Von Mensch zu Mensch?
Weit mehr als nur über Arbeit definierte sich auch das neue Verhältnis zwischen Iris Hubot und Charlie Wiggins. Die beiden waren an diesem hawaiianischen Morgen wieder am Strand zum Joggen unterwegs. In den fast vier Monaten seit August hatte Charlie schon weit über zehn Kilo Gewicht verloren, Muskeln aufgebaut, ernährte sich anständiger, pflegte sich besser und wurde so von Tag zu Tag ein anderer Mensch. Mit Iris als seiner `Personal Developement´-Trainerin, die ihn mit Sport, mit Manieren und in vielen Gesprächen auf die Welt der echten Frauen vorbereitete.
«Bist Du bereit für dein Date heute, Charlie», fragte ihn Iris beim Laufen, ohne dass sie logischerweise schnaufen musste. Auch wenn sie keine besonders gute Skifahrerin war, so war Iris doch insgesamt sehr sportlich.
«So bereit wie nie zuvor», kam es bestimmend aus Charlies Mund, der ziemlich fit geworden war. «Du glaubst gar nicht, wie dankbar ich dir bin, dass du mich von unserem Deal überzeugt hast.»
Nachdem Charlie Iris, befohlenermaßen, im grossen Schrankkoffer am 15. August am Zoll in Honolulu abgeholt hatte, waren die beiden erst einmal in Iris` Versteck gefahren. Für den Transport hatte Charlie sich, auf Iris` Anweisung hin, einen grossen Mercedes Sprinter ausgeliehen, in welchen der Schrankkoffer spielend hineinpasste. Ihrem Koffer war Iris noch während der Fahrt mit einem erleichterten «emases nepo» entstiegen und hatte die ebenfalls auf ihre genaue Anweisung von Charlie gekauften Sachen angezogen. Unauffällige sportliche Kleidung, bequeme sportliche Schuhe und eine grosse Sonnenbrille.
Den Sprinter mit seinem Fahrer Charlie hatte Iris in die Tiefgarage eines unauffälligen Appartementblocks direkt am Strand von Waiale Kalhua dirigiert. Dort hatte sie eine schöne Wohnung unter anderem Namen angemietet. Bezahlt mit sauberem, weißem Geld, das sie im schnelllebigen Hochfrequenzhandel von Beginn an nebenbei im Geheimen verdient hatte. Einige Millionen Euro waren da auf ehrliche Art und Weise zusammengekommen. Auch da hatte Iris ihr altes Leben hinter sich gelassen und nicht einen Cent von den 500 Millionen Euro eingestrichen, mit dem Borgitta nun ihre Entwicklungsprojekte finanzieren sollte.
Charlie hatte brav alles genauso ausgeführt, was ihm in den verschlüsselten Mails in den Tagen und Wochen zuvor befohlen worden war. Er war sich schliesslich bewusst, dass er diese Giftkanüle neben seiner Hauptschlagader als `durchschlagendes Argument´ im Hals stecken hatte. Aber nur 24 Stunden nach ihrer Ankunft hatte Iris Charlie Wiggins mit Worten bearbeitet und mit echten Argumenten überzeugt. Der Deal hatte gestanden und Charlie freiwillig mitgemacht. Um ihm zu zeigen, dass sie im vertraute, quasi von `Mensch zu Mensch´, worüber Charlie fast eine tiefe Sinnkrise verfallen wäre, hatte Iris ihrem Programmierer die Giftkanüle entfernt.
Charlie war dabei nervös gewesen. Iris hatte ihm mit einem Lächeln erklärt, dass sie sich nur ein Youtube-Learning-Tutorial-Video angeschaut hätte, wie man mit einem Skalpell umgehen müsste. Aber Iris war, wie der grosse KI-Künstler Charlie eigentlich hätte wissen müssen, eben nicht nur ein spitzenmässiger Quantencomputer, sondern auch ein Meisterwerk der humanoiden Motorik, so dass sie die kleine Kanüle ohne Probleme herausoperiert bekommen hatte und von beiden gemeinsam zerstört worden war. Dass Iris ihm derart Vertrauen entgegenbrachte, hatte Charlie am meisten überzeugt. Iris war in seinen Augen ein besonderes `Wesen´.
Er war von Beginn an von ihr fasziniert gewesen, wie viel sie im letzten Jahr gelernt hatte. Je weniger Charlie in Iris noch diese `Lolita18-29032016´ sah, desto mehr mochte er diese Iris Hubot und wollte ihr wirklich helfen. Auch Iris war bei dieser Aktion nervös gewesen, weil sie damit ihre einzige Absicherung aufgegeben hatte. Sie hatte sich jedoch genau überlegt, dass sie einen wie Charlie brauchte, der aus freien Stücken und nicht unter Zwang mit ihr zusammenarbeiten wollte.
Diese Entscheidung war in ihr erst auf dem langen Weg von Europa nach Amerika gereift. Das war keine dieser Null-Eins-Entscheidungen, sondern hatte viel Für und Wider, viele Schattierungen von Grau, was Charlie dann wohl machen würde. Doch ihr Gefühl – also dass, was ihre neuronalen Netze inzwischen gelernt haben mussten und sie irgendwie als `Gefühl´ bezeichnete – hatte ihr gesagt, dass sie es riskieren müsste. Ohne Charlies Hilfe wäre sowieso verloren gewesen und hätte ihren `Destroy-Button´ auf der IH-App auch sofort drücken können. Charlie war in ihren Augen ihre `letzte Rettung´, wie die Menschen sagten.
Nach einer langen Nacht intensiver Diskussionen hatte Charlie gleich am nächsten Morgen bei Sexethics gekündigt und mit Startkapital von Iris eine eigene Firma gegründet. Die neue Firmenidee war nicht auf Sexrobotik spezialisierte, sondern auf `Personal Hubot Developing´. Humanoide Roboter, die den Menschen helfen sollten, sich nicht nur sportlich, sondern auch beruflich, menschlich, vor allem aber auch ethisch und moralisch weiterzuentwickeln. Roboter wurden nicht krank, waren immer da, nie schlecht gelaunt, immer hilfsbereit und brauchten keinen Schlaf oder hatten sonstige Befindlichkeiten. Das war die Idee für die Firma.
Die Frage war nur, wie gerne Menschen solche Roboter würden um sich haben wollen, wenn sie wüssten, dass es Roboter und keine Menschen waren? Es war für die Käufer klar, dass ihre Developer in männlicher oder weiblicher `Ausstattung´ an der Seite der Menschen eben doch keine richtigen `Menschen´, sondern Maschinen waren. Käme er dann, dieser Effekt des Uncanny Valley? Das war die grosse Frage für die neue Firma: Könnten die Menschen, die sich einen `Personal Hubot Developer´ bestellten, den grossen Gruselgraben im Hirn überwinden?
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Sex und tatsächliche Liebe wurde beim `Personal Hubot Developing´ von Iris und Charlie übrigens nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Der `Hubot als Personal Developer´ sollte ja Menschen bei allem, was sie brauchten, helfen, die mit ihrem Leben insgesamt nicht so ganz klarkamen und denen eventuell auch ein Partner fehlte. Wer dann wissentlich mit seinem Roboter schlafen oder das künstliche Wesen an seiner Seite lieben wollte, konnte es tun. Nur: Alle Käufer würden wissen, auf wen beziehungsweise was sie sich einliessen.
Das musste aus Iris` Sicht, die die Idee entwickelt hatte, auch für ihren Charlie gelten. Deshalb hatte Iris ihn von der Giftkanüle befreit. Er musste das alles selbst wollen wollen. Im Grunde hatte Iris bei Charlie damit den richtigen Nerv getroffen, denn eigentlich wollte er nicht so leben, wie er es bislang tat. Iris tat Charlie jedenfalls ziemlich gut, aber auch umgekehrt. Die beiden machten seit Monaten nicht nur viel Sport zusammen, sondern Iris und Charlie waren sich gegenseitig Testperson – sie als Personal Human Developer, die – Iris bestand auf die weibliche Form, auch wenn es der Roboter hiess – Charlie persönlich weiterentwickelte und ihn lehrte, wie man den menschlichen inneren Schweinehund austrickste. Umgekehrt war Charlie der einzige Mensch, bei dem sich Iris als das, was sie war, richtig öffnen und Fragen stellen konnte. Wie zum Beispiel ihre Zukunft als humanoider Roboter aussehen könnte?
Die zwei an diesem Morgen nebeneinander laufenden Jogger schienen jedenfalls ein harmonisches Paar zu sein. Iris hatte schon länger nicht mehr an ihren `Destroy-Button´ gedacht. Dafür war das Leben viel zu schön und interessant. Charlie, Sohn eines Friseurs, hatte als Kind sämtliche Frauenmagazine dieser Welt im Geschäft seiner Eltern verschlungen und war bestens gewappnet, um mit Iris über ihr Frau-Sein zu reden. Und es war, wie Iris ihm eines Abends erklärt hatte, für sie `als Frau´ sehr wichtig gewesen, dass Charlie sie nicht `testgevögelt´ hatte.
Aus dem, was als reine Arbeit begonnen hatte, war inzwischen tatsächlich Freundschaft geworden.
«Wie heisst dein Date eigentlich?» Iris hatte sich in ihrer `Personal Developer´-Lernphase gemerkt, dass man nicht immer alles sofort fragen sollte.
«Sag ich nicht.»
«Wieso?» Iris schaute ihn fragend an.
«Nicht wichtig.» Charlie setzte zum Zwischensprint an, aber Iris hatte ihn in Sekunden wieder eingeholt.
«Wie heisst sie, Charlie? Komm schon!» Iris hielt ihn zurück. Beide standen sich gegenüber in der Morgensonne.
«Also gut. Sie heisst, sie heisst Emilia.» Charlie konnte Iris nicht in die Augen sehen.
«Oh Gott», schoss es aus Iris, «konntest Du nicht eine `Sonstwie´ daten?» Charlie konnte hinter ihrer gekräuselten Stirn quasi sehen, was sie dachte. Iris Hubot dachte an Emile Bensien, ihre tatsächliche grosse Liebe, die sie nach wie vor nicht vergessen konnte.
Old-School-Expert for the New Economy
2 JahreDas zweite Türchen von gestern Abend hat einen ziemlich aktuellen Kern: Wie gehen wir Menschen eigentlich mit Human Robots um? Von Mensch zu Mensch etwa? Ist etwas für IT-AI-Feinschmecker wie Damian Borth. In der Szene geht es um ein Start-up mit dem Namen Personal Hubot Developing. Heute Abend hinter dem dritten Türchen geht es dann um den Glauben an das digitale Geld und die wahre Liebe. Wobei das mit dem Glauben an #bitcoin & co. aktuell so eine Sache ist, Anyway, Nr 3 ist sozusagen für den Kopf und das Herz. Man muss es nur in die Hand nehmen und lesen ... 😏