Warum wir dringend einen Plan B für ein Postwachstum brauchen
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kennt die Entwicklung der Menschheit und ihres Wirtschaftslebens nur eine Richtung – Wachstum. Allen voran die Erste Welt hat davon profitiert. Zuletzt blühten auch einige asiatische Nationen dadurch auf – insbesondere China, das heute die größte Volkswirtschaft der Welt markiert. Dazukommen Schwellenländer wie Indien, Russland oder die Türkei und auch in vielen Teilen der Dritten Welt sind größere Weiterentwicklungen zu beobachten. Doch die Aufwärtsbewegung geriet zuletzt immer mehr ins Stocken und bekommt mit der Corona-Krise einen weiteren Dämpfer. Wie kann es weitergehen?
Der Preis des Wachstums
Vordergründig profitieren alle vom Wachstum durch ebenso wachsendes Einkommen, mehr Vermögen und mehr Möglichkeiten. Doch schon ein etwas genauerer Blick zeigt, dass die Erträge des Wachstums nicht zu gleichen Maßen bei allen ankommen. Ganz im Gegenteil verschärft sich die Kluft zwischen Reichen und dem Durchschnitt der Bevölkerungen und besonders den finanzschwächeren Bevölkerungsschichten. Das schafft eine zunehmende soziale und auch politische Instabilität. An anderer Stelle ist der Preis des Wachstums noch größer: bei der Umwelt. Jahrzehntelanges Streben nach immer mehr hat Klima und Umwelt an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Ein menschengemachter, vor allem der Wirtschaft geschuldeter Klimawandel droht, den Planeten durch Umweltverschmutzung und Ressourcenverbrauch in eine lebensfeindliche Umgebung zu verwandeln. Für ein behutsames Umsteuern ist es längst zu spät. Es braucht praktisch eine Vollbremsung und einen nachhaltigen Neustart, um diese katastrophale Entwicklung aufzuhalten.
Zuletzt wurde es außerdem laufend schwieriger, überhaupt noch Wachstum zu erzeugen. Es gibt zumeist nur noch kleinen Produktivitätszuwachs und echte Innovationen sind selten. Über verschiedene Stellschrauben versucht die Politik laufend immer wieder gegenzusteuern: nur zaghafte Regulierungen zugunsten der Umwelt oder ein Aufweichen sozialer Standards sollen der Wirtschaft helfen. Im Hintergrund hat sich zudem ein gigantischer globaler Schuldenberg aufgebaut, um weiteren Wachstum zu ermöglichen. Insgesamt ist so ein fragiles Kartenhaus entstanden, das keine langfristige Perspektive mehr besitzt. Während Politik und Unternehmen überwiegend dennoch am altbekannten Weg festhalten wollen, machen sich andere Gedanken über Alternativen. Zuletzt haben sich mehr als 200 europäische Wissenschaftler mit einer Welt des Postwachstums beschäftigt und ein mögliches besseres Szenario für die Europäische Union formuliert.
Gedanken für eine Zukunft
Sie setzen dabei zuallererst an der wichtigsten Stelle an – der Umwelt. Weniger Ressourcenverbrauch und CO2-Steuern, wo klimaschädliches Wirtschaften unvermeidlich ist, sind ihre zentralen Forderungen. Die Einnahmen wollen sie zum Beispiel mit einem Grundeinkommen direkt in eine Nivellierung sozialer Ungleichheiten investieren. Diese Angleichung sollen am anderen Ende Maximaleinkommen unterstützen. Neue Technologien sehen die Wissenschaftler als wichtigen Motor, der einerseits ein umweltfreundlicheres Wirtschaften erlaubt, aber andererseits auch andere Arbeitsbedingungen und -möglichkeiten mit einer insgesamt gesicherteren, höheren Lebensqualität schaffen kann. Diese und andere Forderungen oder Formulierungen von Denkanstößen entstanden vor wenigen Jahren 2018. Sie haben fundamental bis heute nichts bewegt. Aber sie stehen immer noch im Raum als Vorschläge für den Zeitpunkt, wo ein grundsätzlicher Kurswechsel notwendig wird. Die Corona-Krise könnte dieser Zeitpunkt sein, die gefährliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte entscheiden zu verändern und neue Wege in die Welt von morgen und die Welt eines Postwachstums zu gehen.