Start-ups: Eine Chance für den Mittelstand?

Start-ups: Eine Chance für den Mittelstand?

Auf gute Zusammenarbeit: Können Investitionen in Start-ups sowie gezielte Kooperationen dem Mittelstand Türen zu digitalen Innovationen öffnen?

Start-ups meet Mittelstand: So lautete kürzlich das Motto eines Workshops im Frankfurter TechQuartier. Im Zentrum standen die Unterschiede zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen sowie die Überlegung, wie durch eine Zusammenarbeit beide Seiten profitieren können. Für mich der Ausgangspunkt, um etwas tiefer in die Thematik einzusteigen.

Der digitale Status quo des deutschen Mittelstandes

Internet der Dinge, Industrie 4.0, künstliche Intelligenz: Die Frage, ob der deutsche Mittelstand die Chancen der Digitalisierung konsequent nutzt, wird intensiv und nicht selten kontrovers diskutiert. Kaum ein Tag vergeht ohne neue Umfragen, Studien und Erkenntnisse. Ich möchte mich bei meiner Analyse auf die Studie „Digitalisierung im Mittelstand: Status Quo, aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen“ des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung im Auftrag der KfW Bankengruppe stützen. Ihr zufolge …

  • … befindet sich etwa 1/3 der Mittelständler noch in einem Grundstadium der Digitalisierung.
  • … rangiert etwa die Hälfte im Mittelfeld und nutzt einzelne Anwendungen digital vernetzter Information und Kommunikation.
  • … nimmt 1/5 eine Vorreiterrolle ein und setzt auf digitale Produkte, Dienstleistungen, Apps oder Industrie 4.0.

Das Gesamtfazit fällt dementsprechend ernüchternd aus:

Die Digitalisierung ist in mittelständischen Unternehmen in Deutschland noch stark ausbaufähig.

Dies zeigt sich bereits auf der ersten Digitalisierungsstufe: Nur knapp die Hälfte aller Mittelständler haben eine Software als zentrales Steuerungselement des Wertschöpfungsprozesses (ERP-Software) implementiert. Apps für Smartphones & Tablets (wir befinden uns hier auf der dritten Digitalisierungsstufe) werden im Durchschnitt von zehn Prozent der Mittelständler angeboten.

Start-ups nutzen den digitalen Wandel

Die oben angeschnittenen Defizite des Mittelstandes sind häufig der Ausgangspunkt für die Geschäftstätigkeit von Start-ups. So kommt der deutsche Startup Monitor 2016 zu dem Ergebnis, dass sich das Gründergeschehen vor allem auf die Informations- und Kommunikationstechnologie sowie die digitale Wirtschaft konzentriert:

  • IT/Softwareentwicklung (15 Prozent)
  • Software as a Service (10 Prozent)
  • Industrielle Technologie/Produktion/Hardware (9 Prozent)
  • E-Commerce (9 Prozent)
  • Consumer Mobile/Web Application (6 Prozent)

Potenzial für eine Win-Win-Situation

Das RKW Kompetenzzentrum hat in einer Befragung ermittelt, dass mehr als ein Drittel der KMU bereits mit Start-ups zusammengearbeitet hat. Dabei fällt allerdings auf, dass die Kooperationen mit steigender Unternehmensgröße abnehmen, darüber hinaus korreliert die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Geschäftslage: Je besser die Geschäftslage, umso wahrscheinlicher ist eine Kooperation. Als Showstopper erweisen sich hohe Insolvenzraten, chaotische Organisationsstrukturen, Unerfahrenheit und mangelnde Liquidität. Für die Zukunft wird eine positive Entwicklung erwartet: Über 70 Prozent der Befragten können sich vorstellen auf die Dienste eines Start-ups zurückzugreifen. Was versprechen sich die beiden Seiten jeweils davon?

Die Vorteile der Zusammenarbeit wurden im Rahmen des Frankfurter Workshops vor allem in der Ideengenerierung, der Realisierung von Innovationen und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle gesehen: Start-ups können von den Erfahrungen des Mittelstands profitieren und erlangen im besten Fall Kunden-/Marktzugang und Reputation – der Mittelstand wiederum profitiert von neuen Technologien. Als Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Kooperation wurden in erster Linie weiche Faktoren identifiziert: Offenheit, Mut und Leidenschaft müssen auf beiden Seiten vorhanden sein, ebenso wie die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen und neue Wege zu beschreiten.

Viele Wege führen nach Rom

Eine Zusammenarbeit ist also sowohl für den Mittelstand als auch für Start-ups attraktiv – aber wie lässt sich die konkrete Umsetzung gestalten? Für den Mittelstand eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten, die von Accelerator-Programmen über Partnerschaften und Venture-Capital-Investitionen bis hin zu Start-up-Akquisitionen reichen. Welcher Weg gewählt wird, hängt maßgeblich vom Ziel der Kooperation ab: Um Zukunftsmärkte und neue Technologien zu erschließen, sind Venture-Capital-Investitionen ein probates Mittel, weitreichendere Innovationsimpulse sind eher durch engere Partnerschaften zu erwarten. Hier erhalten Unternehmen einen direkten Einblick in die Arbeitsweisen und -methoden der Gründer und können dieses Wissen einsetzen, um das eigene Geschäftsmodell gezielt zu hinterfragen.

Start-up-Methoden im Praxistest: Tauglich für den Mittelstand?

Der Mittelstand übernimmt die Arbeitsmethoden der Start-ups und generiert auf dieser Basis Ideen und Innovationen – so weit die graue Theorie. Doch inwiefern lässt sich dies in der Praxis tatsächlich umsetzen? Über diese Frage wurde im Frankfurter Workshop intensiv diskutiert. Dabei standen drei Methoden im Blickpunkt: Business Model Canvas, Minimum Viable Product und Effectuation.

Um eine gemeinsame Wissensgrundlage zu schaffen, wurden die Arbeitsmethoden den Teilnehmern im Rahmen von Impulsvorträgen präsentiert. Danach ging es in die Praxis: Anhand von Business Cases oder beispielhaft für das eigene Unternehmen wurden die Methoden angewendet und im Anschluss im Plenum diskutiert. Das Fazit: Alle drei Ansätze sind auch für den Mittelstand gewinnbringend einsetzbar.

  • Das Business Model Canvas (BMC) führt dazu, dass das Nutzenversprechen und die Kundenzielgruppe geschärft werden. Es stellt strukturiert den Status quo eines Unternehmens dar und dient als gute Gesamtübersicht, um Potenziale in den neun Schlüsselfaktoren (Kundensegmente, Werteversprechen, Kanäle, Kundenbeziehungen, Einnahmequellen, Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten, Schlüsselparameter und Kostenstruktur) des Geschäftsmodells zu erkennen.
  • Bei der Methode Minimum Viable Product (MVP) überzeugte die Teilnehmer neben den Punkten Kostenschonung, Kreativität und Effektivität besonders die Möglichkeit, schnell den Kundennutzen zu überprüfen. Aufgrund der Komplexität vieler Produktportfolios wurde sie sogar als zwangsläufig notwendig eingestuft. Allerdings wurden in diesem Zusammenhang auch Stolpersteine wie eine nachhinkende Unternehmenskultur oder eine fehlende Umsetzungsbereitschaft angesprochen.
  • Das Prinzip der Effectuation, also der intuitiven Entscheidungs- und Handlungslogik, wird unbewusst bereits in vielen Unternehmen eingesetzt. Diese Strategie geht von einer ungewissen Zukunft aus, setzt zur Verfügung stehende Mittel ein, um neue Partnerschaften mit neuen Möglichkeiten einzugehen, woraus wiederum neue Ideen und Perspektiven entstehen. Als besonders gewinnbringend wurde hier eingestuft, vorhandene Mittel effektiv einzusetzen – z.B. im Rahmen großer Umbrüche wie der Digitalisierung.

Hier bei PASS greifen wir als IT-Mittelständler selbst auf die MVP-Methode zurück und sammeln dadurch wertvolle Erfahrungen. Aktuell entwickeln wir z.B. ein Ticket-System und setzen dabei auf kurze Releasezyklen: Neue Funktionen werden von Testusern bewertet und ihr Feedback fließt unmittelbar in die weitere Entwicklungsarbeit ein – so durchbrechen wir die Innenansicht und können den Kundennutzen kontinuierlich überprüfen.

Jetzt sind Sie gefragt!

Wie schätzen Sie die Lage ein: Kann der deutsche Mittelstand seinen digitalen Status quo durch eine engere Zusammenarbeit mit Start-ups sowie neue Arbeitsmethoden verbessern und wo sehen Sie die Chancen und Hindernisse? Ich freue mich auf Ihr Feedback.

In meinem nächsten Beitrag werde ich dann übrigens die Perspektive wechseln und ausführlich auf die Frage eingehen, inwieweit Start-ups von einer engen Zusammenarbeit mit dem Mittelstand profitieren können.

Der Beitrag ist zuerst im IT Management Blog erschienen.

Bildquelle: Shutterstock


Rainer Bachmann

100% mehr Messe-Erfolg | Entwickler der 5-R-Methode | #kmumessedoktor | >35 Jahre Messe-Praxis | Konkrete Zielerreichung mit der Formel "Erfolg=Potenzial-Störfaktor" | Amazon-Bestseller-Autor | Weltethos-Ambassador

7 Jahre

Ich habe ähnliche Erfahrungen mit KMU gemacht... Thema Zurückhaltung und I40-Potenziale...(unsere Lösungen Hard- und Software bieten da viele Ansatzpunkte in der gesamten Wertschöpfungskette)... allerdings stelle ich mir auch die Frage: Muss denn der Mittelstand die Arbeitsmethoden der Start-ups übernehmen? Ich sehe in KMU-Unternehmen die Chance, Experimentierfelder zu schaffen, die von StartUps koordiniert, befeuert und genutzt werden könnten. Dadurch müssten (vorerst) keine Strukturen und Prozesse verändert werden und man hätte die Chance, von- und miteinander zu lernen, ohne das das Tagesgeschäft "riskiert" wird. Gerade jetzt, den KMUs geht es überwiegend sehr gut, könnte man in diese Ideen investieren... anstatt abzuwarten bis andernorts dem Bär das Fell abgezogen wird...

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