Stehen wir schon wieder vor dem Ende des Fachkräftemangels?

Stehen wir schon wieder vor dem Ende des Fachkräftemangels?

 

 Vielleicht löst sich das Fachkräfteproblem ja ganz anders, als wir lange Zeit glaubten.

Nicht durch New Work, Kulturentwicklung, Purpose, Employer Branding und all die weiteren Themen, die bei HR- und Marketing-Experten und auch in vielen Chef-Etagen Konjunktur haben.

Sondern durch Rezession.

Denn die eingangs erwähnten Themen stammen aus einer wirtschaftlichen Blütezeit. Sie stehen für die mittlerweile nicht mehr ganz so neue Ära der Arbeitskultur, in der sich Unternehmen so intensiv wie noch nie um die Bedürfnisse der Mitarbeiter kümmern müssen, weil Mitarbeiter eine knappe Ressource sind.

Diese Ära könnte bald enden. Denn während sich viele Unternehmen in diesen Tagen noch händeringend fragen, wie sie Fachkräfte finden sollen, dreht sich der Wind am Horizont und es zeichnet sich eine ganz andere Frage ab: Ist es möglich, dass morgen nicht mehr Arbeitskräfte knapp sind, sondern Arbeitsplätze?

Ja, die oft zitierte Zeitenwende kann und wird auch in der Arbeitswelt nicht spurlos vorbei gehen. Bundesfinanzminister Lindner stimmt uns auf schwierige, vor uns liegende Jahre ein. Und sein Wirtschaftskollege Harbeck kurzfristig auf schwierige Wintermonate, die unangenehm kalt und teuer sein werden.

Rückschritt in die alte Zeit?

Vielleicht freut man sich in vielen Unternehmen ja auch klammheimlich auf die „angenehmen“ Begleiterscheinungen einer Rezession. Dass es demnächst dann wieder so wird wie es in den guten, alten Zeiten. Dass es viele, viele Bewerber gibt, die auf wenig freie Stellen treffen. Und dass die verhätschelten Generationen Y und Z mal so richtig aus der Komfortzone geschubst werden. Endlich wieder stramm Nine-to-five arbeiten statt im Home-Office sitzen und mit Work-Life-Balance chillen.

Ganz so holzschnittartig wird es meines Erachtens nicht werden. Es wird zwar gravierende Veränderungen in der Wirtschaft geben, aber den Atavismus in die alte Arbeitswelt kann ich mir nicht vorstellen. Genauer gesagt: nicht für alle Branchen. Sehr wohl aber eine Zweispaltung des Arbeitsmarktes.

Für den Fall einer Rezession halte ich folgende Entwicklung für wahrscheinlich: Während es in vielen Branchen ein Überangebot an Arbeitskräften geben wird – zum Beispiel im Bereich Dienstleistungen, aber auch im Baugewerbe (Stichwort Zinswende) und der Chemischen Industrie (Stichwort Gasknappheit), wird es in Zukunftsbranchen wie der IT noch schwieriger werden, Fachpersonal in ausreichender Zahl zu finden.

Zukunftsbranchen müssen noch mehr Anstrengungen in die Entwicklung einer attraktiven Arbeitskultur stecken, um Ihr Wachstum, das durch eine Rezession in der Dynamik gebremst aber nicht gestoppt wird, weiter zu managen.

Bei anderen Branchen wären Investitionen in die Arbeitskultur zwar nice to have, aber nicht zwingend nötig, da es rezessionsbedingt relativ einfach ist, neue Mitarbeiter zu finden. Oder sie gar nicht mehr gesucht werden (Stichwort Einstellungsstopp und Stellenabbau).

Handlungsoptionen – taktisch und strategisch.

Wann kommt die Rezession? Wie gravierend wird sie?

Aufgrund der derzeitigen, unsicheren Lage kann ich darauf keine klaren Antworten geben. Aber das ist auch nicht wichtig. Denn es gibt aus meiner Sicht auch so im Hier und Jetzt klare Handlungsempfehlungen:

1.    Die meisten Branchen müssen nach nie vor in Kultur und Attraktivität investieren, weil es zur Zeit immer noch einen Fachkräftemangel gibt. Aber es gibt dabei unterschiedliche Ausprägungen.

2.    Die „tradierten“ Branchen (also die, die wahrscheinlich stärker von einer Rezession betroffen wären), sollten dabei aber taktisch vorgehen und auf schnell greifende Maßnahmen setzen (z.B. Employer Branding-Kampagnen mit starker Aktivierung auf Social Media). Denn noch ist man ja im Wettbewerb mit der Konkurrenz um Arbeitskräfte und braucht die Quick-Wins. 

3.    Für Unternehmen in Zukunftsbranchen reicht das nicht. Sie müssen strategische Konzepte entwickeln, um langfristigen Erfolg sicher zu stellen. Mit einem Customer- bzw. Employee Centric-Ansatz über gesamten Employee Lifecycle. Hier gilt es, das gesamte Instrumentarium zu verstehen, darauf zugreifen zu können und zu vernetzen: Von Employer Branding, Purpose, optimierten Recruiting-Prozessen bis hin zum wirklich professionellen On- und Off-Boarding.  

Das Problem ist nur: Viele Unternehmen aus Wachstumsbranchen haben so einen strategischen Ansatz für ihr Fachkräfteproblem noch nicht.

Woran liegt das? Ich sehe zwei Hauptursachen.

1.    Personal ist in vielen Unternehmen nach wie vor als reines HR-Thema verankert ist, obwohl es heute stark marketinggetrieben ist. Die HR ist auf sich alleine gestellt, mit der Komplexität überfordert und bekommt immer mehr Druck, Nachschub zu liefern, aber weiß nicht wie. Gleichzeitig ist der Bereich Employer Branding im Marketing angesiedelt. HR und Marketing kommen aber nicht auf einen Nenner, sondern bleiben im Denken und Handeln jeweils in ihrem Silo. Das führt unmittelbar zum nächsten Punkt 

2.    Unternehmen wissen nicht, wie strategische Lösungen für ihr Fachkräfteproblem aussehen. Stattdessen verstärken sie das klassische Recruitment und probieren eine Vielzahl neuer Maßnahmen aus. In der Hoffnung, irgendwann einen Wirkungstreffer zu erzielen.  

Zusammengefasst: Corona und Putin und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Veränderungen könnten die Personalsuche etwas entspannen, aber auf Dauer brauchen Unternehmen (auf Wachstumskurs) eine strategische Lösung für ihr Fachkräfteproblem.

Alexandra Deters

Entwicklungsberatung für Menschen, Teams und Organisationen | Organisationspsychologin | Leadership und Führungskompetenzen für nachhaltige Entwicklung | Veranstalterin Power of Women Event

2 Jahre

Roman, deine Handlungsoptionen Zeile ich und freue mich, dass du das Thema so pointierst. 👌

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