Wachsende Staatsschulden, größere Rentenlöcher – wen interessiert’s?
Kluge Köpfe wussten schon immer, worin der Haken beim Schuldenmachen besteht: darin, dass man das Geld irgendwann zurückzahlen muss. Das gilt natürlich auch für den Staat. Und da kommt in nicht allzu ferner Zeit einiges auf uns zu. Nicht nur verschlingt das Rentensystem bereits heute massiv Mittel aus dem Bundeshaushalt – ab 2028 beginnt zudem die fällige Rückzahlung der durch Pandemie und Zeitenwende angehäuften zusätzlichen Schulden. Das wird den ohnehin begrenzten Handlungs- und Gestaltungsspielraum von Bund und Ländern nochmals stärker einengen. Aber Hand aufs Herz: Wer kennt die genauen Zahlen und ist sich der kommenden, für jeden spürbaren Einschränkungen bewusst?
Ohne massive und stetig steigende Unterstützung aus dem Bundeshaushalt ist das umlagefinanzierte Rentensystem in seiner heutigen Ausgestaltung nicht überlebensfähig. Rund 112 Milliarden Euro wanderten 2023 aus dem Haushalt von Bundessozialminister Heil ins Rentensystem, hinzu kamen fast 9 Milliarden Euro für die Grundsicherung. Das war ein gutes Viertel des gesamten Bundeshaushalts (ohne Nebenhaushalte). Allein diese Relation verdeutlicht, wie sehr der Handlungsspielraum der Politik schon heute durch den lebenserhaltenden Transfer in die gesetzliche Rentenkasse eingeschränkt wird.
Das jüngst beschlossene Rentenpaket II, durch das das Niveau der gesetzlichen Rente bei 48 Prozent gesichert werden soll, wird den Finanzierungsbedarf sogar noch einmal vergrößern. Daran wird auch das geplante sogenannte Generationenkapital nichts ändern, also der Aufbau eines Kapitalstocks in Form einer Stiftung, deren Erträge der Rentenkasse zufließen sollen. So richtig es ist, endlich den Kapitalmarkt in die Rentenpolitik einzubeziehen, so klar ist auch, dass dieser Kapitalstock mit Blick auf das Volumen und die lange Aufbauphase nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein kann.
Als wären die stark gestiegene Zinslast und der beginnende Renteneintritt der Babyboomer-Generation nicht genug, wird der Bund ab dem Jahr 2028 nun auch noch mit der Rückzahlung der zusätzlichen Schulden beginnen müssen, die während der Corona-Pandemie aufgenommen wurden. Rund drei Jahre später stehen dann die Tilgungen der Mittel für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) und für den zusätzlichen 100-Milliarden-Euro-Etat der Bundeswehr an. Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL hat die Mehrbelastungen aus diesen Rückzahlungen auf rund 21 Milliarden Euro – pro Jahr! – beziffert, die Zinsen noch gar nicht eingerechnet.
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Überfälliger Klartext in der Rentenpolitik
Für die Sozialsysteme haben diese Entwicklungen weitreichende Folgen. Will der Staat die gesetzlichen Vorgaben zur Ausgabenbegrenzung („Schuldenbremse“) einhalten, wird es ihm absehbar immer schwerer fallen, die wachsenden Löcher in der gesetzlichen Rentenversicherung in heutiger Form zu stopfen. Doch kaum einer in der Politik spricht dies bisher offen aus. Dabei ist seit langem offensichtlich, dass das deutsche Rentensystem de facto immer mehr per Steuerumlage finanziert wird – mit Geld, das in anderen Bereichen wie Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung dringend gebraucht wird. Anders als immer mehr Sozialtransfers würden die Gelder dort auch die Grundlage für eine Aufwertung des Standorts Deutschland als Basis für dringend benötigtes Wirtschaftswachstum schaffen.
Mehr finanzielle Bildung dringend geboten
Jede Veränderung beginnt bekanntlich mit der Einsicht, dass Handlungsbedarf besteht. Dafür ist vor allem eines erforderlich: Interesse an den oben geschilderten Zusammenhängen bei wesentlich mehr Bürgern und Bürgerinnen zu wecken. Und dies beginnt mit finanzieller Bildung – bereits in den Schulen! Die im Frühjahr 2023 von der Bundesregierung kommunizierte „Initiative Finanzielle Bildung“ war insofern überfällig. Hoffentlich wird sie schnell mit (weiterem) Leben gefüllt. Aber jetzt nur nach der Politik zu rufen, wäre wohlfeil. Zu einem selbstbestimmten Leben gehört ein gewisses Maß an Eigenverantwortung, auch in Sachen Finanzbildung. Die Grundlage für ein Interesse an finanziellen Themen wird für mich bei Gesprächen in der Familie oder mit Freunden gelegt.
Interessierte Bürgerinnen und Bürger werden ihre eigenen Schlüsse ziehen und selbst handeln – nicht nur mit Blick auf ihre individuelle ergänzende Altersvorsorge. Dann könnten wenig populäre Vorschläge wie die immer wieder geforderte Anhebung der Lebensarbeitszeit – zusammen mit anderen Stellschrauben im Rentensystem – doch noch mehrheitsfähig werden. Zugleich würden sich die Erbauer von Luftschlössern in der Haushalts- und Rentenpolitik bei der Fortsetzung ihres „Handwerks“ gegenüber jüngeren Generationen deutlich schwerer tun.
Dozent, Trainer, Sparringspartner für Digitalisierung und Costing, Schriftsteller, Ruheständler
7 MonateDiejenigen, die eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit fordern, sind dieselben, die Menschen 50+ bei der Besetzung von offenen Stellen trotz Fachkräftemangels nicht einmal in Erwägung ziehen. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters würde in der Folge also nicht zu mehr Arbeit, sondern zur Verlängerung von Transferleistungen sowie niedrigeren Renten führen – was ebenfalls zu zu weiteren Transferleistungen führt. Und somit sowohl Sozialsystem als auch Gesellschaft weiter, länger und mehr belasten. Heute gehen viele – gezwungenermaßen – Anfang 60 in Altersrente. Eine Verpflichtung, bis 70 zu arbeiten, bedeutet hier schlicht 7-10 Jahre mehr Bezug von Sozialhilfe. Ich sehe da keinerlei Ersparnis für die Sozialsysteme. Und keinen Impuls für Konsum. Simple as that. Anstelle von stetigen Forderungen in akademischer Flughöhe wünsche ich mir konkrete, realistische und gesellschaftsverträgliche Lösungsansätze. Und deren Umsetzung. Geld ist nicht das Problem. Davon ist mehr als genug in Deutschland vorhanden. Es befindet sich nur nicht dort, wo es dringend benötigt wird. Wen interessierts?
Leiter Projektfinanzierung bei DI Deutschland.Immobilien AG
7 MonateDie zentrale Aussage steckt in der Mitte des Textes: wer (frühzeitig) finanzielle Zusammenhänge versteht, ist in der Lage qualifizierte Fragen an die Politik zu stellen: lasst uns dies schon an den Schulen verbessern
Sales Manager B2B bei PAUL Tech AG
7 MonateGenau: wen interessiert's? Der Großteil der Deutschen scheint nach wie vor zu denken, dass es die Politik schon irgendwie richten wird und man sich auf den einst von Mutti Merkel (wenn auch in einem anderen Kontext) geäußerten Satz verlässt: "Wir schaffen das!" Hm, scheint ein angewandter Fall von Realitätsverweigerung zu sein...