Unsicherheit, Isolation, Konflikte zu Hause – Corona hat Auswirkungen auf unsere Psyche – was kann helfen?
Als Psychologin habe ich eine andere Perspektive auf die jetzige Situation als Virologen oder Politiker. Mein Fokus liegt auf dem, was ich vielleicht tun kann. Daher ist es mir ein Anliegen, den Lesenden einige Anregungen zu geben, die ich für hilfreich erachte.
Die jetzige Situation ist eine Ausnahmesituation, die in uns Stress verursachen kann. Dieser zeigt sich auf der mentalen, körperlichen, kognitiven wie auch auf der Verhaltensebene.
Folgende Symptome können sich bei Ihnen zeigen:
Verhalten:
· höheres Maß an Energie und Aktivitäten
· starker Konsum von Alkohol, Tabak oder anderen Suchtmitteln
· erhöhte Reizbarkeit, u.U. mit Wutausbrüchen oder vermehrten Streitereien
· Schlafprobleme
· Probleme sich zu entspannen
· vermehrtes Weinen
· exzessives Grübeln (‚Horror‘ Zukunftsszenarien)
· Rückzugstendenzen
· Kommunikationsprobleme
· Hilfe ist schwer anzunehmen oder anzubieten
· Schwierigkeiten, Freude oder Vergnügen zu spüren
Körperreaktionen:
· Magen-Darm-Probleme / Durchfall
· Kopfschmerzen
· Veränderung des Essverhaltens (weniger / mehr)
· Schwitzen / Kälte – Zittern
· Muskelanspannung
Emotionale Reaktionen:
· Angst
· Schuld
· Ärger
· sich euphorisch und unverletzbar fühlen
· sich unberührt von den Ereignissen fühlen
· von Traurigkeit und Verzweiflung überwältigt sein/sich bedrückt fühlen
Mentale / Kognitive Reaktionen:
· Schwierigkeit, sich Dinge zu merken oder klar zu denken
· Schwierigkeit, Entscheidungen zu treffen
· Schneller Dinge vergessen
· Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren.
Folgende Methoden sind als Anregungen gedacht, um mit der aktuellen Situation oder Krisen und Stress im Allgemeinen leichter umzugehen:
1. Mein erster Rat an Sie ist der Wichtigste: Akzeptieren Sie, dass die aktuelle Situation Ihr Denken, Fühlen und Verhalten beeinflusst. Erwarten Sie nicht, dass Sie genauso „funktionieren“ können wie sonst. Auch wenn Akzeptanz meines Erachtens zur Königsdisziplin gehört, wünsche ich Ihnen, dass Sie sich selbst, Ihr Umfeld und die aktuelle Unsicherheit so gut es geht annehmen. Verändern können Sie niemals die Fakten, sondern nur Ihre Einstellung dazu.
2. Krisen führen häufig zu starken Gefühlen. Allen voran sei Angst genannt, sowie Ärger, starke Traurigkeit und für viele Alleinstehende auch die Einsamkeit. Wenn Sie merken, dass Sie panisch reagieren, hilft Ihnen folgendes:
a. Atmen Sie tief in den Bauch und entspannen Sie alle Muskeln im Körper dabei. Machen Sie dies für mindestens 3 Minuten. Wenn Sie ruhiger geworden sind, fragen Sie sich, ob die Gedanken, die Sie haben, zu 100% der Wahrheit entsprechen. Bei Angst beziehen sie sich in fast allen Fällen auf die Zukunft. Wie Sie sicher wissen, können sie die Zukunft nicht voraussehen. Machen Sie sich das bewusst und üben Sie regelmäßig Ihr eigenes Entspannungsverfahren.
b. Weitere Möglichkeiten zur Entspannung: Meditationen mit Affirmationen, Bodyscan, Yoga oder die progressive Muskelentspannung. YouTube bietet einiges!
c. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, sich bei starker Angst in das Hier und Jetzt durch Übungen der Achtsamkeit zurück zu holen. Konzentrieren Sie sich z.B. auf den eigenen Atem, auf das, was Sie sehen, hören, riechen, schmecken. Oder machen Sie Tätigkeiten ganz bewusst (z.B. malen, gehen, kochen).
d. Wenn Sie merken, dass Sie grübeln, stellen Sie sich innerlich ein Stoppschild vor und sagen Sie laut „Stopp!“, um die Gedanken zu unterbrechen.
e. Eine gute Methode zum Umgang mit Angst oder belastenden Gefühlen ist der „sichere Ort". Dabei stellen Sie sich innerlich einen schönen Wohlfühlort vor. Das kann ein realer oder auch ausgedachter sein. Im Internet gibt es dazu Anleitungen (Stichwort „sicherer Ort").
3. Beschränken Sie in dem Zusammenhang den Medienkonsum und setzen Sie sich ein Limit an Zeitpunkten und auch an der gesamten Dauer. Einmal am Tag ist mehr als ausreichend. Beherzigen Sie dies insbesondere wenn Sie bemerken, dass Sie der Konsum stark belastet und zum Grübeln animiert. Seien Sie dabei ehrlich zu sich, denn häufig ist das suchtartige Konsumieren der Medien ein Versuch, die aktuelle Situation bzw. Ihre Unsicherheit kontrollieren zu wollen. Faktisch hilft es aber mehr, zu akzeptieren, dass Sie im Leben nicht alles kontrollieren, aber lernen können, sich an die Situationen anzupassen.
4. Versuchen Sie Ihrem Tag weiterhin eine Struktur zu geben. Zum Beispiel durch Mahlzeiten, Spaziergänge, Sport oder durch Rituale, die Sie sonst auch auf der Arbeit haben. Halten Sie Ihren Schlafrhythmus wenn möglich bei.
5. Nutzen Sie die Ruhe der Natur und gehen Sie raus in Wälder (‚Waldbaden‘), oder andere weniger besuchte Naturgebiete. Natur beruhigt nachweislich und Sie werden sehen, dass alles seinen Lauf nimmt und die Welt sich weiterdreht.
6. Schauen Sie, welche Ressourcen Sie haben oder entdecken Sie diese jetzt wieder. Ressourcen sind Tätigkeiten oder Aspekte in Ihrem Leben, die Ihnen gut tun. Allen voran sei hier gerade Bewegung und Sport genannt. Auch hier bieten Portale einige Online Kurse an. Suchen Sie im Internet nach Beispielen oder Listen von Ressourcen, wenn Ihnen nichts einfällt. Oder fragen Sie sich, was Ihnen als Kind gut getan hat (Buchempfehlung ‚Das Sonnenkind Prinzip‘ von Julia Tomuschat).
7. Der soziale Kontakt und die emotionale Unterstützung ist eine wichtige Ressource. Nutzen Sie dafür Telefon, E-Mail, sonstige Kommunikationsmittel online oder vielleicht auch den Brief. Beachten Sie dabei, welche Kontakte Ihnen gut tun und welche nicht. Setzen Sie Grenzen, wenn Sie merken, dass Sie der Kontakt zu bestimmten Menschen belastet. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn diese selbst sehr panisch sind, sich nicht so verhalten (Abstand wahren), wie Sie es sich wünschen. Sagen Sie dies deutlich und machen Sie in dem Zusammenhang klar, dass Sie gerade gut für sich sorgen wollen und andere schützen.
8. Der Kontakt zu sich selbst ist gerade jetzt ein ganz entscheidender. Versuchen Sie daher, sich selbst ein(e) gute(r) Begleiter/In zu sein und gut für sich zu sorgen. Das hilft vor allem auch bei starken belastenden Gefühlen, wie Einsamkeit. Dafür empfehle ich Bücher zum Umgang mit dem Inneren Kind (z.B. ‚Das Kind in dir muss Heimat finden‘ von Stefanie Stahl) und zum Aufbau von Selbstmitgefühl (z.B. ‚Selbstmitgefühl‘ von Kristin Neff).
9. Schreiben Sie Ihre Gedanken auf und lassen Sie sie dadurch los. Auch ist es möglich, dies in Form eines Dankbarkeits- oder Positiv-Tagebuch zu tun. Führen Sie das in ein tägliches Ritual über, z.B. immer abends vor dem Schlafen gehen.
10. Zu guter Letzt: Humor! Gerade in ‚schlechten‘ Zeiten, die aber auch immer eine Chance beinhalten, ist Humor und Lachen eine wichtige und hilfreiche Ressource. Das Internet bietet eine große Anzahl an Filmen, Videos oder Texten.
Wichtig ist mir: Gehen Sie gerade jetzt nachsichtig mit sich um (und mit anderen) und verzeihen Sie sich, wenn Ihnen das Obige nur zum Teil gelingt. Seien Sie stolz, wenn Sie liebevoll mit sich umgehen und merken, dass Sie ruhiger werden und einige von den Methoden umsetzen können. Damit lernen Sie etwas, was für Ihr weiteres Leben von entscheidender Bedeutung ist: Sie übernehmen Verantwortung für sich und Ihr Wohlbefinden und lernen gut für sich zu sorgen. Dies ist die beste Prävention gegenüber psychischen Erkrankungen und Krisen.
Ich wünsche Ihnen vor allem, dass Sie so gut es geht, gelassen und optimistisch bleiben und diese Zeit so nutzen können, dass Sie für Ihren weiteren Lebensweg wertvolle Strategien im Umgang mit Stress und Angst mitnehmen können.
Wenn Sie nicht zurechtkommen, nehmen Sie gern mit mir oder anderen Psychologen, Psychotherapeuten und anderen Beratungsstellen Kontakt auf. Sie können von mir auch Anregungen für Videos erhalten.
Diskutieren Sie gerne mit: Was hilft Ihnen aktuell am meisten? Haben Sie hilfreiche Links und Tipps?
explayn Chief Executive Officer | Lead Consultant Transformation | Developing Leaders | TOP 35 Wilma Coach
4 JahreLiebe Christine, vielen Dank für Deine umfassenden Empfehlungen zu Methoden die gerade jetzt in dieser Ausnahmesituation helfen, mögliche persönliche Herausforderungen zu bewältigen. Es werden sehr oft die Möglichkeiten und Chancen die sich durch diese Krise bieten in Artikeln betont. Aber diese abrupte Veränderung löst bei vielen Menschen vor allem erst einmal Ängste aus. Und das ist normal. Nicht jeder ist zum Innovator a la Rogers bestimmt, um stets die Chance in der Krise zu sehen. Deshalb kann ich Deinen Verweis auf die Akzeptanz der eigenen Situation und die Akzeptanz der Menschen im eigenen Umfeld nur unterstreichen. Akzeptanz und auch Achtsamkeit sind nicht nur aber vor allem in Krisen wichtige Hilfen zum Umgang mit der persönlichen Situation.