Unsinn «Change Management»: Change nicht managen, sondern begleiten!
Die Menschen wurden immer mit mehr oder weniger wichtigen Veränderungen auf privater, beruflicher, persönlicher und gesellschaftlicher Ebene konfrontiert. 1789 deutete der französische Chemiker, Philosoph und Ökonom Antoine Lavoisier eine vom Vorsokratiker Anaxagoras geprägte Maxime zum physikalisch-chemischen Prinzip um:
«Nichts vergeht, nichts entsteht, alles verwandelt sich.»
Angesichts dieses Wandels versuchen Unternehmen und Organisationen, sich dem Unvermeidlichen zu stellen. Dies hat zu «Rezepten» zum Umgang mit diesem Wandel und dessen Gestaltung geführt. Allerdings sind diese in einem Veränderungsprojekt oft ungeschickt umgesetzten Rezepte kaum je von Erfolg gekrönt. Entscheidend ist hier zu verstehen, dass sich Wandel nicht managen, nicht führen, sondern nur begleiten lässt.
Eine 2007 vom Soziologielehrstuhl der Technischen Universität München zusammen mit dem Büro C4 Consulting GmbH durchgeführte Studie hat Faktoren benannt, die zum Erfolg von Veränderungsprojekten beitragen. Die Ergebnisse sind äusserst interessant:
- Ein vollständiger Erfolg der angestrebten Veränderung war nur mit einer Wahrscheinlichkeit von weniger als 20 Prozent zu erreichen.
- Mehr als jeder dritte Change-Prozess galt im Rückblick als gescheitert oder wenig erfolgreich.
Folgende Probleme tauchten auf:
- Ungenügender Einsatz vonseiten der Generaldirektion
- Wenig klare Ziele und Visionen im Hinblick auf die Change-Prozesse
- Führungspersonal mit ungenügender Erfahrung im Umgang mit der Unsicherheit der betroffenen Mitarbeitenden
- Meinungsverschiedenheiten auf höchster Führungsebene (nicht mit einer Stimme sprechen)
- Zu wenig Unterstützung vonseiten der Hierarchie
- Unvollständiges oder zu spätes Informieren der Mitarbeitenden
- Ungenügende Möglichkeiten, den Befürchtungen und dem Widerstand der Mitarbeitenden zu begegnen
- Vernachlässigen der psychologischen Faktoren beim Planen der Projekte
- Ungenügende Personaldotierung
- Wenig Vertrauen in die Kommunikation zwischen Mitarbeitenden und Führungsebenen
Ich bin überzeugt, dass im eben Aufgezählten manche Schwierigkeiten auftauchen, die Sie an Ihre aktuellen Change-Projekte erinnern.
Überdies zeigen die Studienresultate auf, dass gross angelegte Change-Prozesse nicht nur in Krisenzeiten eine Herausforderung für die Unternehmen sind, sondern auch in Zeiten des Erfolgs. Die Studie konnte nachweisen, dass ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Erfolg und der Begleitung des Wandels besteht: Je erfolgreicher tiefgreifende Veränderungsprozesse in einem Unternehmen sind, desto besser ist dessen wirtschaftliche Lage.
Zusammenfassend weist die Studie auf drei Erfolgsfaktoren hin:
1. Motivation
Der Mensch ist ein zentraler Faktor. Sind mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden «gegen» die Veränderung eingestellt, kommt sie kaum voran.
2. Kohärenz
Die Vision muss nicht nur verstanden werden, sondern jeder muss in der Lage sein, seine Ziele mit dieser Vision in Beziehung zu setzen. Der Beitrag eines jeden muss klar sein. Darüber hinaus müssen auch die Botschaften, Handlungen und Verhalten konsistent sein, und zwar auf allen Ebenen der Hierarchie (Vorbildlichkeit).
3. Kongruenz
Verschiedene Elemente innerhalb des Unternehmens müssen untereinander kohärent = kongruent sein:
– Kommunikation
– Personalentwicklung
– Tools und Prozesse
Ich erläutere dies am Beispiel der Werte eines Unternehmens: Legt ein Detailhandelsunternehmen fest, dass es «freundlich» sein will, muss es Verhaltensnormen definieren: Das Kassenpersonal muss Augenkontakt zu den Kundinnen und Kunden suchen, sie begrüssen, ein Lächeln aufsetzen und sich bei ihnen bedanken. Diese Prinzipien müssen kommuniziert, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgebildet und die Verhaltensweisen im Rekrutierungs- und Evaluationsprozess evaluiert werden. Sie müssen beobachtbar und messbar sein, so wird das System kongruent.
Anlässlich der Transformation von Swiss Life Schweiz, die ich von 2012 bis 2015 begleitete, standen die drei Elemente Motivation – Kohärenz – Kongruenz über jedem Meeting und im Zentrum aller meiner Überlegungen.
Um tiefgreifende Veränderungen zu erreichen, muss man auf Begleitung und die menschliche Dimension setzen. Die Menschen sind und bleiben der Schlüssel zum Erfolg, deshalb spreche ich inzwischen lieber von Transformation als von Change.
Richard Barrett, ein Pionier der kulturellen Transformation, unterscheidet zwischen Wandel, Transformation und Evolution. In der Vorstellung der Evolution spricht er vom menschlichen Bewusstsein. Diese Reflexion über die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins findet sich in meinem Beitrag: Bewusste Leadership.
Das Bild zum Begriff der Transformation ist jenes der Metamorphose: Denken Sie an die Raupe, die zum Schmetterling wird. Dieses wunderschöne Bild steht für die Herausforderungen, die Transformationen für uns bereithalten. Entscheidend ist, dass in uns selbst ein Wandel stattfindet, damit es zu einem äusseren, sichtbaren Wandel kommt. Erst dann kann man tatsächlich von Transformation sprechen. Wesentlich dabei ist die Selbstreflexion, das Arbeiten an der eigenen Haltung (Vorbild), an den eigenen Werten, Überzeugungen und Ängsten.
Wenn Sie meinen Beitrag über den agilen Manager lesen, werden Sie den Zusammenhang zwischen Agilität und Haltung erkennen.
Einer der Schlüssel zum Erfolg eines Transformationsprozesses ist also diese Begleitung, bei der dem Menschen, den beteiligten Personen ein besonderes Augenmerk gewidmet wird. Dabei können wir uns auch auf die Tools und Prinzipien anerkannter Vordenker in Sachen Veränderungen abstützen.
Dazu gehört John P. Kotter mit seinen acht Schritten der Organisationsänderung:
1. Ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen
2. Eine Führungskoalition aufbauen
3. Eine Change-Vision entwickeln
4. Die Change-Vision kommunizieren
5. Die Mitarbeitenden zum Handeln befähigen
6. Rasch erste Resultate erzielen (Quick Wins erzeugen)
7. Erreichtes konsolidieren und auf den ersten Resultaten aufbauen
8. Neue Ansätze in der Unternehmenskultur verankern
Mehrere meiner publizierten Beiträge zeigen Ansätze für bestimmte Schritte auf und vertiefen die Antworten.
Eine weitere Quelle ist Kurt Lewin mit seinen drei Phasen des Eiswürfels:
1. Infragestellen der Normen (Auftauen), entspricht dem Aufgeben lieb gewordener Verhaltensweisen und dem Aufbauen von Motivation für Veränderungen. Diese Auflösung wird ermöglicht durch Gruppengespräche, die das Überdenken der Gruppennormen fördern.
2. Anpassen (Ändern), veranlasst die Veränderung, indem die beharrenden Kräfte abgebaut werden, die in der Treue zu den bisherigen Normen zum Ausdruck kommen. Es geht um eine Transitionsphase, in der die neuen Ansätze ausprobiert werden.
3. Verfestigen (Einfrieren). In dieser Phase werden die neuen Verhaltensweisen integriert.
Achtung: die dritte Phase hat sich inzwischen weiterentwickelt: Aufgrund der Geschwindigkeit und der Stetigkeit der Veränderungen kommt es gar nicht mehr zur Verfestigung. Wir sind in ständiger Bewegung und unablässigem Wandel unterworfen. Deshalb ziehen wir für die dritte Phase den Begriff der Agilität bei: 1. Auftauen, 2. Ändern, 3. Agilität.
Unlängst sind im Zusammenhang mit John P. Kotters Schritten und Kurt Lewins Phasen neue Ansätze aufgetaucht, die ein besonderes Schwergewicht auf die Begleitung legen, auch wenn sie ungeschickterweise weiterhin von Change Management sprechen.
Das ADKAR-Modell von Prosci zum Beispiel ist ein Change-Management-Werkzeug, das sich zum Lenken von individuellen und Organisationsveränderungen an Zielen orientiert. Das von Prosci-Gründer Jeff Hiatt formulierte Kurzwort ADKAR steht für die fünf konkreten und fassbaren Ergebnisse, die die Menschen im Hinblick auf eine nachhaltige Veränderung zu erreichen haben:
· Awareness (Bewusstwerdung, Erkenntnis)
· Desire (Wunsch, Verlangen)
· Knowledge (Kenntnis, Wissen)
· Ability (Fähigkeit, Kraft)
· Reinforcement (Festigung, Verankerung)
Bei all diesen Ansätzen wird der Widerstand berücksichtigt: Bei näherem Hinsehen zeigt sich nämlich, dass es bei diesen Widerständen letztlich um Ängste geht. Dazu empfehle ich Ihnen die Lektüre meines Beitrags zum Thema Mut, der in engem Zusammenhang mit dem Begriff der Angst steht. Wenn es um Ängste geht, sind auch Stichwörter wie Komfort- und Lernzone zu bedenken. Wünschen wir Entwicklung, Transformation, Veränderung, müssen wir es wagen, unsere Komfortzone zu verlassen, um etwas Neues zu lernen. Ich gehe in einem der kommenden Beiträge näher auf die Komfortzone ein.
Welche Rolle Sie bei Veränderungen auch einnehmen, Sie werden sehen, dass sie die Abläufe und deren Begleitung im Licht der Begriffe Leadership, Team und Partner reflektieren müssen. Es braucht gute «Chefs» (Leader), gute Mannschaften (Teams) und eine gute Zusammenarbeit (Partner).
Stellen Sie sicher, dass alle dieselbe Sprache sprechen und ein gemeinsames Verständnis entwickeln, damit Sie ihre Teams optimal begleiten können.
Gute Transformation!
Mediator & Rechtsanwalt - Manufaktur für Führung & Mediation
4 JahreIch stimme dem voll zu. Veränderungen sind zu begleiten, weil es darum geht, Anschlussfähigkeit zu den Angst- und Denksystemen der Beteiligten herzustellen. Dazu braucht es Akzeptanz. Die lässt sich nicht durch Planung und Steuerung erreichen. Begleitung braucht Kommunikation und Verständnis, damit jeder Betroffene mit sich ein Commitment schließen kann.
Völlig einverstanden mit Dir, David! Bei jedem Veränderungs- oder Umwandlungsprozess befindet sich der Engpass in der Regel am oberen Ende der Flasche. Entweder wegen mangelnder Kommunikation über die Ziele oder, wie Du sagst, wegen eines Mangels an Klarheit oder Kohärenz innerhalb des Managements. Keine Veränderung kann ohne die Beteiligung und Motivation aller Mitarbeiter stattfinden. Um dies zu erreichen, ist es notwendig zu kommunizieren, zu erklären und zu überzeugen. Andernfalls ist ein Misserfolg garantiert.
Director Business Development Life
4 JahreToller Beitrag David!