Strategische Herausforderungen für Pharma im Jahr 2023
Wer verschreibungspflichtige Medikamente herstellt, steht vor einer Reihe vor Herausforderungen im Jahr 2023. Wie ihnen zu begegnen ist, ist eine knifflige und zugleich natürlich auch sehr individuelle Frage. Denn wie man den allgegenwärtigen System-Herausforderungen der alternden Bevölkerung bei gleichzeitig steigender Morbiditätslast und dem Fehlen der notwendigen Reformen begegnet, begleiten die Industrie weiter und so stellt sich einmal mehr die Frage, wie sich in diesem Setting die Rendite der Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen optimistisch ausgestalten lässt.
Status quo
Bereits seit mehreren Dekaden verändert sich die Primärversorgung von Patienten hin zur Anwendung von Spezialprodukten: Im Vergleich zu den großen Primärversorgungsmärkten der späten 1990er/Anfang 2000er Jahre werden heute, auf den Spezialversorgungsmärkten immer mehr und auch immer früher Produkt eingeführt und der Wettbewerber wächst stetig. Infolge verringert sich der Marktanteil mit jeder weiteren Markteinführung. In den wichtigsten Therapiebereichen der 1990er- bis 2000er-Jahre gab es bei den umsatzstärksten Medikamenten für die Primärversorgung - wie Protonenpumpenhemmer, Statine und Angiotensin-II-Antagonisten - alle drei Jahre eine Markteinführung. Heute gibt es in den wichtigsten Therapiebereichen der Spezialmedizin, darunter Hepatitis C, Immunonkologie und HIV fast jedes Jahr eine Neueinführung.
Die Auswirkungen davon: Während früher die ersten fünf Produkte, die auf den Markt kamen, einen weltweiten Anteil von 10 % oder mehr erwarten konnten, können dies heute nur noch die ersten drei Markteinführungen. Der Sinkflug ist also rapide. Zugleich sind die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der großen Unternehmen seit 2016 um 44 % gestiegen. Das Problem der langfristigen Kapitalrendite verschärft sich nun noch weiter: Seit 2020 schneiden innovative Produkteinführungen - mit einziger Ausnahme von COVID-Impfstoffen und -Therapeutika - im Durchschnitt also schlechter ab als ihre Counterparts vor 2020. Tatsächlich sind die Umsätze in den ersten sechs Monaten fast 20% niedriger und dieser Zustand hält an, wie die IQVIA-Berechnungen zeigen. Der besorgniserregende Trend ist auf die Patientenhistorie und Behandlungsrückstände zurückzuführen. Festzustellen ist, dass weniger Patienten bei der Medikamentenentwicklung Teil nehmen, dass Pharmareferenten weniger Zeit für interaktive Gespräche mit Ärzten über neue Therapiemöglichkeiten aufwenden können und dass die Budgets für neue Arznei knapper werden.
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Talfahrt
Diese Belastungen werden auch 2023 fortbestehen. Und die Haushaltsproblematik wird sich voraussichtlich beschleunigen und zum beherrschenden Thema für den Rest des Jahrzehnts werden. Das 2022 in den USA verabschiedete Gesetz Inflation Reduction Act (IRA) verspricht tiefgreifende Änderungen in der Finanzierung von Rx-Medikation in den USA. Dies wird die Entscheidungen zu Rx-Entwicklungen und Markteinführungen der großen Pharmaunternehmen natürlich beeinflussen, da die USA 60% oder mehr der kumulierten weltweiten Umsätze der ersten fünf Jahre einer typischen innovativen Markteinführung ausmachen. Und: Die USA sind nicht allein mit Sparmaßnahmen. Alle großen europäischen Länder und auch Japan sind dabei erhebliche Maßnahmen zur Kontrolle der Budgets, der Preise oder der Einführung neuer Arzneimittel zu ergreifen oder zu planen. Für die Hersteller gilt es dabei zu bedenken, China ist kein Allheilmittel für Innovation.
Herausforderungen begegnen: Portfolio-Entscheidungen
Die klassische Strategieanalyse schlägt drei Optionen vor, wie den beschriebenen Herausforderungen begegnet werden kann: 1) Kosten senken, 2) neue geografische Gebiete erschließen oder 3) das Portfolio verändern. In Wirklichkeit haben die ersten beiden Optionen aber nur ein sehr begrenztes Potenzial. Die F&E-Kosten sind nämlich die "Rote Königin" der Pharmaindustrie: sie steigen aufgrund des Wettbewerbsdrucks, Technologieeinführungen und der Gesundheitssysteme ständig an, wie die Unternehmensgeschichten zeigen. Weitere Kosten sind zwar beherrschbar, können aber weder eliminiert noch so weit reduziert werden, dass sie den ROI wesentlich beeinflussen. Was die geografischen Optionen betrifft, so sind die Zahlen eindeutig: Auf die acht führenden Ländermärkte entfallen mehr als 90 % der Umsätze mit innovativen Medikamenten in den ersten fünf Jahren. Und kein einziges Land außerhalb dieser acht Länder hat einen Anteil von mehr als 4 % an den weltweiten Ausgaben für den Pharmamarkt. Schnell wird sich dabei nichts ändern.
Die einzige mittelfristige Strategie mit substanziellem Potenzial ist die Veränderung des Portfolios: Sei es innerhalb des bestehenden Rx-Marktes oder in angrenzenden Märkten. Die Portfolioentscheidungen der großen Pharmaunternehmen in 2023, einschließlich ihrer geplanten Fusionen und Übernahmen werden laute Resonanz erzeugen. Denn in den Jahren 2021 und 2022 war pandemiebedingt noch die Pausentaste für größere Übernahmen gedrückt. Dies muss und wird sich 2023 ändern, wenn die Unternehmen das Ausmaß und die Geschwindigkeit der erforderlichen Portfolioumstellung beeinflussen wollen.