Wenn der Sturm in dir ruht
Aria, ein Kranich mit schneeweißen Federn, war bekannt für seine wilden, unkontrollierten Flüge. Seine Flügel stürmten durch den Wald, rissen Blätter von den Ästen, wirbelten Staub auf und ließen Nester zerfallen. Die anderen Tiere hielten Abstand. Sie flüsterten hinter vorgehaltenen Pfoten: „Er bringt Unruhe, er versteht nicht, wie sehr er uns verletzt."
Doch Aria war nicht blind für die Reaktionen um ihn herum. Tief in seinem Inneren fühlte er eine schwere Unruhe. Ein Sturm, der nie zur Ruhe kam, trieb ihn an. Er flog nicht, weil er wollte, sondern weil er musste – als würde der Wind in seinem Inneren ihn antreiben.
Eines Abends, als der Himmel still und der Wald in sanftes Zwielicht getaucht war, setzte sich der alte Uhu zu Aria. „Weißt du, warum die anderen Tiere dich meiden?" fragte er mit ruhiger Stimme.
Aria nickte traurig. „Weil ich zu laut bin, zu ungestüm. Aber ich kann nicht anders. Es fühlt sich an, als ob ein Sturm in mir tobt, und meine Flügel tragen ihn hinaus."
Der Uhu lächelte milde. „Aria, dein Sturm kommt tatsächlich nicht von außen. Er wohnt in dir – geboren aus deiner Unruhe, deinen Ängsten, vielleicht sogar aus Verletzungen, die du längst vergessen glaubst. Wenn du ihn nicht verstehst, wird er weiter wüten. Doch wenn du dich ihm stellst, kannst du ihn beruhigen."
Aria lauschte aufmerksam. „Aber wie beruhigt man einen Sturm?"
„Indem du ihn kennenlernst", sagte der Uhu. „Schaue in dich hinein, nicht nach draußen. Lass den Wind, der dich antreibt, deine Wunden heilen, statt neue zu schlagen. Die wahre Stärke eines Kranichs zeigt sich nicht in der Kraft seiner Flügel, sondern in der Ruhe seines Fluges."
Von diesem Tag an begann Aria, nicht nur seine Bewegungen zu mäßigen, sondern auch seinen inneren Sturm zu erforschen. Mit jedem bewussten Atemzug, mit jeder leisen Landung lernte er, die tobenden Winde in sich zu beruhigen. Sein Flug wurde sanft wie ein Abendwind, und die Tiere des Waldes traten wieder näher.
Aria war nicht länger ein Sturm. Er wurde zu einem Kranich, der aus seiner eigenen Stille Kraft schöpfte – ein Symbol dafür, dass wahre Stärke in der Fähigkeit liegt, den eigenen inneren Sturm zu zähmen.
Die Lektion des Waldes? Frieden beginnt immer in uns selbst. Wer den Mut hat, seinem inneren Sturm zu begegnen, kann ihn in einen sanften, heilsamen Wind verwandeln.