Superprovisorische Massnahmen im Zivilprozess - Ein schlechter Witz!
Die superprovisorischen Massnahmen, welche die Zivilprozessordnung als probates Mittel zur einstweiligen Durchsetzung dringlicher Anliegen vorsieht, sollten dem Rechtssuchenden eigentlich rasch und unkompliziert zu seinem Recht verhelfen. Die Realität, mithin die Praxis der Gerichte sieht leider anders aus, mithin verkommt das Institut der vorsorglichen Massnahmen - vorbehalten der gefestigten Praxis zum Bauhandwerkerpfandrecht - zum toten Buchstaben. Der nachfolgend beschriebene Fall zeigt auf, dass die vorsorglichen Massnahmen nichts anderes als ein schlechter Witz sind!
Der vorliegende Fall ist relativ simpel erklärt. Zwei aneinandergebaute Reihenfamilienhäuser verfügen über eine gemeinsame Heizungsanlage. Die Ölheizung befindet sich im einen Haus, der Öltank im anderen. Die Zugänglichkeiten zu den jeweiligen Anlagen und die Nutzung sind in Grunddienstbarkeiten klar geregelt.
Einer der Eigentümer entschliesst sich nach Jahren auf eine Wärmepumpe mit Wärmepumpe umzustellen, was sein gutes Recht ist. Der Öltank, welchen er faktisch nicht mehr benötigt, befindet sich in seiner eigenen Liegenschaft. Für dessen Befüllung war er bis dato stets zuständig. Die Kosten wurden verbrauchsabhängig geteilt. Nun entschliesst er sich allerdings, diese Bestellungen künftig seinem Nachbarn (Berechtigter) zu überlassen, zumal er selbst kein Öl mehr benötigt. Hierüber sowie auch über die Tatsache, wonach das verbleibende Öl im Tank bereits Ende November 2023 ausgegangen ist, orientiert er (Belasteter) seinen Nachbarn allerdings nicht.
Die Heizung des Berechtigten steigt in der Folge nicht ganz überraschend aus. Es herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Die Wohnung ist nach der Rückkehr des Berechtigten aus den Ferien vollständig ausgekühlt. Die Gründe sind dem Berechtigten zu diesem Zeitpunkt allerdings unbekannt. Der notfallmässig aufgebotene Heizungstechniker kommt vorbei und teilt mit, dass kein Öl mehr vorhanden ist. Der Belastete wird vom Berechtigten in der Folge um Zugang zum Öltankraum angefragt, um die erforderliche Tankfüllung vornehmen zu können, doch dieser reagiert nicht. Sämtliche erfolgten Kontaktversuche durch den Berechtigten, dessen Anwalt und auch die Polizei werden vom Belasteten ignoriert bzw. werden von diesem in nötigender Weise verschiedene Bedingungen (u.a. finanzieller Art) aufgestellt, welche vom Berechtigten erfüllt werden müssen, um den Zugang zum Öltankraum zu erhalten. Die Staatsanwaltschaft sieht sich nicht für die Aufhebung dieses Nötigungszustandes verantwortlich und verweist auf den Zivilweg.
Es wird also am 1. Dezember 2023 - zwischenzeitlich hat es erheblich geschneit und die Temperaturen befinden sich unter dem Gefrierpunkt - das zuständige Gericht angerufen und darum ersucht, dem Berechtigten im Rahmen von superprovisorischen Massnahmen ohne vorangehende Anhörung des Belasteten den Zugang zum Öltankraum zu verschaffen, um die dringend benötigte Öltankfüllung vornehmen zu können. Die Voraussetzungen des Eingriffs, mithin die vorübergehende Zugänglichmachung während einer halben Stunde zum Einfüllen des Öls aus dem Tanklastwagen, sind offensichtlich gegeben (nachweisliche Verletzung der Dienstbarkeit, nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil im Sinne des Lebens in einer eiskalten Wohnung, besondere Dringlichkeit aufgrund der anhaltenden Kälte und die Verhältnismässigkeit, zumal der Belastete keine wirklichen Nachteile erfährt); umgangssprachlich dürfte es sich dabei um einen "aufgelegten Match" handeln.
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Der zuständige Richter weist das Gesuch am 5. Dezember 2023 (Zustellung am Folgetag) allerdings mit der nachfolgenden Begründung völlig überraschend ab:
"Es ist nicht ersichtlich, inwiefern eine besonders dringliche Situation vorliegt, wegen welcher die superprovisorische Anordnung eines Zutrittsrechts erfolgen müsste. Das Nichtfunktionieren einer Heizungsanlage stellt für sich alleine noch keine grosse Gefährdung der Gesundheit dar. Das notfürftige Heizen kann auch mit anderen Mitteln sichergestellt werden".
Offensichtlich fehlt es hier beim Gericht am gesunden Menschenverstand, anders ist dieser Entscheid nicht zu erklären. Wenn hier keine besondere Dringlichkeit vorliegt, wann denn sonst. Der Entscheid bestätigt aber meine Prämisse, wonach die superprovisorischen Massnahmen schlichtweg toter Buchstabe, mithin nichts anderes ein prozessrechtlicher Witz sind, wenn diese von den zuständigen Gerichten nicht praxistauglich angewendet werden.
Der Belastete hat nun sieben Tage sei dem Empfang dieser Verfügung die Möglichkeit zu äussern, bevor das Gericht über die vorsorglichen Massnahmen entscheidet. Ob vor Weihnachten noch ein Entscheid erfolgen wird, dürfte erfahrungsgemäss höchst fraglich sein. Die Berechtigten sitzen somit auf ungewisse Zeit in einer eiskalten und ausgekühlten Wohnung.
In diesem Sinne - Happy Christmas!
Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht
1 JahrLieber Thomas Ich pflichte Dir vollumfänglich bei. Die Baujuristenszene müsste dringend auf parlamentarischer Ebene aktiv werden, um solche Ausreisser auf gesetzgeberischer Ebene zu korrigieren. Gesunder Menschenverstand - Richter bei Superprovisorien -? Ein sehr weites Feld….,; die meisten waren leider nie Anwalt. LG aus dem Berner Oberland, Gerhard Frey
Law Clerk at Bundesverwaltungsgericht
1 JahrNicht vergessen die ersatzmässig genutzten Elektroheizer an einen Stromzähler anzuschliessen. Erleichtert die Berechnung der Schafensersatzforderung 😂