Verwöhnte Mimosen können keine komplexen Probleme lösen.

Verwöhnte Mimosen können keine komplexen Probleme lösen.

Meine These: Die meisten Menschen sind verwöhnte Mimosen geworden. Ihre Fähigkeit, schwierige Probleme zu lösen, ist stark eingeschränkt oder mittlerweile gänzlich abtrainiert. Grund dafür sind die Sozialsysteme (in Bildung, Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung...), in denen Menschen tagtäglich sozialisiert werden. Hier haben wir Menschen in Organisationen - vergleichbar zu einem Treibhaus - vor dem wahren Leben beschützt. In der aktuellen Krise und in den nächsten Jahren könnte uns das zum Verhängnis werden.

Ich werde meine These in drei Schritten begründen und auflösen.


1 Der verwöhnte Mensch - Treibhausexistenzen

Vor einigen Jahren bin ich über meinen Kollegen Heinz Peter Wallner auf dieses hochspannende Thema gestoßen. Er hat in diversen Artikeln und auch in dieser Präsentation Abhandlungen des Philosophen Peter Sloterdijk auf den Kontext Wirtschaft übertragen. Für viele mag diese These wie eine Provokation klingen, aber ich halte sie für überaus schlüssig weil in der Praxis tagtäglich beobachtbar.

"Unsere Erwartungshaltung ist klar: So muss es bleiben. Wenn aber diese Erwartung einmal durchbrochen wird und uns in Alarmbereitschaft versetzt, kommt Stress auf." (Heinz Peter Wallner)

Genau an diesem Punkt sind wir durch die Corona-Krise nun in praktisch allen gesellschaftlichen Teilsystemen angekommen. Am besten klicken Sie sich kurz durch diese Präsentation, dann sollte klar sein, was gemeint ist:

Wir haben in praktisch allen Bereichen unserer Gesellschaft Organisationen geschaffen, die dazu tendieren, sich mit Problemen in der internen Referenz zu beschäftigen (= Treibhäuser). Dies führt dazu, dass die Probleme der externen Referenz (= Umwelt) zumindest teilweise ausgeblendet werden.

Die einzige Lösung kann darin bestehen, dass wir wieder Bewusstsein für die Probleme der externen Referenz entwickeln (= Bedarf im übergeordneten System). Wenn dies gelingt, werden wir schlagartig lebendig und das konstruktive Lösungspotenzial steigt signifikant an.


2 Echte Probleme kann man nicht ignorieren

Ein Problem ist ein Zustand, den man nicht ignorieren kann. Ein Zustand vor dem Schaden. Deshalb kann man sich Probleme (im Unterschied zu Aufgaben) auch nicht aussuchen. Ein echtes Problem MUSS gelöst werden, sonst entsteht Schaden.

So betrachtet gibt es aktuell eine ganze Reihe von zu lösenden Problemen. Wir müssen diese Probleme in unserem Bewusstsein "scharf stellen" und nicht mehr davon ablassen.

Wenn wir die Problemdefinition aus der Systemtheorie ernst nehmen, sollten wir über die aktuelle Corona-Krise froh sein. Aber nur dann, wenn wir sie in diesem Sinne auch als Chance zur Entwicklung erkennen und nutzen. Wir müssen die zu lösenden Probleme in den Fokus nehmen. Immer und immer wieder.

Die Lösung liegt im Erkennen der wahren Probleme.

"Wahrheit ist Produktivkraft." (Gerhard Wohland)


3 Lebendig werden. Probleme lösen. Tag für Tag.

Die moderne Gehirnforschung hat uns gelehrt, dass es zwei zentrale Bedürfnisse gibt, die von Geburt an in uns Menschen angelegt sind. Das Bedürfnis nach ZUGEHÖRIGKEIT und nach ENTFALTUNG.

Genau hier liegt der Schlüssel zur Lösung aller Probleme und Krisen.

  • Wir müssen uns bewusst werden, dass wir die Probleme unserer Zeit nur gemeinsam lösen können - im Kleinen wie auch im Großen.
  • Die Entfaltung der individuellen Talente und kollektiven Potenziale kann nur gelingen, wenn wir uns mit den echten Problemen konfrontieren, diese quasi "scharf stellen" und nicht mehr von ihnen ablassen.

Sowohl Menschen wie auch Organisationen können nur resilient bzw. dynamikrobust werden, wenn sie sich mit (echten) Problemen konfrontieren und ihr Talent bzw. Potenzial nutzen, um diese zu lösen.

Wir brauchen Probleme und Krisen, um unser Talent zur Entfaltung zu bringen. Nur so können wir stark und selbstwirksam werden und unser Leben gestalten.

Speziell Führungskräfte und Entscheidungsträger/innen haben in diesem Zusammenhang nun eine große VERANTWORTUNG. Denn sie sind es, die einerseits als Vorbilder mit einer konstruktiven Grundhaltung voraus gehen sollten und andererseits die Aufmerksamkeit auf die zu lösenden Probleme lenken müssen - immer und immer wieder.

Übrigens sind es nur sehr wenige Probleme, die eine einzelne Organisation aktuell in den Fokus nehmen muss. Ich gehe von max. 3-5 Kernproblemen pro Organisation aus.


Fazit

Der erste Schritt zur Veränderung und Verbesserung ist immer die ERKENNTNIS. Für mich persönlich war die Kombination Treibhausexistenzen <> Probleme vor vielen Jahren eine Erkenntnis, die mein Denken über die Welt und auch meine eigene Verantwortung maßgeblich geprägt hat.

Vielleicht geht's ihnen auch so?


Stefan Hagen, 31.5.2020





Thomas M. Brösamle

Gründer und Unternehmensberater - VertrauensPioniere GmbH - VertrauensPioniere.de

4 Jahre

So einfach und doch so schwer: intrinsisch motivierte Menschen arbeiten exklusiv und gemeinsam an echten Kundenproblemen. Was machen Unternehmen daraus? Mitarbeitende werden konsequent durch Führungsinstrumente demotiviert und durch die etablierten Organisationsstrukturen beschäftigen sich viele Unternehmen hauptsächlich mit sich selbst - dadurch werden sie „marktblind“ und verdummen. Den erwähnten Begriff „Treibhaus“ finde ich in diesem Zusammenhang sehr passend.

Alexander Pauly

starke organisation. inspirierte menschen.

4 Jahre

Sehr, sehr spannend! Danke! „Bewusstsein für die Probleme der externen Referenz“ wird es vermutlich nur bei Relevanz derselben für die interne Referenz geben. Informationen eben, Unterschiede, die Unterschiede machen...

Sascha Müller

Clean and Valuable Data

4 Jahre

Stefan Hagen danke für die Antwort. Natürlich können Sie nichts für mein Misstrauen. Mein Misstrauen basiert auf meinen überwiegend enttäuschenden Erfahrungen mit Menschen die behaupten „wahr“ oder „echt“ vor Substantive stellen. Auf meinen Hinweis, dass Sie kein echtes Problem nennen, antworten Sie: „Insofern liegen die großen Probleme unserer Zeit auf der Hand“ und „Beispiele gibt es zuhauf in allen Teilsystemen“. Ein Beispiel bleiben Sie schuldig. Dann führen Sie noch einen neuen Begriff mit „Scheinproblemen“ ein. Wie unterscheiden sich denn „echte Probleme“ „Probleme“ und „Scheinprobleme“?

Christian Greulich

Head of Competence Center Technical Service Digital

4 Jahre

Viele Menschen neigen dazu die wirklichen Probleme zu ignorieren oder zu leugnen. Schade das es so ist. Man muss sich auch mit unbequemen Dingen auseinandersetzen können um diese zu lösen. Sonst tut das niemand.

Sascha Müller

Clean and Valuable Data

4 Jahre

Schade, dass sie in ihrem Artikel keine der „echten Probleme“ nennen. Mittlerweile werde ich immer misstrauisch wenn jemand von „wahren“, „echten“, „wirklichen“ Wasauchimmer redet. Das ist so ein furchtbar abgenutztes und inhaltsleeres Stilmittel. Zugehörigkeit und Entfaltung - ja, das sind psychologische Bedürfnisse, die man eigentlich in jeder Bedürfnistheorie findet. Die Frage ist, was es zu deren Befriedigung braucht. Das ist erstaunlich wenig. Glück mit den Eltern oder ein guter Therapeut reichen und dann liegt die Bedürfnisbefriedigung in den eigenen Händen. Bezüglich echter Probleme finde ich das Bergsteigen ganz erdend. Da gibt es die Probleme: - Wo bin ich? - Wo kriege ich Essen und Trinken her? - Wie schaffe ich es heute Nacht nicht zu erfrieren? Alles Andere ist dann eigentlich Zugabe.

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