Von Sinnen zu Sinnieren: Ein quasi poetologischer Querschnitt durch das Reflexionsgefüge der Dichterin Angela Colomei

Von Sinnen zu Sinnieren: Ein quasi poetologischer Querschnitt durch das Reflexionsgefüge der Dichterin Angela Colomei

Wenn jemand was meint, dann tut sich was in seinem Kopf. Dann hegt er einen Gedanken. Dann dämmert es. Dann blitzt es auf, dann bricht es ein. Innerhalb seines Schädels regt sicht ein gewisses Etwas, das man bisweilen als spontane Freisetzung von Ideen, von begrifflich gelebten Ontologien oder ungefähr umrissener Andacht empfindet. Dann werden Bedeutungen zusammengestellt. Dann wird zumutbaren Sinnen nachgejagt: etwa dem Sinn des Selbst oder eben dem Sinn einer feinfühlig verhandelten Textmasse, die am rückblickenden Erwartungshorizont der wundersam aktivierten Dichterdämmerung entschwindet. Im Gedicht von Angela Colomei geht es um Zerlegung von Bedeutung und um die Freiheit der Gedanken, die uns beleben, und die wir gewöhnlich ohne weiteres zu unserer Individualität zaehlen. Es ist eine Fabel des unruhigen Geistes, eine gleichsam episch dargereichte Frage nach der Seinsberechtigung von Zusammenhängen, die der Mensch herstellt, aber auch ein stilisierter Hilfeschrei der Vernunft, des Gemüts, der dem Denkenden entfährt, wenn die gewagte Ur-Tat des Wortes ins Bewusstsein rückt. Im Galopp des flüchtenden Gottes werden die Überbleibsel einer Phänomenologie des Begrifflichen sichtbar, aus der Dichter Welten auflesen - ganz nach ihrem Sinn. Denn nur im Sinn wird die Kluft zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem aufgehoben, damit etwas sei.

Im Sinn
Von Angela Colomei

Es ruht der Mensch sich niemals aus, so sehr er danach lange.

Wenn er seine Stirn auf dem Kissen entfaltet, einfach so,

aus Knochen freimacht wie aus einer Zange,

dann eilt sein Sinn ins Irgendwo.


Denn was er sinnt, das lässt sich nicht verschließen:

weder mit Riegel 

noch durch schwerer Sehnsucht Muss.

Der Sinn ist ach! so breit, niemandem kund,

und lang wie der Fluss,

und ein gar tiefster Spiegel:

genau wie der himmlische Abgrund


Zweckloses Wagnis: Mit Messband, Tau und Zaum

ihn zu umzingeln, zu ermessen, ja zu zügeln nach Belieb

gelingt wohl kaum.

Ein feines Pulver ist das Ersinnte, 

so schwer es auch sei, ob lang oder kurz.

Es entschwindet unwillkürlich im Winde

Des flüchtenden Gottes Galopp sei ein Sieb.

Fern bleibt die Hoffnung nach dem Sturz.

Aus dem Rumänischen von Vasile V. Poenaru

In: Angela Colomei, Myosotis (Gedichte), Semne Verlag Bukarest, 2000, 156 S.

Darin besteht das Verhängnisvolle: die Sinneserfahrungen selbst, liefern nämlich keine Begründungen und Erklärungen. Jedoch kann der Mensch eben nicht ohne BEsinnung sein - der geistigen Ergüsse, welche damit einher gehen. Erkennt dieser nicht, daß die Bildnisse der Sinne und des Geistes, etwas völlig anderes sind, dann geht dieser darin verlustigt und erkennt sein Selbst nicht, welches ihm darin widerspricht.

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