Veränderungsintelligenz und Politik

Zeiten des radikalen Wandels erfordern nicht nur von Unternehmen und Bürgern im Land den Ausstieg aus alten Denkmustern, sondern ebenso von Politikern. Die aktuell zu beobachtende Pfadabhängigkeit, das Weiterführen der Erfolgsrezepte der Vergangenheit, gilt es nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik zu überwinden. Und das ist gut so: Denn nun kommen die Politiker in der alltäglichen Realität Ihrer Bürger an. Und ebenso wie die Überlebensprognose für Unternehmen, die sich dem aktuellen Wandel (z.B. ausgelöst durch digitale Transformation) nicht aktiv stellen, nicht sehr positiv ist, droht auch unserem politischen System das fundamentale Scheitern.

 Getreu dem Satz "Bei Ebbe sieht man die Steine" macht die aktuelle politische Krise sichtbar, dass eine zukunftsfähige Lösung nicht in Personen, starren Positionen und Detailfragen zu finden ist, sondern in der kritischen Reflexion überkommener Paradigmen und der Suche nach neuen Antworten für ein sich immer weiter wandelndes Umfeld.

So ist es beispielsweise heute für viele Mitarbeiter und Führungskräfte in Unternehmen zur Normalität geworden, vom Paradigma der Stabilität loszulassen und sich stattdessen immer wieder auf die Suche nach einem neuen dynamischen Gleichgewicht zu machen. Vor dem Hintergrund haben viele Unternehmen bereits das Entscheiden und Handeln unter Unsicherheit als eine wesentliche künftige Kernkompetenz erkannt und akzeptiert. Gleiches sollten in unser dynamischen und komplexen Welt Politiker tun. Statt dessen wird in den aktuellen Diskussionen oft noch an überkommenen Vorstellungen von Stabilität festgehalten bzw. reflexartig das Postulat der Stabilität nach alten Rezepten propagiert. Fragen Sie sich einmal, was Sie in Ihrem Unternehmen als Antwort darauf erhalten würden oder als Antwort geben würden....

 Veränderungsintelligenz ist nicht nur ein Erfolgsrezept für Unternehmen und Bürger, sondern ist aktuell auch von Politikern gefordert - gerade angesichts ihrer gesellschaftlich-gestaltenden Rolle und Vorbildfunktion. Um unser Land glaubwürdig in eine sich radikal wandelnde Zukunft zu führen, sind ebenso radikal neue Lösungsansätze erforderlich. Der Souverän wird diese Randbedingungen auch durch neue Wahlen kaum ändern können.

 Vor diesem Hintergrund scheint beispielsweise eine Minderheitenregierung diverse Vorzüge zu bieten:

  • Sie kann Kompetenzen auf breiterer Basis losgelöst von Positionen nutzen
  • Sie hilft starres Blockdenken im Parlament (und auch in der Bevölkerung) zu überwinden und losgelöst von der Parteizugehörigkeit Ideen und Konzepte offen anzuhören und lösungsorientiert zu diskutieren
  • Sie kann parlamentarische Diskussionen beleben und die Basis dafür bieten, dass sich Abgeordnete und Regierungsvertreter bei Debatten wieder zuhören und in einen echten Dialog treten
  • Sie kann die Limitierung überwinden, dass Entscheidungsmacht und Verantwortung starr bei wenigen Führungskräften liegen, mit den jeweils individuellen Grenzen, und stattdessen Führungsrollen kompetenzbasiert verteilen und somit die Kongruenz von Führungsrollen und Kompetenz themenabhängig herstellen

 Vielleicht kommt dies dem einen oder anderen Leser, der sich bereits mit Agilitätskonzepten auseinandergesetzt hat, vertraut vor...?

Ein weiteres wichtiges learning aus Agilitätskonzepten ist, dass das Paradigma der Erarbeitung und anschliessenden fixierten Ausführung von Plänen immer weniger funktioniert, da Pläne zu schnell von der Realität überholt werden. In unserem dynamischen und komplexen Umfeld daran festzuhalten, wochenlang feste Detailpläne für die nächste Legislaturperiode zu verhandeln und deren Abarbeitung über vier Jahre verbindlich zu vereinbaren, scheint da geradezu absurd, zum Scheitern verurteilt. Viel wichtiger ist in Agilitätskonzepten die Entwicklung einer langfristigen unternehmerischen Perspektive. Übertragen in den politischen Kontext: die Entwicklung einer langfristigen gesellschaftlichen Perspektive für unser Land. Eine solche Perspektive kombiniert mit der Identifikation einer gemeinsamen Wertebasis dienen zur notwendigen Orientierung in einer volatilen Welt. Wo hat dies in den gescheiterten Sondierungsgesprächen statt gefunden? Insofern kritisiert Herr Kubicki zu Recht, dass es versäumt wurde, eine zukunftsorientierte Jamaika-Story zu entwickeln und man sich stattdessen hoffnungslos in Details verloren habe.

Insofern wäre es wünschenswert, wenn sich auch die Politik mutig neuen und flexibleren Denk- und Arbeitsmustern sowie Organisationsformen stellen würde. Die Erfahrungen daraus sollten dann - genauso wie es in agilen Organisationen aktuell erfolgreich praktiziert wird - in regelmäßigen Reflexions- und Lernschleifen aus verschiedenen Perspektiven ausgewertet werden. So könnte auch ein politisches System kontinuierlich weiterentwickelt werden und immer wieder an eine sich ebenso kontinuierlich verändernde Welt anpassen.

Der Vorteil der aktuellen Krise ist, das sie deutlich aufzeigt, dass ein Arbeiten am System, anstatt nur im System, historisch ansteht. Denn ansonsten gilt auch hier: Wer sich nicht wandelt, der wird gewandelt. Ich denke, da gibt es einiges, das Politiker aktuell von ihren Bürgern und Unternehmen im Lande lernen können.

Carsten Freyth

Geschäftsführer (Gérant) Rathscheck France und Leiter (DC) Vertrieb Westeuropa bei Rathscheck Schiefer

7 Jahre

Ja, vollkommen richtig ! Es fällt jedem schwer, sich fernab der gewohnten Denkmuster und seinem „Alltag“ zu bewegen . Dies ist suchend typisch nachvollziehbare menschliche Eigenschaft. Dies kann ber auch befreiend wirken, neue Impulse geben und einen selber weit nach vorne bringen .

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