Vorgesetzte auf der Flucht

Vorgesetzte auf der Flucht

„Der Vorgesetzte als Coach“, „der Vorgesetzte als Motivator“, „der Vorgesetzte als Problemlöser“ – die Liste wächst und ich kann es bald nicht mehr hören. Wir wärs denn mit dem Vorgesetzten als Schornsteinfeger? Als Dickdarm? Als Stossdämpfer? Als Kompass? Als nährende Ur-Mutter? Wieso sollen Vorgesetzte eigentlich dauernd etwas anderes sein als Vorgesetzte? Was ist eigentlich los? Ist Vorgesetzter sein etwas Anrüchiges oder nicht gut genug?

Der Vorgesetzte als Coach hat besonders Konjunktur. Vieles mag gut und richtig sein, was unter dieser Überschrift vertreten wird. Aber das Richtige meinen genügt nicht im professionellen Kontext. Eines der Probleme ist die endlose Verwässerung des Coaching-Begriffes, zusätzlich begünstigt durch den immer noch reichlich vorhandenen Wildwuchs in diesem Berufsfeld. Coaching im eigentlichen Sinn aber ist ein sehr spezifisches Setting.

Die Beziehungsqualität zwischen einem Coach und seinen Klienten hat in mindestens zwei Dimensionen eine Besonderheit: Es entsteht eine grosse Nähe im humanistischen, manchmal sogar spirituellen Sinn, aber der Klient ist nicht Teil des sozialen Umfeldes des Coaches; es sind keine privaten Aktien im Spiel. Und: Der Coach führt den Prozess, hat aber nichts zu bestimmen und nichts zu bewerten: der Klient bleibt uneingeschränkt frei in seinen Entscheidungen, es sind also seitens Coach auch keine inhaltlichen Aktien im Spiel.

Komischerweise scheinen diese Besonderheiten nur in einer dieser Dimensionen unmittelbar einleuchtend zu sein. Oder finden Sie das Konzept „Als Ehemann bin ich Coach“ attraktiv? Akute Ohrfeigengefahr, wenn Sie versuchen, sich in Ihrer Ehe als Coach zu definieren. Oder umgekehrt: Sie vertrauen Ihrem Gesprächspartner beim Cüpli-Apero mit einem warmen Lächeln in Richtung Gattin an: „meine Frau ist mein bester Coach!“ Wird Ihr Gegenüber sofort überzeugt sein, dass bei Ihnen zu Hause richtig die Leidenschaft abgeht? Wird Ihre Frau denken: „Gott, ist das sexy und romantisch“? Nein und nein.

In der Business-Dimension aber hört man nicht auf, vom „Vorgesetzten als Coach“ zu reden. Sie können sich als Vorgesetzter sehen, wie Sie wollen, aber ein für Allemal: Coach ist nicht drin. ES – GEHT – NICHT! Schminken Sie es sich ab. Wird nicht funktionieren. Einfach vergessen. Basta. Vorgesetzte, die rumlaufen und verkünden „ich sehe mich eher als Coach“, sorgen bloss für Verwirrung: bei sich selbst, weil sie tendenziell die Auseinandersetzung mit ihrer Macht vermeiden, die sie nun mal haben, und dadurch auch keinen adäquaten Umgang mit dieser Macht lernen. Bei ihren Mitarbeitenden, die lieber echte Vorgesetzte haben als verkappte und sich fragen, was sie von solchen Chefs zu erwarten haben. Mit guter Wahrscheinlichkeit fragen sie sich auch, ob ihr Chef allen Ernstes die Erwartung hat, sie würden sich ihm in der gleichen Weise anvertrauen wie jemandem, der ausserhalb dieses Machtgefüges steht.

Klar ist die Geschichte mit dem autoritären Chef, der alles besser wissen und können muss, vorbei. Sie ist aber so offensichtlich vorbei, dass man das allmählich nicht mehr bemühen muss. Es bleibt jedoch eine hierarchische Beziehung, die Vorgesetztenposition ist mit formaler Macht ausgestattet, und Vorgesetzte kommen nicht darum herum, sich mit ihr auseinanderzusetzen und einen Umgang mit ihr zu finden, der dazu führt, dass ihre Mitarbeitenden diese Macht auch als legitimiert empfinden.

Im Ratgeber-Dschungel gibt es vielleicht tatsächlich noch eine Lücke: „Der Vorgesetzte als Vorgesetzter“ müsste vielleicht noch geschrieben werden, oder „Schluss mit der Glattschmiererei!“. Es ist ja auch viel zu schade, solche Themen glattzuschmieren, denn zu viele Leute verleugnen ihre Macht oder auch ihre Kompetenz oder wagen nicht, sich mit ihr zu zeigen. Das ist aber gefragt, denn mit einer verantwortungs-vollen und integren Haltung kann man damit viel Gutes tun. Also getrauen Sie sich zu führen.

www.tiborkoromzay.ch

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