Systemisches Denken - wenn Komplexität uns überfordert
Meinen Vortrag "Neu denken - wie geht das eigentlich?" beginne ich gerne mit einer gespielten Szene aus einer Schule, sagen wir mal Gymnasium Quarta:. "Der Lehrer stellt den Schülern folgende Aufgabe: 2 Pfund Bananen kosten 6,99 Euro. Wie viel kosten 5 Kilo Bananen, wenn Donald Trump Zölle von 30 Prozent erhebt, die Inflationsrate auif 4,8 Prozent steigt, Robert Habeck die Bananenindustrie mit 40 Millionen Euro unterstützt und die Chinesen die Einfuhr von Bananen verbieten".
Diese humorvolle Anekdote zeigt uns eines ganz deutlich: Schon vor einem System mit nur vier Variablen wie in diesem Fall dem Bananenmarkt, versagt unser Fähigkeit, die Wechselwirkungen in diesem System vorherzusagen,a die Wechselwirkungen überhaupt zu verstehen. Selbst wenn wir unendlich viele Zahlen, Statistiken und Informationen über diesen Markt hätten, wären unsere Prognosen im besten Falle zufällig. Bei noch komplexeren hypervernetzten System wie dem globalen Klima, aber auch nur einem globalen Verbundsystem des Verkehrs mit vielen Verkehrsträgern tritt der gleiche - ziemlich ernüchternde - Effekt auf.
Warum erzähle ich das? In der Management-Literatur und bei den Beratern drängt sich derzeit ein Modell nach vorne, das diese Prognose- und damit Entscheidungsschwäche ausgleichen soll: Das Systemische Denken. Diese neue Art zu denken meint nichts anderes, als mithilfe von Denktechniken weiträumiger, großflächiger, nicht einzelteilbezogen, sondern eben systembezogen zu denken. Es bedeutet, die Wechselwirkungen etwa zwischen einer Person oder einer Familie und der Gesellschaft6 bzw. der globalen Welt, besser zu verstehen und komplexe Probleme besser zu lösen. Das #Zukunftsinstitut mit Tristan Horx promotet gerade einen entsprechenden Ansatz von Prof. Dr. Stefan Tewes , in München befasst sich das Institut für systemisches Denkens von Rudolf Dr. Kreutzer forschend mit dem Thema. Daraus ist das - in der Tat fantastische Buch - "Denken neu denken" entstanden.
Der Wunsch, Wechselwirkungen in hypervernetzten Systemen zu verstehen, ist nur allzu verständlich - und dennoch geraten Gehirn und Denken hier ganz offenkundig an ihre Grenzen. Die Evolution hat dieses Denkfähigkeit für uns Menschen offenbar (noch) nicht vorgesehen, ebenso wenig wie sie uns bisher in die Lage versetzt, simultan, exponentiell oder multikausal zu denken. Das liegt zu einem großen Teil auch an der Tatsache, dass die Wechselwirkungen keinem physikalischen Gesetzen folgen, sondern zufällige Phänomene hervorbringen. Diese Zufälligkeit macht hochvernetzte Systeme unprognostizierbar. Bereits im letzten Jahrhundert hat ein französischer Mathematiker das sogenannte Dreikörperphänomen entdeckt: Drei frei im luftleeren Raum schwebende Körper beeinflussen sich gegenseitig durch ihre Anziehungskraft - und dennoch ist es unmöglich, mathematisch exakt vorherzusagen, welche Bahnveränderungen sie auslösen. Dass das mit den Planetenbahnen anders ist, ist alleine der Tatsache geschuldet, dass es sich hier um endfertige stabile Systeme handelt, auf die die Gesetze der Physik anwendbar sind.
Es wird sich herausstellen müssen, ob die technologischen Möglichkeiten des "Industrial Twinning" in der Lage sind, eine Sprunginnovation des Denkens auszulösen. Die Nachbildung komplexer Systeme (Mobilität, Klima, Universum) im virtuellen Raum funktioniert bereits erstaunlich gut. Mit einer Veränderung der Parameter (etwa der Veränderung der Höchstgeschwindigkeit auf einer Autobahn von 80 auf 120) verändern wir gezielt das System und erkennen dank hoher Rechenkapazität der KI, wie es unter neuen Bedingungen reagieren wird. Ebenso lassen sich komplexe Energiesysteme, Logistiksysteme und andere Netze virtuell "twinnen", also nachbilden. Alle großen Industrie-Player dürften heute bereits solche Systeme mit Erfolg nutzen.
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Freilich muss sich erst zeigen, bis zu welchem Komplexitätsgrad diese virtuellen Nachbildungen funktionierten und ob sie uns auf Dauer wirklich beim Verständnis hochvernetzter und zufällig interagierender Systeme unterstützen. Im Bananenmarkt dürfte ein tropischer Wirbelsturm über Costa Rica bereits ausreichen, alle Prognosen über den künftigen Bananenpreis über den Haufen zu werfen - Robert Habeck hin, Donald Trumps Zölle her. Entscheidungen werden künftig keineswegs sicherer, wie wir uns das erwarten: Je stärker die Vernetzung der Welt steigt, desto volatiler, man kann auch sagen fehlerbehafteter, werden unsere Entscheidungen. Man muss dann nur sinnvoll damit umgzugehen lernen.
Ihr/Euer Klaus-Ulrich
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1 MonatIch fand seine Darstellung sehr faszinierend und nahezu selbsterklärend, aber wie es im Titel steht, wenn Komplexität uns überfordert, gerät diese vermutlich in Vergessenheit....
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1 MonatVielen Dank, ich fand das Thema vor gefühlt ein Vierteljahrhundert bei einem Vortrag von Frederic Vester schon hoch interessant.