(Lang/Rösch, JA 2025, 9, 11.)
Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit sollte aber angedacht werden, das materielle Wahlprüfungsrecht – also die einzelnen Wahlfehler – gesetzlich zu regeln.
(Austermann, ZRP 2023, 23, 25.)
So könnte u.a. ein Mitverschulden der betroffenen Person in entsprechender Anwendung des § 254 BGB angedacht werden.
(Wybitul/Leibold, ZD 2022, 207, 213.)
je öfter man es liest, desto mehr beginnt man es zu mögen. ähnlich wie der unter juristen exzessiv eingesetzte konjunktiv erlaubt das andenken nämlich auch die sofortige distanzierung von einem gedanken, den andere als falsch, unsinnig oder abwegig kritisieren: hey, ich hab‘ das doch nicht ernsthaft überlegt - ich hab‘ das nur angedacht!
in diesem sinne: mehr andacht, mehr andenken!