Welthandel: Vom zivilisierten Umgang zur „Kanonenbootpolitik"?

Der Ausdruck „Kanonenbootpolitik" bezeichnet das Vorgehen von Seemächten gegenüber anderen Staaten zur Durchsetzung eigener Interessen mittels eines oder mehrerer Kriegsschiffe. Sie war ein gängiges Mittel der Machtdemonstration, vor allem zur Blütezeit des Imperialismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die Anfangsjahre des 20. Jahrhunderts vor dem Ersten Weltkrieg. Bestimmte politische Ziele sollen durch eine Demonstration militärischer Macht erreicht werden. Dieser eigentlich historische Begriff tauchte dieser Tage in verschiedenen deutschen Pressekommentaren wieder auf, allerdings ging es hier nicht mehr um Schiffe, sondern um die massive und einseitige Androhung neuer Handelshürden durch den US-Präsidenten, falls bestimmte Forderungen nicht erfüllt würden. „Das ist eine Taktik, die im Militärischen bekannt ist als Kanonenbootpolitik, benannt nach dem rüden Vorgehen der imperialistischen Mächte im 19. Jahrhundert" – heißt es dazu etwa in einem Kommentar der renommierten deutschen Tageszeitung „Die Welt".

Drohungen des US-Präsidenten, durch substanzielle protektionistische Maßnahmen dem Handelsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten entgegenzuwirken, stehen bereits seit längerer Zeit im Raum. Nicht ohne konkreten Anlass hat Chinas Ministerpräsident Li Keqiang zum Abschluss des Nationalen Volkskongresses in diesem Monat ausgeführt: Man habe kein Interesse an einem Handelskrieg, denn es gebe nur Verlierer. Und unter dem Schatten der aktuellen von Präsident Trump eingeleiteten Schritte erklärte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron: "Wir sprechen prinzipiell über alles mit einem Land, das WTO-Regeln akzeptiert. Aber wir reden über nichts, wenn man uns die Pistole an die Stirn setzt." Wobei allerdings, dies sei hier auch hervorgehoben, die bisherige Haltung der Europäer bzw. der Europäischen Union insgesamt doch recht zweifelhaft ist. Nachdem Präsident Trump als erste Maßnahme die Erhebung von Strafzöllen von 25% auf Stahl- und 10% auf Aluminiumimporte angekündigt hatte, fiel EU-Unterhändlern einschließlich der Bundeskanzlerin nichts Besseres ein, als devot die USA darum zu bitten, hiervon ausgenommen zu werden. Auch zu diesem Verhalten ein Zitat aus einem Kommentar der bereits zitierten Tageszeitung „Die Welt": „Der Schulhofprügler im Weißen Haus, so das skandalös zynische Kalkül in Berlin wie Brüssel, soll doch ruhig andere Kinder malträtieren, solange man nur selbst verschont bleibt." Dieses Vorgehen hat zwar bezüglich der vorstehend genannten Strafzölle funktioniert, aber nur für relativ kurze Zeit befristet. Spätestens im Mai werden EU und Mitgliedstaaten von den USA hierfür die Rechnung präsentiert bekommen, in Medien wurde in diesem Zusammenhang von einer „bevorstehenden Erpressung" zu Lasten der EU gesprochen.

Aber Aluminium und Stahl sind ja nur der Auftakt. Vergangene Woche hat der US-Präsident vor laufenden Kameras eine Anordnung aufgrund des noch aus Zeiten des kalten Krieges stammenden Art. 301 „Trade Act" unterzeichnet, wonach im Verlauf der kommenden Wochen Strafzölle für rund 1300 Importprodukte aus China in einer Liste veröffentlicht werden sollen. Präsident Trump sprach in diesem Zusammenhang von einem Gesamtvolumen von 60 Mrd. US$. Es wurde nicht der im Welthandel vorgesehene Weg eines Antrages an die WTO gewählt, wohl aus der Überlegung heraus, weil eine Rechtsgrundlage für eine reguläre Einführung derartiger Zölle sich kaum hätte finden lassen. Überhaupt nutzte der US-Präsident seinen öffentlichkeitswirksamen Auftritt bei der Unterzeichnung seines Dekrets dazu, sich deutlich über die WTO zu beklagen: Dort behandele man die USA höchst unfair. In einem Kommentar in dem deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" wurde in diesem Zusammenhang ein böser Verdacht laut: Die Strafzoll-Initiative sei Teil eines systematischen Angriffs der USA auf das internationale Handelssystem - und diese Interpretation erscheine zunehmend als die plausiblere. So weigerten sich die USA seit mehr als einem Jahr, frei werdende Stellen im Revisionsgremium der WTO neu zu besetzen. Sollte der Stillstand nicht schnellstens behoben werden, würde das Gremium von sieben auf drei Mitglieder schrumpfen und seine Aufgaben nicht mehr vollständig erfüllen können. Dem Streitbeilegungsmechanismus der WTO drohe damit schon bald die Handlungsunfähigkeit mit dem Ergebnis, dass Verfahren gegen die USA wegen der aktuellen Strafzölle kaum noch durchführbar wären.

Aber auch jenseits dieses Affronts gegenüber allen Regularien einer zivilisierten Weltwirtschaftsordnung sind Trumps Aktionen – gelinde gesagt – höchst fragwürdig. Zum einen: Nach Meinung wirtschaftspolitischer Experten liegt eine wesentliche Ursache der US-Handelsbilanzdefizite in der hohen Ausgabenfreudigkeit beim Binnenkonsum – etwas, was sich durch die von Trump auf den Weg gebrachten Steuerermäßigungen noch verstärken dürfte. Und das große Unternehmenssterben in den USA in der Rezession 2007 – 2009 hatte zudem einen nachhaltigen Rückgang der Binnenproduktion zur Folge, der durch Importe kompensiert werden musste. Zum anderen: Die USA sind auf einen freien Wirtschaftsaustausch mit China essentiell angewiesen. Seit dem WTO-Beitritt Chinas vor siebzehn Jahren nahmen die amerikanischen Exporte nach China um 580% zu; bei den Ausfuhren in den Rest der Welt belief sich der Zuwachs auf 100%. Die Ausfuhren der US-Landwirtschaft nach China erhöhten sich sogar in diesem Zeitraum um 1000%. Oder: China entwickelt sich zum weltweit größten Luftfahrt-Markt. Wollen die USA riskieren, dass ihr Flugzeugbauer Boeing ausgeschlossen bleibt? Oder: Will Starbuck's von dem rasch expandierenden Kaffee-Verbrauchsmarkt in China ausgeschlossen sein? Oder: Ist dem US-Präsidenten bewusst, dass General Motors in China mehr Autos verkauft als in den USA? Oder ein letztes: Wie werden sich die Strafzölle auf die Konsumentenpreise für solche US-Produkte auswirken, bei deren Herstellung man auf chinesische Zulieferer angewiesen ist? Mit welcher Sorge auch die US-Wirtschaft auf den losgetretenen Handelskonflikt blickt, machte sich umgehend an den Börsen bemerkbar: Sie schlossen vergangenen Donnerstag mit deutlichen Kursverlusten: Der Dow Jones sank um 2,9 Prozent auf 23 957 Punkte und fiel damit erstmals seit sechs Wochen wieder unter die Marke von 24 000.

China hat in den zurückliegenden Wochen immer wieder das Gespräch gesucht, um einvernehmliche Wege zu finden. Aber man hat bei der US-Administration „auf Granit gebissen". Und die Zeiten, in denen China von imperialen Mächten Verhaltensweisen aufgezwungen wurden, sind lange vorbei. Wer will es China deshalb verdenken, dass man an Gegenmaßnahmen denkt, an eine „Reziprozität", sicher in einer anderen Weise, als der Terminus durch den US-Präsidenten so gerne gebraucht wird. Und China wird, so nehme ich einmal an, dabei sehr durchdacht handeln: Auf Sektoren, die klassische Trump-Wähler spüren werden und damit auf Dauer auch Präsident Trump selber.

Autor: Dr. Michael Borchmann

Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen),

Beirat der CIIPA des Handelsministeriums der VR China

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