Status Quo
In den letzten Wochen drehten sich viele Coaching-Gespräche um das Thema „Struktur“: fehlende Struktur, Sehnsucht nach Planbarkeit und Struktur, Struktur als Hilfsmittel, um den herausfordernden Alltag zu meistern.
Was steckt dahinter?
Seit einem Jahr werden bewährte Routinen auf den Kopf gestellt, das kostet Kraft. Flexibilität ist eine gute Sache, lässt sich jedoch leichter leben, wenn es einen stabilen Rahmen gibt. Dieser ist nur bedingt vorhanden bzw. wird aktuell eben neu gebaut und immer wieder neu gebaut. Wenn ich mir vorstelle, ich baue mir ein Haus, und jedes Mal, wenn es scheinbar fertig ist, wird es sofort wieder umgebaut, dann ist es wirklich schwer, ein gemütliches Zuhause zu gestalten.
Mein Eindruck ist, dass der Wunsch nach Struktur auch einen Wunsch nach Ruhe und Ankommen beinhaltet. Endlich mal wieder wissen, woran man ist, was planbar ist, worauf man sich einstellen kann.
Das ist nicht verwunderlich, da wir alle gewohnt sind, unser Leben zu planen („Mit 35 habe ich das erreicht, mit 45 jenes, mit 55 dieses ...“, „Wo stehe ich in 5, in 10, in 15 Jahren?“)), unsere Arbeitswelt mit Terminen durchzuorganisieren ( „Im April 2022 bin ich schon ausgebucht...“), Urlaube ein Jahr im Voraus zu buchen („Sonst ist das Ferienhaus weg“) – und seit einem Jahr stellen wir immer wieder fest, dass dieses Konzept der langfristigen Planbarkeit nicht mehr aufgeht, was nach einer ersten Irritation über Ärger nun auch zu Erschöpfung führt. Ob dieses Konzept sinnvoll ist oder nicht, kann an anderer Stelle diskutiert werden, Tatsache ist, dass Erschöpfung keine gute Grundlage darstellt, um auf kreative und souveräne Weise neue Ideen zu entwickeln geschweige denn zu etablieren.
Ressourcen aktivieren
Um die Herausforderungen angehen zu können und neue Kraft tanken zu können, ist es hilfreich, eigene Ressourcen zu kennen und bewusst zu aktivieren.
„Letztlich alles, was von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation wertgeschätzt und/oder als hilfreich erlebt wird, kann als eine Ressource betrachtet werden“ (Nestmann, F.). Oftmals sehen wir im Tunnelblick der Erschöpfung ausschließlich das Problem und finden unsere eigenen Unterstützersysteme nicht mehr. Deshalb macht es Sinn, in Zeiten, in denen wir uns nicht überfordert fühlen, unseren Ressourcenkorb gut zu füllen und ihn immer wieder bewusst unter die Lupe zu nehmen – damit wir uns in schwierigen Momenten daran erinnern können und darauf zugreifen können. Dieser Ressourcenkorb kann sehr vielfältig gestaltet werden: sei es in Form eines „echten Korbes“, in dem unterstützende Symbole gesammelt werden, sei es in Form von Bildern, die uns gute Erinnerungen und damit neue Energie schenken, sei es durch bestimmte Personen, Netzwerke etc., die uns hilfreich zur Seite stehen können.
„Unter Ressourcen wollen wir somit jene positiven Personenpotentiale („personale Ressourcen“) und Umweltpotentiale („soziale Ressourcen“) verstehen, die von der Person
(1) zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse,
(2) zur Bewältigung altersspezifischer Entwicklungsaufgaben,
(3)zur gelingenden Bearbeitung von belastenden Alltagsanforderungen,
(4) zur Realisierung von langfristigen Identitätszielen genutzt werden können
und damit zur Sicherung ihrer psychischen Integrität, zur Kontrolle von Selbst und Umwelt sowie zu einem umfassenden biopsychosozialen Wohlbefinden beitragen.“ (Herriger, N.)
Ressourcenarbeit kann sehr viel Spaß machen, v.a. wenn man als Coach beobachten und begleiten darf, wie die Kunden ihre Kreativität wiederentdecken und es wie bei einer Quelle wieder frisch zu sprudeln beginnt.
Frischeste Gedanken
Innovative Konzepte und damit verbundene neue Strukturen entstehen schwer, wenn wir unsere Gedanken nur in eine Richtung schicken und unser Problem immer wieder auf ähnliche Weise analysiert wird. Meistens sind wir wirkliche Experten für unser Problem, weil wir uns eben immer wieder damit beschäftigen. Oftmals stellen wir jedoch dabei fest, dass uns diese Expertise nicht weiterbringt. "Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann." (Francis Picabia) Dieses sehr bekannte Zitat bringt auf den Punkt, was uns weiterhelfen könnte: ein Perspektivwechsel oder wirklich neue, andere Gedanken.
Das klingt leichter gesagt als getan. Was könnte uns hierbei unterstützen?
Seit meiner Ausbildung zur Time To Think Facilitatorin weiß ich aus eigener Erfahrung, wie wertvoll ein stabiler, unterstützender Denkraum sein kann, um wirklich eigenständig zu denken und dabei auf „frischeste“ Gedanken zu kommen. Nancy Kline spricht in diesem Zusammenhang von Thinking Environment und hat zehn konkrete Komponenten benannt, die zur Aufrechterhaltung eines Denkraums beitragen.
Wer mehr darüber erfahren möchte, dem empfe ich sehr diese beiden Bücher:
Nancy Kline: Time to think: Zehn einfache Regeln für eigenständiges Denken und gelungene Kommunikation.
Marion Miketta: Thinking Environment: Denkräume schaffen in Coaching und Beratung
Zugrunde liegt die Annahme, dass die Qualität unseres Handelns von der Qualität unseres Denkens in diesem Moment abhängt, die Qualität unseres Denkens wiederum hängt maßgeblich davon ab, wie wir uns in diesem Augenblick fühlen. Wir können dann am besten denken, wenn wir uns in einem sicheren Kontakt mit anderen wähnen, wir Interesse erfahren, ermutigt werden und uns ohne Bewertung zugehört wird. In diesem Setting können wir Lösungen entdecken, die wir bisher nicht auf dem Schirm hatten. Und besonders wertvoll daran ist, dass wir sie wirklich eigenständig und genau passend für uns erdacht haben, kein gut gemeinter Rat von außen, kein Tipp im Sinne von „du solltest einfach mal ....“, sondern wirklich von innen heraus selbst erarbeitet. Dieser Zustand ist ein Geschenk, denn in diesem Moment haben wir eine tatsächliche Grundlage für Veränderungsprozesse geschaffen.
Entwicklung
Der oben genannte Wunsch nach Struktur hat wie beschrieben viele Facetten. Es geht dabei letzten Endes ganz basal auch um das Streben nach Entwicklung.
Was zunächst wie eine Sehnsucht nach einem Leitfaden aussieht und oft mit dem Begriff „Struktur“ zum Ausdruck gebracht wird, ist bei näherer Betrachtung vielmehr der Wunsch, proaktiv und handlungsfähig nächste Schritte gehen zu können, eine gute Selbstwirksamkeit zu haben und somit die aktuellen persönlichen Entwicklungsschritte sicher gehen zu können.
Unter Selbstwirksamkeit (self-efficacy beliefs) versteht die kognitive Psychologie die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können.
Geprägt wurde der Begriff von dem amerikanischen Psychologen Albert Bandura. Eine wesentliche Erkenntnis Banduras war, dass Menschen meistens nur dann eine Handlung beginnen, wenn sie davon überzeugt sind, dass sie diese Handlung auch tatsächlich erfolgreich ausführen können. Die Überzeugung, eine Handlung erfolgreich ausführen zu können, bezeichnete Bandura als Selbstwirksamkeits-Überzeugung.
Ohne Selbstwirksamkeits-Überzeugung werden Herausforderungen oft nicht angenommen.
Last but not least
Wenn wir also in der eingangs erwähnten Situation sind, dass wir uns überfordert, orientierungslos fühlen und somit auf der Suche nach Struktur und letztlich Sicherheit befinden, uns also ohne Selbstwirksamkeits-Überzeugung wiederfinden, können wir die nächsten Schritte nur sehr schwer gehen.
Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein und sich nicht verzweifelt auf die Suche nach „Struktur-Rezepten“ zu machen, sondern wie bereits beschrieben sich an Ressourcen zu erinnern und Unterstützersysteme zu aktivieren.
Wir stehen Ihnen als Taskforce Female Empowerment dabei gerne zur Seite!
Was hat Sie in herausfordernden Situationen weitergebracht und Entwicklung möglich werden lassen?
Wir freuen uns, wenn Sie uns daran teilhaben lassen.
Ihre Astrid Wittenberger von STIMMPOWER
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