Warum die Diskussion zu Umlageverfahren vs. Kapitaldeckung am Rentenproblem vorbeigeht (zumindest teilweise)
Lieber Hauke Petersen,
ich danke Ihnen für Ihren Kommentar, es war mir eine Freude diesen zu lesen! Hier sind meine Antworten und vorangestellt Ihre jeweiligen Kommentare, um die Übersicht zu behalten. Ich habe meine Antworten als eigenen Artikel verfasst statt direkt in der Kommentarspalte zu antworten, weil mein Text zu lang wurde. Ich hoffe, damit sind Sie einverstanden.
Herzliche Grüße,
Christoph Becker
Sie:
"Die Lösung wird dort wahrscheinlich sein, dass die Finanzindustrie zusätzliche Altersvorsorgeprodukte und Varianten anbietet, die vermutlich durchaus margenträchtig sein werden." Wenn es denn so wäre, kann ich nicht nachvollziehen. Denn wer sagt denn, dass eine margenstarke Produktwelt für die Sparer nicht nachhaltig sein kann?! Eine Billigheimer-Welt soll diese also besser erfüllen?
Meine Antwort:
Wenn jemand ein Produkt anbietet, das ein wichtiges Problem eines Kunden löst, dann soll der Anbieter dafür auch ordentlich entlohnt werden. Auf diese Weise haben alle etwas davon: Der Anbieter freut sich, dass sich sein Einsatz lohnt, der Kunde freut sich, dass sein Problem gelöst ist. Mein Punkt ist ein anderer: Ich denke nicht, dass Kapitalgedeckte Altersvorsorge-Produkte per se das Demographie-bedingte Rentenproblem lösen können. Ebenso wenig wie das Umlageverfahren.
Damit sind wir bei einem weiteren Ihrer Kommentare.
Sie: Warum soll die Abbildung der Versorgungslösung im Finanzsystem zweitrangig sein?
Meine Antwort: Weil die Versorgungslösung (Kapitaldeckung, Umlageverfahren) lediglich die Verteilung der in der Zukunft produzierten Güter organisiert. Einerseits die Verteilung unter den Rentnern selbst, andererseits die Verteilung zwischen Rentnern und arbeitender Bevölkerung. Die erste Frage vor der Verteilung der real produzierten Güter ist aber, ob die Realwirtschaft von diesen Gütern überhaupt genug bereitstellen kann. Dieser Aspekt ist unabhängig davon, wie viel Nachfrage die Rentner aufgrund ihres Einkommens entfalten. Wenn wir als Land es nicht schaffen, genug Güter zu produzieren, dann ist die soziale Bombe bereits gelegt. Kein Transfermechanismus (Kapitalmarkt oder Umlage) kann den Gütermangel lösen.
Wenn Politik und Wirtschaft es mit den künftigen Rentnern also gut meinen, dann ist die allererste Frage: Wie heben oder halten wir die Produktivitätsentwicklung auf einem Niveau, das künftig weniger arbeitenden Menschen erlaubt, genug für alle im Land zu produzieren? Aber ausgerechnet darüber lese ich in der Rentendebatte kaum etwas.
Sie: Warum soll es ausreichend sein, sich nur um ein ausreichendes Produktivitätswachstum zu kümmern und nicht um alle anderen wichtigen Parameter?
Meine Antwort: Ausreichende Produktivität ist die Voraussetzung für den künftigen sozialen Frieden. Wenn die Produktivität gesichert ist, dann - und erst dann - wird die Diskussion über Kapitaldeckung in all ihren Varianten im Vergleich zum Umlageverfahren wichtig. Ansonsten geht es um die unerbauliche Frage, wie der Mangel verteilt wird.
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Lassen Sie uns diese Diskussion zunächst aus individueller Sicht führen - dann ist es ein Investmentproblem - und anschließend aus gesellschaftlicher Sicht - dann ist es ein Verteilungsschlüssel für die produzierten Güter.
So könnte man die Investmentalternativen darstellen:
Umlageverfahren: Staatlich organisiert, wenig Gebühren, Rendite orientiert an Lohnentwicklung und deswegen mit überschaubarem Aufwand einschätzbar.
Kapitaldeckung: Privat organisiert, stark variierende Gebühren, Rendite potentiell höher, dafür höheres Risiko.
Das Umlageverfahren kommt allen Menschen mit wenig Risikotragfähigkeit entgegen. Es ist einfach, überschaubar, und daher günstig hinsichtlich der Gebühren. Es überlebt sogar Weltkriege. Die Rendite hängt aber an der Lohnentwicklung. Wenn die Gewerkschaften schwach sind, dann werden die Rentner per Umlageverfahren nicht in vollem Umfang am künftigen Produktivitätswachstum teilhaben. Und das könnte sich als fatal herausstellen: Altersarmut droht.
Die Kapitaldeckung kommt zunächst allen Menschen entgegen, die dem staatlichen Umlageverfahren die verlässliche Bereitstellung einer auskömmlichen Rente langfristig nicht zutrauen. Es ist nicht schön, wenn ein beachtlicher Teil der Bevölkerung aufgrund dieser und jener Umstände zu diesem Schluss kommt, aber es ist wohl eine soziale Tatsache.
Für diejenigen Menschen ist die Kapitaldeckung der Ausweg. Und für die Rentner im Umlageverfahren ist die Kapitaldeckung wegen des damit verbundenen Aktienbesitzes eine Chance, doch noch stärker am Produktivitätswachstum teilzuhaben. Die Schwäche der Gewerkschaften könnte die Kapitaldeckung also notwendig machen. Aufgrund mancher Gebührenmodelle wäre das aber ein teurer Umweg, und ein riskanter dazu.
Einzelfälle zu massiven Problemen der Kapital-gedeckten Rente gibt es zuhauf. In diesem Beitrag greife ich Probleme in den Niederlanden auf. Aber gravierende Probleme gibt es z.B. auch in UK:
Jenseits solcher Berichte finde ich auch den systematischen Vergleich des Investmenterfolgs von Pensionsfonds ernüchternd. Schaue Sie Tabelle 1.1 in dieser Analyse der OECD aus dem Jahr 2023. Die 20-Jahres-Rendite schwankt inflationsbereinigt zwischen minus(!) 1.9% und plus 4.8%. Da ist das Umlageverfahren mit einer nicht-inflationsbereinigten Rendite zwischen 2% und 4% durchaus konkurrenzfähig.
Aus gesellschaftlicher Sicht könnte man vielleicht sagen: Umlageverfahren und Kapitaldeckung sind vor allem ein Verteilungsschlüssel für den real erwirtschafteten Wohlstand. Dabei hat die Kapitaldeckung den Vorteil, stärker an der Produktivität zu partizipieren, die Produktivität wird also bei der Güterverteilung zwischen arbeitender Bevölkerung und Rentnern stärker berücksichtigt. Aber der schwankende Investmenterfolg kann die Verteilung der Güter mit einem Glücksradeffekt versehen. Entwickelt sich die Börse über hinreichend lange Zeit schlecht, dann leiden die künftigen Renter. Entwickelt sich die Börse über alle Maßen gut, leidet die künftige arbeitende Bevölkerung, weil die Rentner ihnen einen übergroßen Teil der produzierten Güter wegkaufen oder die Güterpreise treiben.
Das Umlageverfahren ist bei diesem Verteilungs- und Gerechtigkeitsaspekt also grundsätzlich besser planbar und demokratisch legitimierbar - wenn Sie den staatlichen Institutionen bzw. dem staatlichen Umlageverfahren dieses Großprojekt denn zutrauen.