Vernetzung ist Chefsache: Mit zwei Händen aus der Krise navigieren
Die zusammenhängende Bedeutung von Strategie und Struktur ist seit der 1960er Jahre ein relevanter Bereich in der ökonomischen Forschung und Organisationsgestaltung. Mit zentraler Bedeutung wurden die beiden Bereiche aufgrund der Auseinandersetzung A. D. Chandlers (Stichwort „Structure follows strategy.“), Ansoff und weiteren Modellen des strategischen Managements in einem breiten Gesamtkontext gesetzt.
Mittlerweile wissen wir, dass Struktur und die Planung von Organisationen keineswegs die zweite Amtshandlung nach Vollendung der Strategie sind. Strategieentwicklung ist ein wertebasierter Prozess, welcher eine konzeptuelle Gestaltung oder formale Planung, sowie systematische Analysen oder Führungsvisionen aufweisen kann. Struktur sichert langfristige Stabilität in der Organisation, weist gleichzeitig dennoch eine gewisse Anpassungsfähigkeit auf, um mittels strategischem Wandel auf neue Rahmenbedingungen reagieren zu können. Die Herausforderung im operativen Management ist es, von Zeit zu Zeit die Notwendigkeit wiederkehrender Transformationsprozesse zu erkennen, entsprechend zu vermitteln und zielstrebig zu implementieren, ohne die Organisation in ihrem Kern aufzubrechen.[1]
Die Notwendigkeit und Erfolgsquote wiederkehrender Transformationsprozesse
Wie die Studie „Change-Management Kompass 2020“ der Porsche Consulting GmbH und auch diverse andere Untersuchen zeigen, ist die Erfolgsquote initiierter Transformations- oder Optimierungsprozessen ernüchternd – ca. 75% der Projekte scheitern.[2] Im 21. Jahrhundert ist und bedeutet Change nicht mehr, von einem Zustand A zu einem Zustand B zu navigieren. Entsprechende Wandlungsfähigkeit und starke Führung sind hier die relevanten Kompetenzen, welche Zukunftsfähigkeit gewährleisten. Spätestens seit der Corona Pandemie wissen wir, dass weder für die Umsetzung ausreichend Zeitpuffer und Gestaltungsspielraum von einen in den anderen Zustand existiert, geschweige denn für die Planung, Kommunikation und Abstimmung dieser umzusetzenden Maßnahme.
„Ambidextrie“ ist in dieser Situation ein Schlüsselkonzept. Im Kern bedeutet „Ambidextrie“ die Beidhändigkeit bzw. die Fähigkeit beide Hände gleichermaßen gut einsetzen zu können.
Organisationale Ambidextrie zielt im Detail auf den Trade-Off zwischen Exploration (Erschließen neuer Lösungsräume/Geschäftsmodelle oder Märkte) und Exploitation (Ausbau, Weiterentwicklung und Optimierung des bestehenden Geschäfts/Produktprogramms, Trimmen auf Kosteneffizienz) ab. Mittels unterschiedlichen Formen und Lösungsansätzen versuchen Unternehmen auf dem Weg der Exploration, dem herausfordernden Spannungsfeld vom bestehenden Kerngeschäft ins Unbekannte entgegen zu treten. [3]
Beidhändige Führung in der Praxis
Julia Duwe, Head of R&D Production Platforms bei TRUMPF Werkzeugmaschinen und Ambidextrie-Forscherin, beschreibt die Auswirkungen der digitalen Transformation von Unternehmen auf drei Ebenen: Business, Technologie und Organisation. In einem vergangenen Gastvortrag an der HdM Stuttgart, sowie in ihrem Buch „Beidhändige Führung“ erläutert sie die Theorie und Praxis der „Zerreißprobe“ vieler Unternehmen zwischen dem bereits bestehenden Kerngeschäft und dem zukünftigen Lösungsgeschäft im Umfeld von digitalen Plattformen und Ökosystemen.
Organisationstheoretiker James G. March beschreibt 1991 auf Basis der ersten Erkenntnisse des Organisationsdesigner Robert Duncan die Balance und Relevanz zwischen den Aktivitäten in Gegenwart und Zukunft. Weder Stillstand noch kostenintensive Experimente dürfen vor diesem Hintergrund die Folge sein.[4] (siehe Abb.)
Auf Nachfrage teilte mir Julia Duwe ihr Fazit für Führungskräfte im Innovationsumfeld vor dem Hintergrund der Corona Pandemie nochmals mit:
„Die aktuelle Krise zwingt Unternehmen, beidhändig zu agieren. Führungskräfte müssen jetzt einerseits voraus denken und das Zukunftsszenario in der Post-Corona Phase strategisch vorausplanen.Andererseits gilt es, das bestehende Geschäft inmitten der Krise am Laufen zu halten und bestmöglich voranzutreiben. Die akute Krisensituation zu meistern und zugleich schon die veränderte Zeit danach zu antizipieren, erfordert Beidhändigkeit."
Vernetzung ist Chefsache
Struktur muss Stabilität gewährleisten, strategisch aber anpassungsfähig und wandelbar sein. Wie das Führungskonzept der Ambidextrie ebenfalls aufzeigt, rückt die Kommunikation und der Austausch in eine zentrale Position.[5] In der Anfangsphase einer Krise, wie der Corona Pandemie, bedarf es aus dieser Perspektive top-down und in Wechselwirkung mit den im Unternehmen verbreiteten Werten, Kulturen und Prinzipen strategisch wertvolle und strukturelle Maßnahmen. Um das Unternehmen zielgerichtet durch die Krise zu steuern, muss allerdings losgelöst von komplexen Prozessen und hierarchischen Organisationsformen eine geradlinige Kommunikation und Interaktion auf Augenhöhe stattfinden. Strategie und Struktur bedürfen in der Unternehmensführung einen beidhändigen Ansatz. Etwa in der digitalen Transformation, als auch in Krisensituationen muss eine entsprechende Führungskultur gelebt werden, in welcher strategischer Wandel (Exploitation/Aufbruch ins Unbekannte) mit Stabilität und Sicherheit (Exploration/Orientierung am Bekannten) interaktiv und auf situativer Höhe der Zeit gestaltet wird.
Das Strategische- bzw. Top-Management einer Organisation kann bereits mit kleinen Veränderungen speziell in Zeiten von mobilem Arbeiten und diskontinuierlichen Kurzarbeit-Phasen mit Kommunikation als wichtigstes Führungsinstrument ein einheitliches Verständnis des Austauschs auf Augenhöhe schaffen. Vernetzung ist Chefsache!
[1] Mintzberg, Henry (1979): The Structuring of Organizations, Pearson, Englewood Cliffs
[2] Porsche AG (2020): Studie – Change-Management Kompass 2020, Zuffenhausen, 20.11.2020; Haufe Online (2018): Warum Change-Management in Deutschland (nicht) funktioniert, 25.10.2018
[3] und [4] Duwe, Julia (2020): Beidhändige Führung (2. Auflage), Wiesbaden, Springer Gabler
[5] Duwe, Julia (2018): Führung im Ökosystem, 06.08.2018, Springer Professional