Sind Richter jetzt Ärzte???

Sind Richter jetzt Ärzte???

Das Landesarbeitsgericht Schleswig Holstein hatte sich genau dieser Frage zu stellen und - kaum verwunderlich: Die Welten der Halbgötter in Weiß und der Halbgötter in Robe prallten aufeinander. 

Was war geschehen? 

Eine Arbeitnehmerin hatte ein Kündigungsschreiben verfasst und darin u.a. um die Zusendung einer Kündigungsbestätigung und der Arbeitspapiere an ihre Wohnanschrift gebeten. Sie erschien sodann auch nicht mehr zur Arbeit und reichte durchgehend für genau 6 Wochen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.... Die Arbeitgeberin zahlte keine Entgeltfortzahlung. Die Zahlungsklage blieb anders als beim Arbeitsgericht Lübeck vor dem Landesarbeitsgericht erfolglos. 

Aber warum?  

Eine Erschütterung des Beweiswerts einer AU kommt in Betracht, wenn sich ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seiner Kündigung einmal zeitlich passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist krankschreiben lässt. Das Gericht führte aus, dass im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Beweiswert der AU auch dann erschüttert ist, wenn die Krankschreibung aufgrund mehrerer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durchgehend bis zum Ende der Kündigungsfrist andauert, diese punktgenau den maximalen Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen umfasst und sich aus dem Kündigungsschreiben ergibt, dass der Verfasser von vornherein nicht mehr mit seiner Anwesenheit rechnet. Bei der Beweiswürdigung stellte das LAG darauf ab, dass nach seiner Überzeugung die Klägerin ihrem Arzt Beschwerden vorgetragen hat, die tatsächlich nicht bestanden haben. 

Ich erinnere mich hierbei an meine eigene Tätigkeit als Richter, die ich 15 Jahre ausgeübt habe, und denke mir: Nirgendwo wird so viel gelogen wie vor Gericht.... Und ich erinnere mich an einen "alten" Kollegen, der mir gleich zu Beginn meiner Richtertätigkeit sagte: "Es gibt nichts, was es nicht gibt, ich traue jedem alles zu und die Fantasie reicht oft nicht aus, um die Wirklichkeit nachzuvollziehen." Dass er Recht hatte, werden wahrscheinlich alle Juristen verstehen. Oft saß auch ich in meinem Gerichtssaal und habe mir Geschichten angehört, die auf keine Kuhhaut mehr gehen. Und natürlich glauben wir alle zu wissen, dass Ärzte vielleicht hin und wieder eine AU ausstellen, obwohl der Arbeitnehmer doch arbeiten könnte. Aber kann ich das als Richter wirklich ernsthaft anzweifeln und zur Grundlage meiner Entscheidung machen? Bin ich Arzt? Nein, bin ich nicht. 

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